Der Grund dafür ist die Tatsache, dass in Griechenland seit Jahrzehnten die Politik die Wirtschaft dominiert. Aber nun ist auch Griechenland an jenem Punkt angelangt, wo die Marktkräfte über das Land hereinbrechen. Die Anleger sind nicht mehr bereit einen Schuldenstand von EUR 350 Mrd., bzw. über 160% des BIP zu tolerieren, denn Sparerfolge der Regierung sind keine auszumachen. Im Dreivierteljahr lagenStaatseinnahmen mit EUR 35.3 Mrd. um 2.5% unter dem Vorjahr, während die Ausgaben erneut um 8.6% auf EUR 53.1 Mrd. zunehmen.
Das Defizit stieg um 15.3% auf EUR 19.2 Mrd. an, die Neuverschuldung sogar um EUR 24.5 Mrd. Das Defizit wäre noch höher ausgefallen, hätte der Staat nicht die Investitionen um EUR 2 Mrd. auf noch EUR 3.5 Mrd. zurückgefahren. Statt zu investieren, um die Produktivität und die internationale Wettbewerbsfähigkeit des Landes zu verbessern, gab der Staat EUR 2.4 Mrd. mehr für Zinsen, EUR 2.2 Mrd. mehr für Sozialhilfe und Arbeitslosengelder und EUR 0.8 Mrd. mehr für Spitäler aus.
Die Alarmzeichen für die griechische Misswirtschaft sind erdrückend: Griechenland hat seinen Beitritt zum Euro und damit zu günstigen Zinsen nur dank gefälschten Zahlen erreicht. Im Zuge des Hilfspaketes von 2010 wurden 200 Steuerbeamte entlassen, weil sie sich gegenseitig von den Steuern befreiten. Gemäss Medienberichten wurden in den letzten Jahren rund EUR 8 Mrd. Renten an bereits verstorbene Rentner ausbezahlt worden. Die dem Staat geschuldeten Steuern belaufen sich auf rund EUR 40 Mrd., wovon rund EUR 30 Mrd. auf die Unternehmen des öffentlichen Verkehrs entfallen.
Gemäss "Hellenic Defence" einer griechischen Webseite, die sich mit Fragen der Landesverteidigung befasst, haben die USA einem Ersuchen der Griechen nach Lieferung von 400 amerikanischen Kampfpanzern des Typs M1A1 Abrams zugestimmt. Zudem werden die USA den Griechen etwa 100 gepanzerte Militärfahrzeuge liefern. Statt Schulden abzubauen und für die Bevölkerung die elementarsten Staatsleistungen zu sichern, rüstet Griechenland auf, wobei nicht einmal die Geldgeber als Lieferanten berücksichtigt werden. Diese Symptome sind nur die Spitze eines durch und durch maroden Politsystems. Eine der besten Analysen dazu hat der in Athen lebende griechische Journalist Micha Takis in einem Arbeitspapier des amerikanischen Think Thanks "Cato Institute" publiziert.
Takis stellt fest, dass Griechenland schon seit 1866 eine Staatskultur pflegt, die auf einem ausgeklügelten System von Staatsparasiten basierte. Bereits damals stellten sich die Staatseinnahmen auf 31% des BIP, während die Vergleichswerte für Grossbritannien bei 12%, für Belgien bei 6% lagen. Die hohen Staatseinnahmen wurden auch damals nicht für den Aufbau von Infrastrukturen eingesetzt, sondern vor allem für die Administration und Umverteilung. 1870 lebten 25% der Nicht-Argrarbevölkerung vom Staat. Auf 10'000 Einwohner entfielen 214 Staatsbedienstete (Frankreich 176 Deutschland 126; Grossbritannien 73). Die meisten öffentlichen Gebäude, insbesondere Kulturinstitutionen wurden von Privaten erstellt.
Das griechische Konzept eines allgegenwärtigen Staates wurde durch den Mangel an Rechten für das Individuum begünstigt, oder einfacher ausgedrückt, die Zivilgesellschaft ist und bleibt schwach. Der Staat wurde von innen, d.h. von der Beamtenschaft übernommen, und wird von dieser als "ihr" Privateigentum betrachtet.
Das politische System Griechenlands basiert seit Jahrzehnten auf Vetternwirtschaft und Zentralismus. Auch als sich ab ca. 1930 die politische Parteien aus ihren patronalen Netzwerken loslösten, blieb die Filzwirtschaft bestehen. Das einzige was sich änderte, war die rhetorische Legitimierung der Staatszocke unter der Etikette "soziale Gerechtigkeit" und "nationale Notwendigkeit". Heute erfolgt die Bewirtschaftung ihrer Wahlklientel durch die Regierungsparteien über drei Kanäle:
1.) Angestellte im öffentlichen Dienst 2.) Gesetzeslawine zur Eliminierung von Konkurrenz und Schaffung von Pfründen für ihre Klientel. 3.) Gebühren und Abgaben zugunsten von Leuten, die nicht einmal an der Leistungserbringung beteiligt sind.
