Amerikas Regierung unter Barack Obama wollte Guantanamo schliessen, die Gefangenen vor ordentliche Gerichte stellen und mit den illegalen Verhörmethoden Schluss machen. Daraus ist nicht viel geworden. Gibt es sozusagen eine Tendenz, gegen die sich selbst eine wohlmeinende Administration nicht stemmen kann?
Albrecht: Guantanamo war sicherlich nicht unausweichlich und wird sich als Tendenz auch nicht durchsetzen. Bei Guantanamo geht es um Personen, die verdächtig sind, in terroristische Gewalt verstrickt zu sein. Diese Personen will man aus der normalen gerichtlichen Kontrolle heraushalten. Das ist rechtlich aber nicht möglich. Amerikanische Gerichte haben ganz klar darauf gedrungen, dass der rechtliche Schutz auch auf diese Gefangenen angewendet wird. Damit ist Guantanamo erledigt.
Genauso erledigt ist die Frage, die unter George W. Bush gestellt wurde: Gibt es unterhalb der Folter Vernehmungsmethoden, die zwar intensiv sind, aber nicht unter den Begriff Folter fallen? Dürfen die angewendet werden? Auch hier ist die Antwort klar und von der Regierung Obama akzeptiert. Es gibt allerdings Verhörmethoden, die man nicht als Folter einstuft, die aber gleichwohl verboten sind.
Der Begriff der Folter bezieht sich darauf, dass jemandem schwere körperliche Schmerzen zugefügt werden. Man kann versuchen, unterhalb dieser Schwelle zu bleiben. Dann aber würden diese Methoden immer noch als „unmenschlich“ gemäss der Anti-Folter-Konvention international unter Strafe stehen. Dazu gehört das Waterboarding.
Trotzdem hat die Obama-Administration sich in jüngster Zeit zunehmend an der alten Bush-Linie orientiert.
Albrecht: Das politische Risiko ist natürlich hoch. Stellen Sie sich vor, Terrorverdächtige würden wegen der Anwendung der Folter freigesprochen, was durchaus denkbar wäre! Zudem zeigt sich, dass einzelne freigelassene Terrorverdächtige im Jemen, in Afghanistan und Pakistan wieder in ihre alten Netzwerke eingetaucht sind. Dennoch bin ich der Meinung, dass die amerikanische Justiz die jetzigen aussergesetzlichen Zustände auf Dauer nicht hinnehmen wird.
Die USA stufen Terrorverdächtige als „enemy combatants“, als feindliche Kämpfer, ein? Gibt es diese Kategorie als juristischen Begriff?
Albrecht: Den „enemy combatant“ gibt es nicht. Die internationalen Konventionen differenzieren zwischen dem Töten von Gruppen von Personen, wenn es sich um kriegerische Auseinandersetzungen handelt. Die Frage ist natürlich, wie jetzt in Afghanistan oder auch in Pakistan, ob man da von einem Krieg ausgeht, oder ob es sich dabei um etwas unterhalb eines offenen Krieges handelt. Die Konventionen bieten für alle diese Situationen angemessene Vorschriften. Sie sehen keine eigene Kategorie des „ enemy combatant“ vor, der ohne richterlichen Schutz dauerhaft in Gewahrsam genommen werden kann.
Trotzdem heisst es von 50 der knapp 200 Gefangenen in Guantanamo, dass sie nicht vor ordentliche Gerichte gestellt werden können. Sie könnten aber, heisst es, auch nicht freigelassen werden, weil sie zu gefährlich sind. Müssen diese Leute lebenslänglich in einer Zelle schmachten?
Albrecht: Das ist eine faktische, keine rechtliche Sache. Die rechtlichen Grundlagen sind klar, und die rechtlich begründete Entscheidung wäre auch klar. Entweder sind diese Personen wegen einer schweren Straftat oder der Beteiligung an einer schweren Straftat abzuurteilen, oder es gibt keine Handhabe, sie dauerhaft zu inhaftieren.
Dann ist Guantanamo und anderes, was damit zusammenhängt, aus rechtlicher Sicht bloss eine Episode?
Albrecht: Das wird eine Episode bleiben. Dahinter steht allerdings eine Frage, die auch in Europa diskutiert wird: Welche Möglichkeiten gibt es, Personen, die man als gefährlich einschätzt, zu neutralisieren? Ex-Bundesinnenminister Otto Schily hat darüber laut nachgedacht.
