Hass und Verachtung prägen das Verhandlungsklima. Die syrischen Regierungsvertreter titulieren ihre Gegenspieler pauschal als «Terroristen», die Opposition nennt den Assad-Clan und dessen Vertreter «Mörder». Der Riss geht auch quer durch die angereisten syrischen Journalisten, die sich am ersten Verhandlungstag in die Haare gerieten. Sicherheitsbeamte der UNO mussten die Streithähne trennen.
Keine Hilfe für die Zivilbevölkerung
Am tiefen gegenseitigen Misstrauen scheiterten bisher alle Bemühungen des Vermittlers der UNO und der Arabischen Liga, Lakhdar Brahimi, zumindest einige Erleichterungen für die vom Krieg in Mitleidenschaft gezogene Zivilbevölkerung zu erreichen. Vordringlich geht es dabei um die zwischen die Fronten geratenen Menschen in den umkämpften Millionenstädten Aleppo und Homs.
Konvois internationaler Hilfswerke stehen bereit, die eingeschlossenen Zivilisten mit dem Lebensnotwendigen zu versorgen. Doch die Regierungstruppen versperren die Zufahrt. In Genf schlug die Regierungsseite als angebliche humanitäre Geste vor, die in der von Aufständischen kontrollierten Altstadt von Homs lebenden Frauen, Kinder und Greise abziehen zu lassen. In den Ruinen dieses Stadtteils stecken nach verschiedenen Schätzungen zwischen 1200 und 2000 Zivilisten in der Falle. Dem Vorschlag zufolge könnten in einer zweiten Etappe die Männer evakuiert werden, nachdem sie sich einer Identitätskontrolle unterworfen haben.
Abgrundtiefes Misstrauen
Die Opposition lehnte dieses Angebot umgehend ab. Sie befürchtet, dass nach der Evakuierung der Frauen und Kinder die belagerten Stadtteile von den syrischen Streitkräften dem Erdboden gleichgemacht würden. Regierungsvertreter und die in ihrem Tross angereisten Journalisten behaupten, dass die in der Altstadt von Homs zurückgebliebenen Männer alle «Terroristen» seien.
Nach dem vorläufigen Misserfolg der Verhandlungen über humanitäre Hilfe für die Kriegsopfer brachte Vermittler Brahimi am Montag die politischen Fragen aufs Tapet. Dabei geht es um die Umsetzung eines bereits auf der ersten Genfer Syrienkonferenz am 30. Juni 2012 beschlossenen Dokuments, das einen Waffenstillstand und die Bildung einer breiten Übergangsregierung vorsieht, die demokratische Wahlen abhalten soll. Formal haben beide Konfliktparteien diese Grundsätze akzeptiert, doch sie interpretieren das Papier auf unterschiedliche Weise.
Unvereinbare Standpunkte
Für die Opposition muss am Anfang jeder demokratischen Entwicklung die Absetzung Assads stehen. Die Regierung hingegen zieht einen Rücktritt des Präsidenten überhaupt nicht in Erwägung. In ihren Augen kommt nur eine Umbildung der Regierung unter der Führung Assads infrage. Der derzeitige Präsident ist Kandidat für seine eigene Nachfolge in vom Regime organisierten Wahlen.
Am Montag legte die Regierungsdelegation einen sogenannten Fünf-Punkte-Plan vor. Darin geht es um den Kampf gegen den Terrorismus, die Einstellung ausländischer Militärhilfe an die Aufständischen und die Souveränität Syriens. Ausgeklammert sind jedoch die Kernfragen, nämlich die Bildung einer breiten Übergangsregierung und die Schaffung eines Mehrparteiensystems. Die Opposition wies das Papier der Regierung natürlich sofort zurück.
Keine Verhandlungsfinte des Vermittlers Brahimi vermag diese Gegensätze zu überbrücken. Zuerst traf der ehemalige algerische Aussenminister die beiden Parteien getrennt. Dann konnte er sie überreden, mit ihm im gleichen Raum zu sitzen. Die Delegationen der Regierung und der Opposition sassen sich an zwei Tischen gegenüber, mit Brahimi dazwischen. Die Gegner redeten nicht direkt miteinander, sondern über den Vermittler. Doch auch dieses Format half nicht weiter. «Es ist ein Dialog von Schwerhörigen», meinte ein Teilnehmer gegenüber Journalisten.
Grossmächte sind am Zug
Man geht jetzt davon aus, dass die unergiebigen Gespräche zwischen Schwerhörigen am kommenden Wochenende unterbrochen werden. Während der Verhandlungspause schlägt die Stunde der Grossmächte, auf ihre Schützlinge einzuwirken, damit diese einem Konsens zustimmen.
Das «Wall Street Journal» meldete am Dienstag, dass der russische Aussenminister Sergej Lawrow den Delegationsleiter der Opposition, Ahmad Jarba, nach Moskau eingeladen habe. Eine russische Diplomatenquelle bestätigte die Meldung. Jarba selbst erzählte, dass ihm Lawrow am Rande der Konferenzeröffnung vergangene Woche in Montreux gesagt habe, er sei «nicht mit Assad verheiratet». Lawrow habe ihn gefragt, was nach einem Regierungswechsel in Syrien mit dem russischen Flottenversorgungshafen in Tartus geschehen würde. Darauf habe Jarba geantwortet, dass die militärische Zusammenarbeit zwischen Syrien und Russland historisch gewachsen sei und nicht angetastet würde.
Jarba ist im Unterschied zu den meisten anderen Mitgliedern der oppositionellen «Syrischen Nationalen Koalition» nicht einer der Exilpolitiker ohne wirklichen Einfluss im Land. Er nahm 2011 an den ersten Demonstrationen gegen das Assad-Regime teil und wurde zweimal verhaftet. Im Herbst 2011 flüchtete er ins Ausland.
Etliche Kommentatoren vertreten die Meinung, dass die blutigen Auseinandersetzungen in Syrien kein Bürgerkrieg seien, sondern ein Proxy-Krieg ausländischer Mächte. Genau betrachtet, trifft beides zu. Das war aber bei praktisch allen Kriegen der vergangenen sechzig Jahre der Fall. Die Schlüssel für den Frieden liegen daher in Washington und Moskau.