Die Beamtenprivilegien wurden bereits 1911 in der Verfassung verankert, indem damals eine Beschäftigung auf Lebzeiten garantiert wurde. Da jeder Regierungswechsel auch zu einen Nachzug von Parteigängern in die Verwaltung führte, nahm der Beamtenstab massiv zu. Die Regierung verlor sogar die Übersicht über die Anzahl der Mitarbeiter, weshalb im Zuge des ersten Rettungspaketes von 2010 erstmals seit Jahren überhaupt die Beamtenschaft gezählt wurde. Diese stellt sich gemäss der Athener Handelskammer heute auf rund 1.2 Mio. oder auf 27% der werktätigen Bevölkerung. Kein Wunder gehen rund 80% der Staatsausgaben an die Angestellten und die Staatsrentner. Staatsstellen sind nach griechischer Auffassung keine Verpflichtung zur Arbeit, sondern Pfründe, die von Politikern und Gewerkschaften gewährt werden.
Jobs im öffentlichen Dienst dienen auch dazu, zusätzliche Einkommen zu generieren. Es ist sattsam bekannt, dass in Spitälern zusätzliche "Trinkgelder" in Höhe von nicht selten EUR 1'000 bis EUR 20'000 an die Ärzte und anderes Personal üblich sind, damit eine Operation vorgenommen wird. In öffentlichen Schulen erfolgt der Staatszock über Nachhilfeunterricht etc. Die vermeintlich unentgeltlichen Staatsleistungen sind bei weitem nicht gratis. Kein Wunder, dass sich die junge Generation eher für eine Stelle beim Staat interessieren, als die Mühsal der Privatwirtschaft auf sich zu nehmen. Den im Zuge der EU-Hilfe versprochenen Privatisierungen dürfte kein grosser Erfolg beschieden sein. Die gewerkschaftlich stark organisierten Belegschaften werden sich wehren, denn mit einer Privatisierung droht ihnen der Verlust ihrer Privilegien. Angesichts dieser Zustände wird man auch kaum ausländische Investoren finden, die in solche Unternehmen investieren wollen.
Die Gesetzesmaschinerie zum Schutz der Parteien-Klientel vor Konkurrenz hat ein unglaubliches Ausmass angenommen. Seit 1974, d.h. seit 35 Jahren wurden rund 100'000 neue Gesetze geschaffen. Dies sind immerhin 2'857 Gesetze pro Jahr oder rund 8 Gesetze pro Tag. Damit wurden ganze Berufsgruppen vor Konkurrenz abgeschottet. Wo dies nicht ausreichte wurden Lizenzen vergeben und staatliche Mindestpreise festgesetzt. Konkret werden die Märkte über Ladenöffnungszeiten, über Gebietsschutz aber auch über ein Obligatorium zum Engagement solcher staatlich privilegierter Berufsvertreter geregelt. Dazu gehören zum Beispiel Rechtsanwälte für Kaufverträge und Immobiliengeschäfte, Ingenieure und Architekten aber auch Apotheker, Optiker und Spediteure.
Dies ist auch der Grund, warum diese Berufsgruppen an den jüngsten Protestaktionen in den vordersten Reihen teilnahmen. Es ging um die Verteidigung ihrer Privilegien und Pfründe und um nichts anderes. Sehr häufig wird der Markteintritt auch durch Gewerkschaften verhindert. So zum Beispiel in den Gemüsemärkten, wo nur gewerkschaftlich organisierte Leute die Ladungen entladen dürfen. Wer die vom Staat fixierten Beträge an die Gewerkschaften nicht bezahlt, der darf seine Ware nicht entladen. Diese Berufskartelle kassieren rund 13% des BIP mehr ab, als dies in einem freien Markt der Fall wäre.
