Erstens, sie besuchte den Subkontinent auf der Rückreise von China, was im diplomatischen Jargon so viel heisst wie: Südasien ‚vaut un détour‘, verdient aber keine eigene Reise. Und zweitens: Pakistan wurde überflogen. Will sagen: ‚Ungezogener Junge; soll durch Nichtbeachtung bestraft werden‘. Aber auch Sonia Gandhi und Manmohan Singh, so sie sich auf einen exklusiven Fototermin freuten, mussten sich gedulden.
Clinton landete zuerst in Dhaka. Dort traf sie Premierministerin Sheikh Hasina in deren Residenz; soviel gestand sie dem Protokoll zu. Alle anderen Politiker, einschliesslich der bangalischen Aussenministerin, begaben sich in die amerikanische Botschaft. Sie hatte freundliche Worte für das Land, das ihr Vor-Vorgänger Kissinger einmal einen ‚Fall für den Abfallkorb‘ genannt hatte. Heute geht die Weltmacht sorgsamer um mit ihrem Klientel: Die beiden Aussenministerinnen unterzeichneten einen ‚Partnership Dialogue‘.
Bei der Kommunisten-Fresserin
Dennoch, auch in Dhaka sah sich Hillary gezwungen, den Mahnfinger zu heben. Sie empfing Khaleda Zia, die ewige Rivalin der Premierministerin (beide hassen sich von Herzen), und schickte ihr ein robustes Communiqué nach: „Wir rufen alle Akteure auf zusammenzuarbeiten, trotz politischer Differenzen. Wir sagen dies, weil wir ein Freund von Bangladesch sind“. Sie empfing auch Friedensnobelpreisträger Prof. Yunus, der von der Regierung geschnitten wird, weil Sheikh Hasina in ihm einen Rivalen wittert. „Ich habe hohen Respekt für Mohammed Yunus. Ich hoffe sehr, dass seine Arbeit nicht durch Regierungseingriffe unterhöhlt wird“.
Dann ging es weiter, nein, immer noch nicht nach Delhi, sondern nach Kalkutta. Es schien eine bizarre Ortswahl. In Westbengalen herrscht Mamata Banerjee, eine Strassenkämpferin und Kommunistenfresserin, die sich mit Ja-Sagern umgibt und keinerlei Kritik goutiert. Den Goodwill, den sie mit ihrem Sieg über die KP erworben hat, hat sie bereits im ersten Jahr verspielt. Auslandsinvestoren kehren dem Gliedstaat den Rücken. Für die Regierung in Delhi ist sie eine Koalitionspartnerin, die jede Gesetzesvorlage dazu nutzt, um ihr die Pistole an die Brust zu setzen. Nur die Lokalinteressen ihres Staats – sprich: ihre Popularität – zählen. Den Staatsvertrag für die Aufteilung der Wasserrechte beim Teesta-Fluss, für Bangladesch eine Vorbedingung für engere Beziehungen mit Indien, hat sie auffliegen lassen.
**Eine der „100 wichtigsten Persönlichkeiten“
Mamata freute sich unsäglich über die Ehre, von der amerikanischen Aussenministerin beglückt zu werden. „Madam Hillaryji‘ – das ‚dschi‘ ist eine indische Devot-Formel – „betonte, sie liebe die Leidenschaft meiner Regierung. Sie sagte, wie unglücklich sie sei, dass sie nicht zum TIME Magazine-Dinner nach New York hatte kommen können, wo ich auserwählt wurde für...Ihr wisst schon was“. Mamata spielte - es war eine Pressekonferenz - auf ihre Ernennung durch TIME als eine der 100 „weltweit wichtigsten Persönlichkeiten“ an – auch dies eine wahrhaft bizarre Wahl. „Da sie mich dort verpasst hatte, wollte sie hierher kommen, um mich zu treffen. Denkt Euch, sie war mit allen Informationen über mich vertraut!“.
Das Presse-Communiqué der US-Botschaft sah es etwas anders: Clinton habe Banerjee aufgefordert, dem Teesta-Vertrag zuzustimmen; und habe dafür plädiert, dass ausländische Einzelhandel-Ketten in Indien zugelassen würden – Mamata hatte sich beim entsprechenden Gesetzesvorschlag mit dem Regierungspartner quergelegt. Darauf forderte der Finanzminister von Bengalen die Botschaft auf, diese Passagen sofort aus dem Communiqué zu entfernen. Sie seien nicht Thema des Gesprächs gewesen, die Chefministerin habe dies vor den Medien klargestellt. Vier Tage später war der Passus immer noch auf der Botschaftswebseite zu lesen.
