Auf solche Fragen junger Leute gibt es nur eine Antwort: Ja nicht Kommunikation oder Journalismus. Zuerst sollte etwas «Richtiges» studiert werden, also etwa Biologie, Geschichte, Wirtschaft, Physik, Recht, Philosophie oder Sinologie. Die meisten Journalisten und vor allem Korrespondenten sind im Berufsalltag dann Allrounder, und mit einem Fachstudium können sie einmal im Leben ganz und umfassend in die Tiefe gehen. Das journalistische Handwerkszeug lässt sich nach dem Studium in der Praxis und in Kursen aneignen. Der beste Einstieg in den Journalismus ist nach Ansicht Ihres Korrespondenten eine Lokalredaktion, denn auf dieser Ebene kann man dem Leser kein X für ein U vormachen, denn der Leser – Gender-Maskulinum, jawoll ohne Sternchen und sonstigen sprachlichen Firlefanz-Unfug – kann genauestens kontrollieren und beurteilen, was vor seiner Haustüre vor sich geht.
Das ist, beispielshalber als China-Korrespondent, anders. Der kluge Leser und die aufmerksame Leserin können die Berichterstattung natürlich nicht kontrollieren. Das gegenwärtige China-Bashing und die falschen Informationen über das Reich der Mitte in den westlichen und zumal schweizerischen Medien zeigen das überdeutlich. China-Korrespondent wird man übrigens oft als studierter Sinologe. Unter diesen Sinologie-Journalisten gibt es, nach Ansicht Ihres Korrespondenten, seit Jahrzehnten und bis heute nur zwei Sorten: die China-Hasser und jene, die China über alles lieben. Ihr Korrespondent übrigens ist nicht Sinologe, sondern kam eher zufällig nach China. Nach zehn Jahren am Schweizer Farbfernsehen und als stellvertretender Chefredaktor auf der höchsten Stufe der Inkompetenz angekommen, wollte Ihr Korrespondent wieder nach Südamerika zurück. Eines Tages rief der Zürcher Tages-Anzeiger an und sagte, es wäre eine Stelle frei. Aber nicht in Südamerika sondern in Peking. Es wurden insgesamt 25 Jahre China.
Ohne Fernsehen
Lange vor dem Studium wird man von seiner Jugend geprägt. Wohl fürs ganze Leben. Vom Luftschutzbunker im 2. Weltkrieg bis hin zur Grenadierrekrutenschule in Losone – das waren die entscheidenden Jahre Ihres Korrespondenten hin zum Journalismus rund um den Globus vornehmlich in Ländern der Dritten Welt. Schon früh begann ich Zeitungen zu lesen, ganz einfach deshalb, weil ich jeweils am Sonntagabend die National Zeitung und die Basler Nachrichten für die Eltern holen musste. Das waren noch Zeiten ohne Fernsehen, ohne Internet, und selbst das alte Dampf-Radio war damals noch nicht so auf letzte Nachrichten – oder Neudeutsch «breaking news» – getrimmt. Die Zeitungen kamen damals an Werktagen dreimal, d. h. am Morgen, Mittag und Abend heraus. Die Sonntagabend-Ausgabe war die erste Ausgabe des Montag Morgenblatts.
Zeitungen lesen lernte ich von meiner Mutter. Sie begann immer mit der letzten Seite, weil dort die neuesten Nachrichten abgedruckt waren. Noch heute lese ich Tageszeitungen von hinten nach vorne, wie einst die Mutter. Allerdings aus einem andern Grund. Sich in einer Zeitung heute vom Feuilleton, der Kultur, dem Wissen oder dem Sport auf die Frontseite vorzuarbeiten, verändert ein wenig die Weltsicht. Mit andern Worten: Klimawandel, Corona oder Afghanistan sind zwar wichtig, aber es gibt noch andere, genauso wichtige Fakten und Entwicklungen, die zum Nachdenken über Gegenwart und Zukunft veranlassen.
Antikommunismus
Neben Zeitungen waren in jenen Jahren auch Bücher sehr wichtig. Autoren wie beispielshalber Weber, Camus, Fanon, Sartre, der junge Marx oder Marcuse standen ganz oben auf der Leseliste. Das aber war gefährlich, denn im Internat Père Girard am Collège Saint Michel in Fribourg standen solche Autoren natürlich auf dem katholischen Index. Wurde man erwischt, drohte der Schulausschluss. Camus lesende Teenager zu entlarven war damals in Fribourg wichtiger als pädophile Padres aus dem Verkehr zu ziehen.
Die 1950er-Jahre waren voller Dramatik. Der Koreakrieg, der extreme Antikommunismus in den USA, die Unabhängigkeitskriege in Indonesien und Vietnam, der Ungarnaufstand sowie die Anti-Stalinrede Chruschtschows 1956 oder der Wiederaufstieg Deutschlands, an dem auch alte Nazis beteiligt waren, allen voran ein Staatssekretär im Kabinett Adenauers, der beim Verfassen der antijüdischen Nürnberger Gesetze 1937 beteiligt war. Auch die Schweiz kopierte den extremen Antikommunismus der USA, wobei das selbsternannte Leitblatt von der Zürcher Falkenstrasse unter dem Beifall der Elite Adresse und Telephonnummer eines bekannten marxistischen Intellektuellen publizierte und ihn so quasi zum Abschuss freigab.
Rekrutenschule
Am Schluss der steilen Lernkurve der 1950er-Jahre kam die Rekrutenschule. Bereits in der ersten Woche traute ich meinen Ohren nicht. Die Büchsen-Fleischkonserve wurde von allen, auch den Offizieren, ganz selbstverständlich als «Gschtampfte Jud» bezeichnet. Ich wandte mich an den Schulkommandanten, der verwies mich an den Armee-Seelsorger. Der wiederum fragte zuerst, ob ich Jude sei, dann meinte er, ich sei einfach allzu sensibel, man sollte – wörtlich – «nicht alle Wörter auf die Goldwaage legen». Danach eine Intervention in Bern. Der Bescheid kam schnell: Armee-Psychiater. Aber nicht für den Schulkommandanten, sondern für Rekrut Achten. Auch beim Quacksalber dieselbe Antwort: Man solle nicht alles «so ernst und wörtlich» nehmen. Wie bitte?
Die Büchsenfleischkonserve wurde noch bis am Anfang der 1990er-Jahre von den meisten Wehrmännern ganz selbstverständlich als «Gschtampfte Jud» bezeichnet. Reaktionen von Armeechefs, der Offiziersgesellschaft, des Wehrministers? Der jetzige Armeechef General Thomas Süssli sowie auch eine ganze Generation von Politikern und Wirtschaftsführern oder Lehrern gingen zur Rekrutenschule, als «Gschtampfte Jud» noch üblich war. Wie denken sie alle heute darüber? Drei-Stern-General Süssli zerbricht sich darüber wohl gar nicht den Kopf, er hat ja mit der Flugzeugbeschaffung genug zu tun. Zudem stehen ja schliesslich Moral und Ethik, wenn überhaupt, nur weit unten auf dem Anforderungsprofil hoher, höherer und höchster Offiziere, zumal eines Generals.