Gerne und über lange Zeiten lebt und schreibt Peter Handke im Verborgenen. Aber jetzt, da er 70 geworden ist (im Dezember 2012), steht er wieder einmal im Scheinwerferlicht. Eine neue essayistische Erzählung und ein gewichtiger Briefwechsel liegen auf dem Büchertisch, dazu kommen zahlreiche Auseinandersetzungen mit Person und Werk in den Medien und jüngst eine seiner polemischen Einmischungen in einem öffentlich ausgetragenen Streitfall.
Kampf um den Suhrkamp Verlag
In der „Zeit“ vom 19. Dezember 2012 äussert sich Peter Handke in einem teils furiosen, teils ironischen, jedenfalls überaus unterhaltsamen Artikel zum Streit um die Führung (und im Tiefsten vielleicht auch um die Existenz) des Suhrkamp Verlags. Den Vorgang, dass nämlich der Minderheitsaktionär Hans Barlach der Hauptaktionärin Ulla Unseld-Berkéwicz per Gerichtsbeschluss das Recht absprechen lassen will, den Verlag weiterhin so zu managen, wie sie das tut, nennt Handke einen „unerzählbaren Alptraum“.
Der Autor fackelt nicht lange und ergreift ohne Einschränkungen Partei für die durchaus umstrittene Verlegerin, mit der er seit 25 Jahren befreundet ist. Selbstverständlich geht dies nicht ohne massive Schmähung des Kontrahenten ab – auch wenn er dem „HB“, wie er ihn abkürzt, zum Schluss seines Plädoyers ein kurioses Friedensangebot unterbreitet.
Feinsinn und Cleverness
Für die Verbreitung von Literatur in den deutschsprachigen Ländern ist es natürlich eine Frage von höchster Bedeutung, was mit dem Suhrkamp Verlag geschieht! Und auch für Peter Handke, der mit dem Verlag seit seinem ersten Buch liiert ist, geht es, emotional wie beruflich-geschäftlich, um Vieles. Er hat ja, dieser sensibelste aller Sensiblen, dieser ungemein produktive und dabei perfektionistische Stilist, auch eine andere Seite: eine clevere, publikumswirksame.
Die zeigt sich im Briefwechsel mit Siegfried Unseld, einem kürzlich im Suhrkamp Verlag erschienenen 800 Seiten starken und aufs Sorgfältigste edierten Band: eine höchst informative und ausserordentlich spannende Lektüre. Besser als so manches, was einem an aktueller Belletristik angeboten wird. Ich komme gleich darauf zurück.
Sprachgang zur Toilette
Zuvor ein paar Worte zur anderen Neuerscheinung, dem „Versuch über den stillen Ort“, auch im Suhrkamp Verlag erschienen. Das Büchlein kann man in die Reihe der früher geschriebenen essayistischen Erzählungen stellen (Versuche über die Müdigkeit, über die Jukebox und über den geglückten Tag). Erzählelemente verbinden sich mit Reflexionen, Stimmungen mit Gedankenbögen.
Missfallen muss gelegentlich auch der treueste Handke-Leser äussern können. Ich bin so einer – und hätte auf diesen Titel gut verzichten können. Allein die Idee, der Toilette und ein paar anderen Rückzugsorten erlesene und fast immer ernsthafte Spracharabesken zu widmen, bringt den Autor fast automatisch in die Nähe unfreiwilliger Komik. Da ist einfach nichts Poetisches dran, am WC – das scheint mir ein Gegenstand zu sein, der sich der Stilisierung, auch der gekonntesten, auch der Handkeschen, verweigert.
Autor und Verleger: verschiedene Sensibilitäten
Die Beziehung Autor-Verleger sei „von Natur aus kein Freundverhältnis“ hat Peter Handke in einer luziden Rede 2004 gesagt; er war da anderer Meinung als sein Verleger Siegfried Unseld. Beide haben, teilweise, Recht. Tatsächlich ist die Beziehung Autor-Verleger per se eine höchst komplizierte, gekennzeichnet von einer Reihe von schwer oder gar nicht zu vereinbarenden Elementen.
Der Briefwechsel Unseld-Handke, der 1965 mit dem einigermassen förmlichen Angebot an den 22-jährigen österreichischen Autor beginnt, den Roman „Die Hornissen“ bei Suhrkamp herauszubringen, und 2002, im Todesjahr Unselds, mit einem freundschaftlichen Brief Handkes endet, beschreibt auf geradezu exemplarische Weise das Auf und Ab, das Mögliche und das Unmögliche einer solchen Beziehung.
