Die irakische Regierung und die amerikanische Botschaft im Irak haben beide Warnungen veröffentlicht, die besagen, der Damm von Mosul könnte möglicherweise brechen. Die Warnungen bezwecken eine Grundinformation für die Bevölkerung, damit diese sich auf alle Möglichkeiten einstellt. Das amerikanische und das irakische Dokument betonen, dass ein Dammbruch nicht wahrscheinlich sei, doch die Bevölkerung müsse wissen, welche Risiken bestehen.
Damm auf wasserlöslichem Grund
Der Mosul-Damm von 3,4 Kilometern Länge liegt 40 Kilometer stromaufwärts von Mosul. Er ist der viertgrösste im Nahen Osten. Er wurde 1986 in Betrieb genommen. Er wurde auf einem gipshaltigen Strombett errichtet. Die damaligen Ingenieure eines Konsortiums, das Hochtief leitete, schlugen vor, eine tiefe Schutzmauer in das Flussbett zu versenken, die unter die Gipsschicht reicht. Doch Saddam hatte es eilig. Statt der abschirmenden Mauer wurde eine Galerie angelegt, durch die beständige Injektionen von Zement eingeführt werden konnten.
Diese begannen sofort nach der Inbetriebnahme des Bauwerks und mussten seither beständig fortgeführt werden. Der Wasserdruck bewirkt, dass Hohlräume in der unter dem Damm liegenden Gipsschicht entstehen. Sie müssen kontinuierlich durch die Zementeinspritzungen gefüllt werden. Wenn dies nicht geschieht, droht die Gefahr, dass der darüber lagernde Damm einbricht.
Der Damm befand sich nach der Einnahme von Mosul durch den IS im Juni 2014 unter der Besetzung von IS-Kämpfern, wurde aber kurz darauf, am 17. August, von kurdischen Peschmerga zurück erorbert. Die Kurden erhielten dabei Hilfe durch die ersten amerikanischen Luftschläge. Damals wurden die Unterhaltungsarbeiten acht Wochen lang vollständig unterbrochen. Seither sind sie wieder aufgenommen worden, jedoch bloss teilweise. Viele der Spezialisten und Fachkräfte, die an dem Unterhalt arbeiteten, waren vor dem IS geflohen, und manche von ihnen sind nie mehr zurückgekehrt.
Verheerende Folgen
Der Dammbruch würde eine Sturzwelle auslösen, die katastophal für alle Siedlungen am Flusslauf ausfallen würde - bis hinab nach Bagdad, 400 Kilometer weiter südlich und darüber hinaus. Wie katastrophal, würde vom Wasserstand des Dammes im Augenblick des Zusammenbruch abhängen. Der Wasserstand ist im Augenblick niedrig. Doch in den Frühlingsmonaten erreicht er sein Maximum.
Die Flutwelle würde Mosul in 40 Minuten erreichen, die Städte am Tigris zwischen Mosul und Bagdad, wie Beiji, Samarra, Tikrit, in einem, zwei und drei Tagen, und Bagdad selbst mit seinen sechs Millionen Bewohnern in drei bis vier Tagen.
Das Ausmass der Fluten
Beide Dokumente enthalten die Anzahl von Kilometern, um die sich die Bewohner der Städte am Tigris vom Flussufer entfernen müssten, um sich vor der Flut zu retten. In Mosul wären dies 6 Kilometer, in Tirkit 5, in Samarra 6,5, in Bagdad 5 Kilometer. Die Höhe der Fluten könnte in Mosul bis zu 21 Meter erreichen, in Bagdad noch 12 Meter.
Die Zahl der Menschen, deren Leben gefährdet wäre, wird auf 500´000 bis 1,4 Millionen geschätzt. Betroffen durch die Fluten wären Abermillionen. Die Fluten würden im flachen Gelände von Bagdad und vieler anderer Städte einschliesslich Mosuls lange Zeit stehen bleiben. Den Zerstörungen würden Krankheiten wegen Wasserverunreinigung folgen.
Unterschätztes Risiko
Die Gefährdung des Damms war seit seiner Wiedereinnahme durch die Kurden bekannt. Doch die für den Damm zuständigen irakischen Bewässerungsbehörden hatten sie bis in die letzten Tage heruntergespielt. Wieder und wieder erklärten sie, der Damm sei sicher und werde überwacht.
In den letzten Wochen wurde jedoch ein Bericht von amerikanischen Armeeingenieuren bekannt, die den Damm untersucht hatten. Der Bericht war im Februar der Wasserkommission des irakischen Parlamentes übergeben worden. Darin stand als abschliessende Aussage: "Die Informationen, die im Verlauf des vergangenen Jahres gesammelt wurden, machen klar, dass der Mosul-Damm heute unter einem bedeutend höherem Risiko des Zusammenbruchs steht, als es vor einem Jahr bekannt war."