Eine weitere Spielart der Korruption sind Gebühren und Abgaben an Leute, die nicht einmal etwas mit der Leistungserbringung zu tun haben. Takis nennt zahlreiche Beispiele, angefangen bei den Gebühren anlässlich einer Unternehmensgründung. Vom Startkapital geht 1% an die Pensionskasse der Juristen. Wer Werbung betreibt, muss 20% der Werbekosten an die Pensionskasse der Journalisten bezahlen. Von den Schiffstickets gehen 10% an die Pensionskasse der Hafenarbeiter und selbst von der Passagierversicherung geht ein Teil an die Pensionskasse der Matrosen. Die Zulieferer der Armee bezahlen 4% des Auftragsvolumens an die Pensionskasse der Offiziere. Wer ein Billet zum Besuch eines Fussballmatches kauft, bezahlt 25% an die Pensionskasse der Polizei. Insgesamt sollen über 1'000 solche Abgaben und Gebühren existieren, die ein Ausmass von gegen 30% des BIP erreichen.
Das WEF bezeichnet 2009 Griechenland hinter Bulgarien als zweit meist korruptestes Land in Europa. Wer in Griechenland nicht spurt und diese offiziellen Korruptionsbeiträge verweigert, muss damit rechnen, vom Staat verfolgt zu werden, indem mit Gewissheit irgend ein Gesetz gefunden wird, das der Zahlungsunwillige missachtet habe. Meistens klagt man Unternehmen wegen Verstössen gegen die Steuergesetzgebung an. Heute kostet die staatliche Bürokratie rund 20% des pro Kopf Einkommens, während der Durchschnitt in der OECD bei 5.3% liegt. Gemäss Weltbank kostet die Bewilligung zum Betrieb eines Geschäftes in Griechenland rund USD 3'096, in den USA nur USD 675. Rund 3% des Jahresumsatzes der Unternehmen gehen für Bestechungsgelder drauf. Unter solchen Umständen verwundert es nicht, dass Griechenland in den Jahren 1996 bis 2008 in der Liste der 30 OECD-Länder den letzten Platz punko Attraktivität für Neuansiedelungen von Unternehmen einnimmt. Und zusehends verlassen auch Grossunternehmen das Land (z.B. Shell und BP) weil sie nicht mehr bereit sind, Schmiergelder und andere Zahlungen an korrupte Beamte zu leisten.
Die griechische Gesellschaft trachtet nicht danach, Wohlstand mit ihrer Hände Arbeit zu schaffen, sondern sie zielen auf Renten- und Pfründe-Einkommen zulasten der Zivilgesellschaft ab. Dies trifft nicht nur auf die derzeit regierenden Panhellenische Sozialistische Bewegung PASOK zu, sondern ebenso auf die konservativen Politiker. So hat die Neue Demokratie-Partei, die zwischen 2004 bis 2009 regierte, die Beamtenschaft um 100'000 erhöht und die Staatsausgaben von 42% auf 51% des BIP aufgebläht.
Wie so oft, wenn die Politik die Probleme im eigenen Land nicht lösen kann und will, dann sucht man nach Sündenböcken. Einmal sind es die Deutschen, dann die ausländischen Spekulanten, die Hedge funds, der Grossinvestor Geroges Soros und die angelsächsischen Neoliberalen. Neuerdings dient auch die Schweiz als Blitzableiter, denn hier sollen sich gemäss griechischen Politikern rund CHF 200 Mrd. unversteuerte Vermögen von griechischen Steuerpflichtigen befinden. Wie unsinnig diese Behauptung ist, zeigt bereits eine grobe Sichtung der entsprechenden Bankenstatistik. Die bei Banken in der Schweiz deponierten privaten Vermögen ausländischer Kunden haben sich seit dem Höchststand von CHF 1077 Mrd. im Juni 2007 bis Ende August 2011 auf CHF 522 Mrd. mehr als halbiert. Es ist unwahrscheinlich, dass griechische Privatpersonen 40% dieser deponierten Vermögenswerte besitzen.
Ein Volk das jahrzehntelang unter Korruption, Beamtenprivilegien, unfairen Gesetzen und Regulierungen zugunsten Einzelner leidet, wird sich nicht von einem Tag auf den anderen ändern. Da helfen auch keine Milliardenhilfspakete. Im Gegenteil, diese dürften erneut der Klientelwirtschaft dienen. Die Beamtenschaft wird trotz Ankündigung nicht im notwendigen Ausmass abgebaut, sondern auf "Reserve" gesetzt, was im Klartext "Nichtstun bei 60% des bisherigen Lohnes" bedeutet.
Die griechische Regierung hat bis anhin nur versprochen und nichts gehalten. Es wäre an der Zeit, diesem Land jegliche Unterstützung zu entziehen. Vor allem dürfen keine Schweizer Steuergelder direkt oder indirekt über die EU, den EFSF oder den IWF dorthin fliessen. Auch die SNB sollte sich vor solchen Engagements fernhalten, denn es ist nicht die Aufgabe der SNB maroder EU-Staaten finanziell zu stützen.