Der informative Wert des Buchs wird noch beträchtlich durch den Umstand gesteigert, dass in den Anmerkungen zu den einzelnen Briefen die akribischen Reiseprotokolle Unselds ausgewertet werden, in denen der Verleger jeweils Gespräche zwischen ihm und dem Autor zusammenfasst, was die Briefprosa in weitere Zusammenhänge einbindet.
Symbiose und Zerwürfnisse
Die Tatsache, dass Handke die meisten seiner Bücher bei Suhrkamp herausbrachte, vielfach zu seinen Bedingungen, der unermüdliche Einsatz, den Unseld dabei leistete, hat mit dazu beigetragen, dass Handke einer der in jeder Beziehung erfolgreichsten deutschsprachigen Autoren der Gegenwart wurde. Umgekehrt hat der Verlag vom zunehmenden Ruhm des ausgesprochen produktiven Autors, von den zeitweise beträchtlichen Absatzzahlen profitiert.
Trotz dieses offensichtlichen Aufeinanderangewiesenseins kam es zu derart schweren Zerwürfnissen, dass Handke mehrmals daran dachte, den Verlag zu verlassen. Ein paar eindrückliche, in heisser oder kalter Wut geschriebene Briefe zeugen davon. Dabei ist es dem jüngeren Sprachgenie, dem Solitär und Narziss vorbehalten, hemmungslos emotional – auch ungerecht – zu werden, während der ältere Adressat geradezu dazu verurteilt scheint, klaren Kopf zu bewahren, zu besänftigen. Und es bleibt Unselds Aufgabe, dem zornigen Handke in Erinnerung zu rufen: „Ich habe grosses Verständnis für Deine Sensibilität, die meine liegt auf einer anderen Wellenlänge, aber das musst Du auch verstehen.“
Singular und Plural
Unseld war der Prototyp des Verlegers, der sich um freundschaftliche Beziehungen zu „seinen“ Autoren bemühte. Aber es waren halt mehrere. Darunter solche, die sich gegenseitig nicht ausstehen konnten. Dass sein Verleger ein mit Widmung versehenes Buch von Marcel Reich-Ranicki herumliegen lässt, dass er Umgang pflegt (pflegen muss natürlich) mit dem Grosskritiker, den Handke in einem weissglühenden Brief das übelste Monstrum, „das die Literaturbetriebsgeschichte je durchkrochen hat“, nennt, kann der Autor nicht fassen. In einsichtigen Momenten, in Anwandlungen von Altersmilde wird er akzeptieren, dass er, dass der Autor immer nur im Singular dem Verleger gegenübertritt, wogegen jener Autoren im Plural vertritt.
Handke ist sich der Rolle als eines der Zugpferde des Verlags durchaus bewusst; er entwickelt sich im Laufe des Briefwechsels auch zu einem Geschäftspartner auf Augenhöhe, der Verträge, Absatzzahlen, Editionspolitik zu beurteilen weiss, der ausserdem auf einem Mitsprachrecht beharrt, wenn es um grafische Belange geht, um Umschläge, Schriftgrade, Anzeigen, der unerbittlich Klappentexte abserviert, Druckfahnen revidiert und dann die fertigen Bücher nach Druckfehlern durchforscht. Dem Verlag steht er gelegentlich als Übersetzer aus dem Französischen, dem Englischen, dem Slowenischen zur Verfügung, und er hat sich mehrfach dafür eingesetzt, dass kaum bekannte oder in Vergessenheit geratene Kollegen ihre Bücher bei Suhrkamp unterbringen konnten.
Handke und Unseld haben es trotz verschiedener Sensibilitäten, trotz des Singular-Plural-Problems, trotz der wohl noch tiefer liegenden Unvereinbarkeit (dass nämlich der Verleger darauf erpicht ist, bindende Verträge mit dem Autor abzuschliessen, während dieser, wenn er ein so existentiell mit dem Schreiben Verbundener wie Handke ist, meint, dass „das Recht auf meine Sachen, meine Lebenssachen, durch die Verlagsverträge mir nichts dir nichts flöten geht“) 37 Jahre lang verstanden, eine komplizierte Art von freundschaftlicher Beziehung im Dienste und zum Nutzen eines einzigartigen literarischen Werks aufrecht zu erhalten. Davon zeugt sehr eindrücklich der Briefband.