Warnung der Amerikaner
Die amerikanische Warnung, die offiziell an die im Irak befindlichen Amerikaner gerichtet war, ist bedeutend schärfer ausgefallen als jene, die gleichzeitig von den irakischen Behörden veröffentlicht wurde. Der Text der Amerikaner sagt unter anderem: "Der Mosul-Damm steht unter ernster, bisher nie da gewesener Gefahr eines katastrophalen Zusammenbruches ohne grosse Warnfrist. Dies würde schwere Verluste an Menschenleben bringen, Massenflucht der Bevölkerung, Zerstörung der meisten Infrastrukturen innerhalb des Flutweges." Man kann darin auch lesen: "Wir haben keine genaue Informationen, die sagen, wann es zu einem Bruch kommen könnte. Doch möchten wir unterstreichen, dass eine rasche Evakuierung die nützlichste Massnahme ist, um Hunderttausende von Menschen zu retten, die innerhalb der Überflutungsgebiete leben, falls es zu einem Dammbruch kommt."
Über Bagdad sagt der Bericht: "Die Mehrheit der sechs Millionen Einwohner Bagdads wäre wohl ebenfalls negativ betroffen. Sie müsste mit Flucht, zunehmender Krankheitsgefährdung, eingeschränkter Beweglichkeit, Verlust von Heimen, Gebäuden und Dienstleistungen rechnen."
Vorgebliche Regierungsmassnahmen
Die Warnung der Regierung ist weniger brüsk ausgefallen. In ihr heisst es: "Der Dammbruch ist sehr unwahrscheinlich, besonders angesichts der technischen und administrativen Massnahmen der Regierung. Doch die ernsten Folgen im Falle, dass es geschieht, machen eine Warnung notwendig. Wir haben ein Paket von vorbeugenden Empfehlungen ausgearbeitet, die alle Betroffenen berücksichtigen sollten."
Die Regierung hat mit der italienischen Firma Trevi im Februar einen Vertrag ausgehandelt, nach dem diese Firma die Arbeiten an dem gefährdeten Damm übernehmen soll. Es heisst auch, 450 italienische Soldaten seien als Schutz der italienischen Mannschaften von Facharbeitern vorgesehen, weil der Damm nach wie vor in der Nähe des Machtbereiches des IS liegt. Doch ob der Vertrag bereits fest steht, und wann die Arbeiten angepackt werden sollen, ist nicht klar. Vertreter von Trevi erklärten, der Vertrag sei noch nicht unterschrieben.
"Keine Gefahr" - sagt das Ministerium
Beamte des Bewässerungsministeriums versuchten, die Gefahr noch weiter herunterzuspielen. Sie erklärten Journalisten, "ähnliche Alarme" habe es schon in den Jahren 2005, 2006 und 2007 gegeben. Auch sei der Umstand, dass der gegenwärtige Wasserspiegel sehr niedrig sei und der Damm bloss etwa ein Drittel des maximalen Wasserstaus zurückhalte, eine "Gewähr dafür, dass der Damm sicher bleibt". Diese Argumente treffen angesichts der oben erwähnten Umstände nur teilweise zu.
Zwang zur Stellungnahme
Die beiden Veröffentlichungen - zuerst seitens Amerikaner, dann seitens der Regierung - erwecken den Eindruck, dass die Amerikaner vorgeprescht sind, um die Regierung zu zwingen, ihrerseits öffentlich Stellung zu beziehen und in der Folge auch aktiver zu werden, als sie es bisher gewesen war.
Seit dem Sturz Saddam Husseins im Jahr 2003 haben sich alle irakischen Regierungen als unfähig erwiesen, die angeschlagenen Infrastrukturen des Irak zu reparieren. Dies betrifft die Lieferung von genügend Elektrizität, Trinkwasser und Benzin.
Der Moloch der Korruption
Während der Jahre des hohen Erdölpreises stand viel Geld zur Verfügung, doch das meiste versickerte in den Abgründen der Korruption. In den letzten Jahren, seit der Erdölpreis sank und gleichzeitig der Krieg gegen den IS weite Teile des Landes in Mitleidenschaft zog, sind die finanziellen Verhältnisse prekärer geworden, wobei die Korruption die Lage zusätzlich verschärft. Ministerpräsident Haidar al-Abadi hat versprochen, er wolle sie mit allen Mitteln bekämpfen, und der im Lande einflussreichste Geistliche, Ayatollah Sistani, hat ihn dabei unterstützt. Doch bis jetzt haben die angekündigten Schritte gegen die Korruption wenig Resultate hervorgebracht.
Al-Abadi hat eine grössere Zahl von Vize-Präsidenten und Staatsministern entlassen, die bisher aus Gründen des innenpolitischen Gleichgewichts der verschiedenen Gruppierungen und Parteiungen Gehälter empfangen hatten, ohne viel dafür zu leisten. Doch dabei ist es bisher geblieben. Der Aufbau von leistungsfähigen Ministerien scheitert nach wie vor daran, dass diese als Pfründe an diejenigen Fraktionen, die als Gegenleistung für die Regierung stimmen, verteilt worden sind und funktionieren. Korrupte Verhältnisse finden sich immer noch in Teiles des im Abwehrkampf gegen den IS stehenden Heeres. Hier soll es nach wie vor "Geistersoldaten" geben, die nur auf dem Papier existieren. Zu hoffen ist nur, dass am Mosul-Damm die dringend notwendigen Arbeiten nicht nur auf dem Papier sondern wirklich in dem gipshaltigen Untergrund der Staumauer durchgeführt werden.