Am Donnerstag empfing Aussenminister Didier Burkhalter in Bern den Vorsitzenden der Palästinenserbehörde, Mahmoud Abbas. Anschliessend stattete Abbas Bundespräsidentin Eveline Widmer-Schlumpf einen Höflichkeitsbesuch ab. Er versuchte die Schweiz für die Unterstützung des palästinensischen Antrags auf Gewährung des Beobachterstatus als Nichtmitgliedstaat der Vereinten Nationen zu gewinnen. Diesen Status hat der Vatikan und hatte die Schweiz bis zu ihrem UNO-Beitritt.
An die EU kann sich die Schweiz bei der Abstimmung über des Status Palästinas nicht anlehnen, denn deren Mitglieder sind sich in dieser Frage selber uneins. Einige werden mit Ja stimmen, andere mit Nein und die übrigen werden sich der Stimme enthalten.
Mit einem Ja würde es die Schweiz mit Israel verderben, mit einem Nein mit den Palästinensern
Die palästinensische Autonomiebehörde will ihren Antrag am 29. November in New York einbringen. Israel widersetzt sich mit allen Mitteln und kann auf die Unterstützung der USA zählen, die aber an der UNO-Generalversammlung kein Vetorecht haben. Vor Abbas sprach der israelische Aussenminister Avigdor Lieberman in Bern vor, um für den Standpunkt der Regierung in Jerusalem zu werben. Der Bundesrat will seine Haltung Mitte nächster Woche festlegen. Burkhalter hat bereits erklärt, dass eine offene Ablehnung des palästinensischen Antrags nicht in Frage kommt. Bleiben also die Zustimmung und die Stimmenthaltung. Beide Optionen sind schmerzhaft. Mit einem Ja würde es sich die Schweiz mit Israel verderben, mit einer neutralen Haltung sowohl Israel wie auch die Araber verärgern.
Arithmetisch ist der Ausgang der für Ende des Monats vorgesehenen Abstimmung im Plenum der UNO klar: 132 der insgesamt 193 UNO-Mitglieder haben Palästina bereits als souveränen Staat unter fremder Besetzung anerkannt. Auf der Kippe könnte die Entscheidung stehen, wenn die Generalversammlung den Status Palästinas zu einer „wichtigen Frage“ erhebt. Dann wäre für die Annahme des palästinensischen Antrags eine Zweidrittelmehrheit erforderlich. Ein solches Szenario ist allerdings unwahrscheinlich.
Siedlungsstopp als Vorbedingung für Gespräcche
US-Präsident Barack Obama drängt auch nach seiner Wiederwahl die Palästinenserführung zur Geduld. Er hat den israelischen Standpunkt übernommen, wonach der völkerrechtliche Status Palästinas erst nach einem Friedenabkommen und der Festlegung der Grenzen geregelt werden könne. Die Friedensverhandlungen stehen aber seit Jahren auf dem toten Punkt, während der Ausbau der israelischen Siedlungen in der Westbank beschleunigt weitergeht.
Die Palästinenserführung macht einen Siedlungsstopp zur Vorbedingung für weitere Verhandlungen. Sie sieht hinter der israelischen Politik nur die Absicht, in den besetzten Gebieten vollendete Tatsachen zu schaffen, die allen Lippenbekenntnissen zum Trotz die Schaffung eines eigenen palästinensischen Staates verunmöglichen würden. Eine Aufwertung durch die UNO würde ihrer Meinung nach Israel unter Druck setzen.
Ein Schwachpunkt dieser Strategie ist, dass die im Gazastreifen herrschende Hamas-Bewegung den Gang nach New York missbilligt. Die Hamas bleibt ihrer Haltung treu, wonach einzig der bewaffnete Kampf gegen Israel zum Ziel führt. Dahinter wütet ein innerpalästinensischer Machtkampf zwischen Radikalen und Gemässigten. Welches Palästina soll aber die UNO als „Beobachterstaat“ anerkennen, wenn die beiden geographisch voneinander getrennten Teile unterschiedliche Ziele verfolgen? Derzeit hat Palästina bei der UNO einen Beobachterstatus als nicht näher definiertes Gebilde („entity“).
Israelische und amerikanische Drohungen
Israel und die USA drohen den Palästinensern mit Sanktionen, wenn sie ihren UNO-Antrag aufrecht erhalten. Israel erwägt die Aufkündigung der mit der Autonomiebehörde abgeschlossenen Verträge und will den Palästinensern die nach einem vor 18 Jahren getroffenen Abkommen zustehenden Zoll- und Steuereinnahmen vorenthalten. Dabei geht es um 1,2 Milliarde Dollar jährlich. Der US-Kongress droht mit der Streichung des jährlichen Zuschusses von 500 Millionen Dollar für Sicherheitsaufgaben und Wirtschaftshilfe. Die Palästinenser müssten dann alternative Finanzquellen in den Golfstaaten oder in Europa suchen. Um keinen Preis jedoch wollen sie ihre Erfahrung aus dem Jahre 1989 wiederholen, als sie auf Druck der USA ihren ersten Antrag auf einen vollen Beobachterstatus bei der UNO zurückzogen.
Die Netanjahu-Regierung malt den Teufel an die Wand, indem sie davor warnt, dass die Palästinenser bei einer Annahme ihres Antrags Mitglied aller Fachorganisationen der UNO werden könnten und Zugang zum Internationalen Strafgerichtshof (ICC) erlangen würden. Der nächste Schritt wäre dann ein Prozess gegen israelische Militärs und Politiker wegen Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
Diese Befürchtungen sind stark überzogen. Palästina ist bereits Mitglied der UNO-Organisation für Bildung, Wissenschaft und Kultur (Unesco) geworden. Dieser Titel erlaubt es der Autonomiebehörde, Mitgliedsanträge bei anderen Organisationen zu stellen. Was den Internationalen Strafgerichtshof betrifft, so ist Israel dessen Satzung – den Römer Statuten – nicht beigetreten. Der ICC darf also keine israelischen Bürger anklagen, ausser der Weltsicherheitsrat fasst einen entsprechenden Beschluss, wie es im Fall des sudanesischen Machthabers Omar Al-Baschir geschah. Über Israel halten aber die Amerikaner, die im Sicherheitsrat ein Vetorecht haben, ihre schützende Hand.
Dass sie die Abstimmung an der UNO-Generalversammlung wohl verlieren werden, haben die Israelis erkannt. Netanjahus Propagandamaschine versucht jetzt die bevorstehende Niederlage in einen „moralischen Sieg“ umzumünzen, indem sie die pro-israelischen westlichen Staaten als Horte der Zivilisation im Abwehrkampf gegen die demokratiefeindlichen Kräfte darstellt.