Mathematik ist eine exakte Wissenschaft. Was würden Mathematiker machen, wenn sie vor dem Problem stünden: Wieviel macht 3715 x 269? Nun, sie würden einen Taschenrechner hervornehmen oder die Gehirnzellen beanspruchen und in Nullkommanichts das Resultat finden. Was machen «Finanzwissenschaftler», wenn sie vor der gleichen Frage stünden? Sie würden Meinungen abgeben. Und Wirtschaftsjournalisten würden ihre Vuvuzelas hervornehmen und vom Spielfeldrand reintröten. Oder die ganze Debatte für schädlich erklären.
Fakten, Fakten, Fakten
Wichtiger als das Resultat einer Multiplikation ist die Antwort auf die Frage, ob das Festhalten an einer Untergrenze zum Euro richtig oder falsch ist. Obwohl die Beantwortung dieser Frage etwas komplizierter als Kopfrechnen ist, sollten wir uns doch alle einig sein, dass die Verwendung von Fakten, Zahlen, Szenarien, das Durchrechnen von Alternativen hilfreich wäre. Überhaupt einmal das Auffächern aller vorhandenen Möglichkeiten samt Risiken, potenziellen Verlusten oder Gewinnen. Bevor wir uns Meinungen bilden und zu Entscheidungen kommen. Wenigstens dazu sollten doch Heerscharen von Krawattenknopfträgern mit HSG-Abschluss und diversen Black-Belts in höherem Financial Engineering in der Lage sein. Sind sie aber nicht.
Drei Optionen
Die drei Möglichkeiten liegen auf der Hand: Weitermachen, Kursfreigabe oder Dekretierung fester Wechselkurse zu den drei wichtigsten Weltwährungen unter Ausschaltung des Devisenmarktes. Plus jeweils begleitende Massnahmen. Obwohl die dritte und durchaus sinnvolle Variante nicht mal gross diskutiert wird, kommt jeder mit seinen Bordmitteln zu diesem Ergebnis. Welche Auswirkungen diese Möglichkeiten jeweils hätten, dazu bräuchte es aber Datenpower, Zahlen, Modelle. Und natürlich etwas Gelenkigkeit und Gehirnschmalz in der Analyse und Interpretation. Wer behauptet, selbst Aktienkurse mit hochwissenschaftlichen Algorithmen antizipieren zu können, sollte damit doch keine Probleme haben.
Fragen, Fragen, Fragen
Wie lange kann die Schweizerische Nationalbank (SNB) noch Euro im Multimilliardenpack aufkaufen, um die Untergrenze zu verteidigen? Ab welchem Betrag an dafür neu hergestellten Franken beginnt eine rauschende Inflation? Welche Verluste (oder sogar Gewinne) entstünden beim Zurückwechseln und Vernichten? Welche Volumen werden auf den Devisenmärkten überhaupt täglich, wöchentlich bewegt? Wie gross ist dabei der Anteil von Derivaten, also reinen Devisenwetten? Welche Tendenzen sind da erkennbar, wird mit Termingeschäften auf oder gegen den Franken gewettet? Welche Szenarien gibt es für das bevorstehende Ende des Euros in seiner heutigen Form? Welche Auswirkungen hätte ein neuerliches Fluten des Finanzmarkts mit Euros durch die Europäische Zentralbank? Banale Fragen, die Antwort ist: Sendepause.
Noch mehr Fragen
Neben dem Faktischen gibt es das Strategische. Ist die Handlungssicherheit durch einen festen Wechselkurs nützlicher als die künstliche Schwächung einer Währung, die nicht stärker wird, sondern die mit einem immer schwächer werdenden Euro konfrontiert ist? Da die Schweiz ja nicht nur exportiert, sondern auch importiert, was wäre da die Nettobilanz bei einem steigenden Franken? Da die Direktinvestitionen im Euroland bereits das Sinken des Wechselkurses von 1.50 auf 1.20 überstanden haben, was wäre da genau der Schaden, wenn es wieder Parität Euro zu Franken gäbe? Dem Vernehmen nach sind die meisten Euros der SNB in «sicheren» Staatsschuldpapieren investiert, also vornehmlich in deutschen. Dabei entstehen ja faktisch Verluste durch Negativzinsen, wie hoch sind die? Und die Frage aller Fragen: Was passiert genau, wenn der Euro hops geht oder noch rasanter nach unten?
Gibt es Regeln im Devisenmarkt?
Nichts Genaues wissen wir nicht. Aber es gibt wohl eine Regel, die selbst jeder HSG-Student im ersten Semester lernt. Gegen den Markt handeln ist das Falscheste, was man tun kann. Wieso sollte das bei einem täglich schwächer werdenden Euro nicht stimmen? Und wenn das so ist, wieso benützt die SNB als Monopolistin des Schweizer Frankens nicht ihr Privileg, feste Wechselkurse zu dekretieren? Wäre doch nichts Neues unter der Sonne, war bis 1971 sogar allgemeiner Brauch. Natürlich ist das nur eine Frage, die auf logischen Schlussfolgerungen basiert, nicht auf einer Zahlenbasis. Aber eines ist sicher: Vor den griechischen Wahlen am 17. Juni und angesichts durch die Decke steigenden Zinsen für spanische und italienische Staatsschuldpapiere wäre dann mal eine Entscheidung fällig. Die Untergrenze unter «allen Umständen» weiter zu verteidigen, kann sie wohl nicht sein.