Die Universität Konstanz wird 50. Wir publizieren hier die gekürzte Festansprache unseres Mitarbeiters Dieter Imboden vom 24. Juni
Es herrschte Aufbruchsstimmung in Deutschland, als der damalige baden-württembergische Ministerpräsident Georg Kiesinger – so die Legende – anlässlich einer Veranstaltung einem Konstanzer Landrat einen Fresszettel zugesteckt haben soll, auf dem er die Stadt Konstanz als Standort einer neuen Universität vorschlug.
Eine Reform-Universität der jungen Bundesrepublik
In den Fünfziger- und Sechzigerjahren war es in allen Ländern der damaligen Bundesrepublik zur Gründung von so genannten Reform-Universitäten gekommen, mit denen die Politik zugleich das erwartete grosse Wachstum der Anzahl Studierender in Deutschland zu bewältigen als auch einen Reformschub an den alten, aber eher reformresistenten Universitäten des Landes auszulösen hoffte.
Baden-Württemberg verfügte zu jener Zeit zwar über drei der ältesten deutschsprachigen Universitäten (Heidelberg 1386, Freiburg i.B. 1457, Tübingen 1477), aber das Gebiet nördlich des Bodensees war im sonst wirtschaftlich erfolgreichen Bundesland eher ein weisser Fleck auf der akademischen Landkarte.
Historischer Vergleich mit Basel
Das hätte auch anders kommen können: Die Stadt Konstanz hat in der Kulturgeschichte Europas schon früh eine wichtige Rolle gespielt. Ein Vergleich mit der Stadt Basel drängt sich auf: Im 15. Jahrhundert beherbergten beide Städte ein Konzil, Konstanz von 1414 bis 1418, Basel von 1431 bis 1448. Allerdings war Basel weit erfolgreicher, aus dem Konzil für den eigenen Nutzen Kapital zu schlagen.
Nicht nur wurde während des Konzils eine provisorische Konzilsuniversität eingerichtet, die Basler schafften es auch, im harten Konkurrenzkampf mit dem benachbarten Freiburg um eine permanente Universität den im Jahre 1458 zum Papst Pius II. gewählten Enea Silvio Piccolomini auf ihre Seite zu ziehen, so dass Basel im Jahre 1460, nur wenig später als die Konkurrentin im Breisgau, zu einer permanenten Universität kam.
550 Jahre Warten auf eine Uni
Das Konzil von Konstanz stand diesbezüglich unter einem weniger glücklichen Stern. Es wurde während des Schisma vom Gegenpapst Johannes XXIII. mit der Hoffnung einberufen, die Einheit der katholischen Kirche wieder herzustellen, was trotz zum Teil drastischer Entscheide, so der Verbrennung von Jan Hus als Ketzer, nicht gelang. Immerhin muss es während des Konzils auch lustig zugegangen sein, woran heute am Eingang des Konstanzer Hafens die Statue der Imperia, einer üppigen Kurtisane, erinnert.
Aber auf eine Universität musste Konstanz noch 550 Jahre warten. Während dieser Zeit scheint die Stadt akademische Energien gesammelt und gespeichert zu haben, denn von Kiesingers Fresszettel bis zur Gründung der Universität Konstanz im Jahre 1966 dauerte es lediglich sieben Jahre. Dazu beigetragen haben mag auch ein gewisser Pragmatismus; in Konstanz verzichtete man von Anfang an auf die Errichtung einer medizinischen Fakultät zugunsten der Stadt Ulm, wo ein Jahr später eine rein medizinisch-naturwissenschaftliche Universität gegründet wurde.
Geplant für 3000 Studenten – heute 12 000
Wie es sich für eine Reform-Universität gehört, fanden in den Jahren vor der Gründung intensive Diskussionen über Ziel und Struktur der neuen Universität statt. So setzte man sich mit Wilhelm von Humboldts Idee der Einheit von Lehre und Forschung auseinander, schreckte aber zugleich davor zurück, mit der Bezeichnung „Forschungsuniversität“ allenfalls dem Entstehen einer akademischen Zweiklassengesellschaft („Elite“ gegen „Masse“) Vorschub zu leisten.
Auch die angestrebte Grösse und die Frage der Zulassung spielten eine wichtige Rolle. Nicht mehr als 3,000 Studierende sollte die Uni haben (heute sind es knapp 12 000), worin man einen Kompromiss sah zwischen einer fortschrittlichen „Modelluniversität“ und einer reinen „Entlastungsuniversität“ – wie der Jargon damals lautete.