Misstrauen gegenüber dem chinesischen Drachen
Clintons Reiseroute, sowie die untertänigen Reaktionen der lokalen Politiker, sollten nicht dazu verleiten, den Amerikanern vorschnell Naivität zu unterschieben (eine alte europäische Krankheit). Bangladesch ist ein wichtiges Glied in der neuen Asien-Strategie der USA. Deren Ziel ist es, der aufstrebenden Weltmacht China eine Kette von Staaten vor die Tür zu setzen, von Indien über Südostasien bis nach Südkorea und Japan, geeint in ihrem Misstrauen gegenüber dem chinesischen Drachen. Gemeinsam und mit den USA im Rücken soll eine solche lose Allianz den südwärts gerichteten Hegemonie-Drang Chinas durch eine Ost-West-Koalition auffangen. Das erste Salvo war der kürzliche Besuch Clintons in Myanmar gewesen. Bangladesch knüpfte daran an, ebenso wie die Hofierung Banerjees in Kalkutta. In allen drei Ländern nahm sie dabei die Initiativen für engere Transportverbindungen – auf Strasse und Schiene – auf, die diese Länder bereits geknüpft haben. Sie sollen von Delhi über Kalkutta, Nord-Burma und Thailand bis ins Mekong-Delta führen. Aber Clinton konnte mit den beiden Rivalinnen in Dhaka auch Fraktur reden. Und sie konnte Banerjee daran erinnern, dass es auch übergeordnete nationale Interessen gibt, und nicht nur der Blick auf die Popularitätskurve in Kalkutta. Solange der Vertrag über die Nutzung des Teesta-Flusses nicht unterzeichnet sei, werde Dhaka seine Grenzen geschlossen halten.
Historische Bande zwischen Indien und Iran
Wer weiss, ob ‚Hillaryji‘, als sie endlich in Delhi landete, von Manmohan Singh ein Dankeswort dafür erhielt, den stachligen Partner in Kalkutta sanft gestreichelt zu haben. Er zeigte sich jedenfalls nicht betupft, dass Clinton die indische Hauptstadt als letzte anflog. Mit der ‚Containment‘-Strategie gegenüber China rennen die USA in Delhi ohnehin offene Türen ein. Wenn es ein aussenpolitisches Thema gibt, in dem beide Staaten übereinstimmen, dann ist es die Sorge um Beijings Hegemoniestreben. So verschob sich plötzlich die Optik: Statt als westlicher Brückenkopf von Washingtons Asien-Strategie erschien Indien plötzlich als das östliche Ende der diplomatischen und wirtschaftlichen Einkreisung durch Washington.
Hier jedoch waren die Türen nur einen Spalt weit offen. Clintons Amtskollege belehrte sie über die historischen Bande zwischen der indischen und persischen Kultur, Premierminister Singh erinnerte sie an die grosse Erdölabhängigkeit Indiens vom Mittleren Osten. Als sei es ein Zufall, fand sich just zum Clinton-Besuch eine vierzigköpfige Handelsdelegation aus Teheran in Delhi ein. Doch Hillary wusste zweifellos, dass Indien zu einem vollständigen Boykott Irans nicht zu gewinnen war. Sie machte gute Miene in diesem schwierigen Poker.
Sie hat gelernt, auszuteilen, wobei die Faust sorgfältig im Samthandschuh versteckt ist; aber sie hat auch gelernt, einzustecken. Auch dies macht sie wahrscheinlich zu einer grossen Aussenministerin. In einem Bereich war sie zweifelsfrei Verliererin. Die ‚Fashionistas‘ in Delhi waren einmütig in ihrem Verdikt: Ihr ‚Power Dressing‘ – Hose, hohe Absätze, Bluse – hatte keine Chance hatte gegenüber den Saris ihrer Gesprächspartnerinnen, jener von Mamata plebeiisch zerknittert, Sonias Seidenwickel patrizierhaft gefaltet.