Er hat gefragt, ob es Rechtsgrundlagen dafür gibt, oder ob man dafür welche entwickeln kann, um vermutete Gefahren abzuwehren. Das wäre eine Präventivhaft. Das Recht kennt dafür allerdings nur die kurzfristige polizeirechtliche Massnahme – bis zu zwei Wochen. Dafür gibt es die Landespolizeigesetze. Die setzen aber voraus, dass eine unmittelbare Gefahr von der betreffenden Person ausgeht. Die muss nachgewiesen sein. Das untersteht der Kontrolle der Verwaltungsgerichte.
Das ist nur dann sinnvoll, wenn man zum Beispiel an Hooligans denkt. Diese rechtliche Grundlage eignet sich natürlich nicht für Personen im Zusammenhang mit Guantanamo. Denn diesen Personen ist kaum nachzuweisen, dass von ihnen eine konkrete Gefahr ausgeht. Die Einschätzungen weisen auf eine allgemeine Gefahr hin: Es wird davon ausgegangen, dass diese Personen, wenn sie frei kämen, sich früher oder später aufständischen oder terroristischen Gruppen anschliessen – oder auch nicht.
Für solche Fälle ist die polizeiliche Präventivhaft nicht gedacht. Die blosse Möglichkeit, dass sich diese Personen terroristischen Gruppen anschliessen, wird auch durch andere Möglichkeiten der Präventivhaft nicht erfasst.
Also gehören auch die als besonders gefährlich geltenden 40 Gefangenen in Guantanamo auf jeden Fall vor zivile Gerichte? Allerdings hat Präsident Obama erst kürzlich den Entscheid, Khalid Sheik Mohammed (einer der Drahtzieher der Anschläge vom 11. September 2001) von einer zivilen Instanz aburteilen zu lassen, rückgängig gemacht.
Albrecht: Diese Häftlinge gehören vor Zivilgerichte. Wenn man die konventionellen Massstäbe anlegt, handelt es sich um Personen, die schwere Straftaten begangen oder vorbereitet haben. Im Fall von Khalid Sheik Mohammed handelt es sich wahrscheinlich um Teilnahme an einem dreitausendfachen Tötungsdelikt. Das gehört vor ein ganz normales ziviles Strafgericht. Militärtribunale und die militärische Strafjustiz haben zwei Ansatzpunkte.
Erstens sollen sie Straftaten von Armeeangehörigen, die während militärischer Aktivitäten begangen werden, aufarbeiten. Zweitens geht es um die Aufarbeitung von Sachverhalten, die im Zusammenhang mit kriegerischen Handlungen entstehen. Bei den Delikten, die den Gefangenen in Guantanamo zur Last gelegt werden, handelt es sich nicht um kriegerische Auseinandersetzungen, sondern um Straftaten.
Sie sagen also, dass terroristische Straftaten voll durch unsere zivilen Gesetze erfasst werden. Es braucht also keine Militärtribunale. Aber vorhin haben Sie über präventive Haftgründe gesprochen, die durch unsere Gesetze nicht erfasst sind. Reichen angesichts der neueren Entwicklung des Terrorismus die herkömmlichen Haftgründe nicht mehr aus?
Albrecht: Das ist richtig. Für die Personen, die jetzt in Guantanamo einsitzen und nicht angeklagt werden, weil davon ausgegangen wird, dass sie sich in der Zukunft an terroristischen Gewalttaten beteiligen könnten, haben weder internationale noch nationale Rechtssysteme Grundlagen entwickelt, die so etwas wie Präventivhaft ermöglichen würden.
Diese Gefangenen sind aber weder Gewohnheitsverbrechern noch Geisteskranke. Vielmehr sind es rational kalkulierende Menschen. Es wäre zu gefährlich, wenn Staaten Gesetze für die Präventivhaft auch in solchen Fällen erlassen würden.
Wenn man eine Matrix hätte, aus der ersichtlich wäre, wer terroristische Straftaten begehen könnte, und präventiv etwas gegen diese Personen unternehmen wollte, würde das unseren Rechtsstaat doch untergraben.
Albrecht: Natürlich. Das Problem besteht darin, dass man Entscheide auf eine Prognose stützt. Prognosen können mehr oder weniger gut begründet sein. Mit jeder Prognose aber ist verbunden, dass sie falsch negativ oder falsch positiv sein kann. Das heisst, es werden Personen inhaftiert, die keine Gefahr darstellen, oder es werden Personen nicht inhaftiert, die eine Gefahr darstellen. Deswegen gilt ja für die Sicherheitsverwahrung der Grundsatz, dass jemand schon zwei oder drei Mal mit einer Straftat aufgefallen sein muss.