Rolf Dahrendorf – prominentes Gründungsmitglied
Der Soziologe und Politiker Rolf Dahrendorf gehörte zu den Gründern der Universität. Zusammen mit andern und stark beeinflusst vom amerikanischen Modell schlug er – lange vor der Bologna Reform – ein zweistufiges Studium (Bachelor/Master) und die Schaffung von reinen Lehr- und Forschungsprofessuren vor. Die Frontalvorlesungen sollten zugunsten von Seminaren und Praktika weitestgehend eliminiert werden. Dahrendorf schwebte ein „Klein-Harvard“ am Bodensee vor, wo sich Lehre und Forschung an den Schnittstellen der modernen Wissenschaften mit den Kernfragen der modernen Gesellschaft weiter entwickeln sollten.
Wichtig war auch die Überzeugung der Gründer, für das Gedeihen einer modernen Universität seien physische Faktoren ebenso wichtig wie organisatorisch-strukturelle. So wurde die Universität bewusst als Campus auf der grünen Wiese (bzw. im grünen Wald) konzipiert, in deren Mitte nach dem Vorbild des antiken Griechenlands eine Agora und eine gemeinsame Bibliothek liegen sollten.
Gedanken machte man sich auch über die physische Ausdehnung des Campus und damit auch über die optimale Grösse der Universität. Wenige hundert Meter sollten die Distanzen maximal betragen, um eine gute Kommunikation zwischen allen Teilen der Universität zu ermöglichen. Dieses räumliche Konzept hat bis heute überlebt; die Bibliothek wurde erst vor kurzem nach einer umfassenden Renovation als modernes Informations- und Medienzentrum wiedereröffnet.
Die Unruhe der 68er
Natürlich entwickelte sich nicht alles so, wie man einst dachte. Nur wenige Jahre nach der Gründung schüttelten die 68er Unruhen die Hochschulen tüchtig durch. „Harvard am Bodensee“ wurde – zumindest vorübergehend – in den Medien vor allem kritisch verwendet, gewisse Reformideen scheiterten in der Praxis, die Studierendenzahlen stiegen weit über das einst anvisierte Ziel.
Doch der Pioniergeist ging damit keineswegs verloren – das ist wohl das Bemerkenswerteste an dieser Geschichte. „Konstanz fand schneller als andere zum Pragmatismus der schrittweisen Reform zurück“, schrieb vor zehn Jahren anlässlich des vierzigsten Geburtstages der damalige Rektor, der Germanist Gerhart von Graevenitz, der leider im März dieses Jahres völlig überraschend gestorben ist.
Im Kreis der Exzellenz-Unis
Vor allem ihm ist es zu verdanken, dass sich die Universität mit grossem Einsatz und mit viel Herzblut von Anfang an am Wettbewerb um Gelder der 2007 gestarteten so genannten Exzellenzinitiative für die deutschen Universitäten beteiligt hatte, eines Programms mit dem Ziel, die besten deutschen Universitäten auf Augenhöhe mit den weltweit besten Hochschulen zu bringen.
Konstanz war in diesem Wettbewerb sehr erfolgreich. Als einzige Reform-Universität schaffte sie es von Anfang an in den aus nur elf Hochschulen bestehenden Kreis von Exzellenz-Universitäten. Diesen Erfolg wiederholte die Universität im Jahre 2012, nachdem von Graevenitz im Jahre 2009 das Rektorat an seinen Nachfolger, den Physiker Ulrich Rüdiger übergeben hatte.
Leuchtturm und Imperia
Die elf deutschen Exzellenzuniversitäten werden in den Medien oft als Leuchttürme bezeichnet. Einer dieser Türme leuchtet somit an den Gestaden des Bodensees, in einer Gegend, wo vor 50 Jahren noch universitäres Niemandsland war. Der Leuchtturm passt als Metapher zu Konstanz eigentlich ausgezeichnet, nur dass pikanterweise an der Konstanzer Hafeneinfahrt nicht ein Leuchtturm, sondern die Imperia steht, die Kurtisane aus der Zeit des Konzils. Der als Fotosujet bekannte Leuchtturm am Bodensee hingegen bewacht zusammen mit dem bayrischen Löwen den Eingang zum Hafen des freistaatlichen Lindau.
Allerdings gehörten das Lindauer Hafengelände und der Leuchtturm während vieler Jahre den Stadtwerken von Konstanz. Es brauchte zähe Verhandlungen, bis im Jahre 2010 der Hafen an Lindau zurückging und der Leuchtturm zusammen mit dem bayrischen Löwen repatriiert wurde. Vielleicht waren die Verhandlungen schliesslich nur deswegen erfolgreich, weil Konstanz unterdessen einen eigenen, immateriellen Leuchtturm gebaut hatte, den Universitäts-Campus auf dem Giessberg im Mainauerwald, dessen fünfzigster Geburtstag heute gefeiert wird. So fiel es den Konstanzern leichter, den Lindauer Leuchtturm ziehen lassen.
Vivat, crescat, floreat, Alma Mater Constantiensis!