Der Schutz der Freiheitsrechte, den zum Beispiel die Europäische Menschenrechtskonvention garantiert, steht indes in einem gewissen Widerspruch zu Schutzinteressen. Das liegt auch daran, dass zum Beispiel die Zusammenarbeit mit arabischen Ländern zum Teil wegen Menschenrechtsfragen problematisch ist. Umgekehrt werden gerade deswegen bestimmte Personen in solche Länder geschickt, um sie „verschärften“ Verhörmethoden auszusetzen.
Angenommen, die Amerikaner stellen die Gefangenen von Guantanamo doch noch vor zivile Gerichte. Wie steht es dann mit der Verwertbarkeit von Aussagen, die unter Folter gemacht wurden? Es heisst ja, dass diese Missbräuche inzwischen gestoppt worden seien und das FBI die Leute neu vernommen habe. Damit handle es sich um „saubere“ Aussagen. Muss es neue Massstäbe für die Verwertbarkeit von Aussagen geben?
Albrecht: Grundsätzlich gehe ich davon aus, dass die bisherigen Verwertungsregeln die unterschiedlichen Interessenlagen berücksichtigen. Unter Zwang entstandene Aussagen dürfen nicht verwertet werden. Das hat in Deutschland ja auch der Fall Gäfgen (Magnus Gäfgen entführte und tötete 2002 den elfjährigen Bankierssohn Jakob von Metzler) erneut gezeigt.
Im Fall Gäfgen wurde auch diskutiert, ob zum Beispiel der Fund der Leiche, der durch eine Aussage, die unter Druck zu Stande gekommen war, möglich wurde, im Gerichtsverfahren eine Rolle spielen durfte. In Amerika, aber auch in Deutschland im Zusammenhang mit dem Fall Gäfgen wird die Frage diskutiert, ob die Tatsache, dass Aussagen unter Zwang zu Stande gekommen sind, nicht ein grundsätzliches Verfahrenshindernis darstellt.
Wenn die Ausübung des Drucks sich noch auf tieferem Niveau bewegt hat, kann man davon ausgehen, dass eine neue Befragung brauchbare Ergebnisse liefert. Beim massiven Einsatz von Gewalt aber kann man argumentieren, dass ein faires Strafverfahren nicht mehr vorstellbar sei. Ob man da sagen kann, man warte ein paar Wochen und kriege ein faires Verfahren, ist wohl sehr fraglich.
Wegen des Terrorismus hat sich auch die Kriegsführung verändert. Heute werden feindliche Kämpfer auch mittels Drohnen getötet. Diese werden zum Teil von Amerika aus gesteuert. Wie steht es da mit der Strafbarkeit? Wenn ein US-Pilot in einem Container bei Las Vegas eine Drohne steuert, die auch Zivilisten umbringt, kann der belangt werden?
Albrecht: Grundsätzlich geht es um die Frage, ob solche Angriffe unabhängig von geschädigten Zivilpersonen überhaupt legal sind oder nicht. Das kann man verschieden sehen.
Zunächst einmal muss geklärt sein, ob es sich im konkreten Fall um eine kriegerische Auseinandersetzung handelt oder nicht. Im Krieg ist das Töten von Feinden erlaubt. Geht man aber davon aus, dass es sich um Beschuldigte handelt, ist die Tötung von Tatverdächtigen oder von Personen, bei denen man annimmt, dass sie Straftaten begehen könnten, an sich nur dann erlaubt, wenn die klassischen Rechtfertigungsgründe vorliegen. Das ist eine Notwehrsituation oder ein Notstand. Beides muss allerdings massiv sein.
Ob das auf die Situationen in Pakistan und in Afghanistan zutrifft, ist eine gute Frage. In Israel kann man die Praxis des gezielten Tötens eher unter den klassischen Rechtfertigungsgründen sehen. In den USA ist das wohl eher nicht der Fall. Allerdings ist kaum anzunehmen, dass dort ein Staatsanwalt einen solchen Fall aufgreift. Eher dürfte dies im Ausland geschehen. Ob man das als potenziellen Fall für den Internationalen Strafgerichtshof betrachtet, hängt davon ab, ob die Voraussetzungen der Tatbestände im Rom-Statut (der vertraglichen Grundlage des ICC) als gegeben angesehen werden.
Laut europäischem Rechtsverständnis ist schwer nachzuvollziehen, dass eine Firma wie Blackwater, die im Auftrag der US-Regierung im Irak tätig war, in Amerika Straffreiheit geniesst. Das hat das Aussenministerium in Washington so entschieden. Kann eine Regierungsbehörde Immunität gewähren?
Albrecht: Grundsätzlich ist das vorstellbar in Systemen, in denen es keine Pflicht zur Strafverfolgung gibt, wo die Strafverfolgung im Ermessen des Staates liegt. Frankreich ist ein Beispiel dafür. In Deutschland wäre das schwer denkbar. Hier kann man einen solchen Ad-hoc-Schutz vor Strafverfolgung nicht implementieren. Denn die Staatsanwaltschaften müssen auf Grund des Legalitätsprinzips ermitteln und Strafverfahren einleiten. Ausnahmen bilden jene Fälle, in denen auf Grund von besonderen Not- oder Bedrohungslagen Strafverfahren nur dann eingeleitet werden können, wenn die Bundesregierung zustimmt.
Nach der Militäraktion Israels im Gazastreifen im Winter 2009 haben norwegische Anwälte angekündigt, gegen Vertreter der israelischen Regierung klagen zu wollen. Diese hätten sich Kriegsverbrechen schuldig gemacht. Wie gross sind die Erfolgsaussichten einzelner Staaten, anderen Staaten ethisch-moralisch auf die Sprünge zu helfen?
Albrecht: Das ist eine Folge des so genannten Weltrechtsprinzips. Dessen Entwicklung hätte man sich vor 20 oder 30 Jahren gar nicht vorstellen können. Aber es ist in den Strafrechtsbüchern der einzelnen Staaten enthalten, auch im allgemeinen Teil des Strafgesetzbuches der Bundesrepublik Deutschland. Das Weltrechtsprinzip bezieht sich auf jene Straftaten, die durch Uno-Konventionen unstrittig definiert worden sind.
Allerdings kann dieses Prinzip zu schweren Konflikten führen, wenn Handlungen unter Strafe gestellt werden, die in einzelnen Ländern nicht strafbar sind. Viele Regierungen fürchten, dass irgendwo Anzeigen wegen Sachverhalten in Tibet, Afghanistan, Somalia oder in Gaza erstattet werden und Staatsanwälte das aufgreifen. Das Problem dieses Ansatzes liegt darin, dass Staatsanwälte sich dann um Sachverhalte kümmern, die geografisch weit entfernt sind. Auf der anderen Seite ist dadurch eine erhöhte Sensibilität für gewisse Vorgehen geschaffen worden.
Heisst das auch, dass der Internationale Strafgerichtshof Zugriff auf US-Bürger haben könnte, obwohl Washington diese Instanz nicht anerkennt?
Albrecht: Grundsätzlich ist das möglich, allerdings müsste der Fall dann durch den Uno-Sicherheitsrat gehen. Man muss nicht Mitglied des Rom-Statuts sein, um Angeklagte zu stellen.
Ohne Zustimmung des Sicherheitsrates wird der Gerichtshof in Den Haag aber nicht tätig. Im Übrigen ist er subsidiär. Er kann nur dann aktiv werden, wenn der Staat, in dem die strafbaren Handlungen stattgefunden haben und aus dem die Angeklagten stammen, sich selbst nicht in der Lage sieht oder bereit erklärt, die Strafverfolgung aufzunehmen.
Für wie effizient halten Sie Sondertribunale wie jene zu Ex-Jugoslawien oder zu Ruanda?
Albrecht: Das Jugoslawien-Tribunal war in den ersten Jahren ein wirksames Instrument, um zu verdeutlichen, dass bestimmte Taten nicht mehr toleriert werden.
Bei Ruanda ist das schon schwieriger, weil dieses Land selbst in der Lage war und ist, Strafverfahren durchzuführen. Das Ruanda-Tribunal steht also unter dem Druck nachzuweisen, dass etwas herauskommt, was über das hinausgeht, was im Lande selbst erreicht werden könnte. Das ist eine völlig andere Situation als im ehemaligen Jugoslawien. Serbien war nie bereit, Strafverfahren anzustrengen, und in Kroatien gab es grosse Vorbehalte.