Am Sonntag haben die Bremer ihren neuen Landtag gewählt. Für den Bund ergeben sich aus den Resultaten keine unmittelbaren Rückschlüsse. Trotzdem werden die Strategen in der einen oder anderen Berliner Parteizentrale ins Grübeln geraten.
Die Stadt Bremen bildet zusammen mit Bremerhaven (gemeinsam 680’100 Einwohner) ein eigenes Bundesland. Das kleinste in Deutschland. Da dieser Zustand aus mannigfaltigen Gründen immer mal wieder infrage gestellt und stattdessen die Eingliederung in das umgebende Niedersachsen empfohlen wird, behaupten die Hanseaten steif und fest, sie seien das «Wunschkind der Verfassung» und deshalb dürfe auch nichts verändert werden. In Wirklichkeit geht die herausgehobene Stellung auf das Faktum zurück, dass die Amerikaner nach dem Krieg bevorzugt Bremerhaven als militärischen Ver- und Entsorgungsplatz nutzten. Sogar einen eigenen Sender bekam der Stadtstaat zugestanden. Es ist der kleinste innerhalb des ARD-Verbandes.
Schon mit 16 Jahren wahlberechtigt
Diese Beschreibung bedeutet keine Verniedlichung. Denn unabhängig von seiner Grösse besitzt Bremen natürlich, wie jedes der 15 anderen Bundesländer auch, Sitz und Stimme im Deutschen Bundesrat – der Zweiten Kammer im Berliner Politbetrieb, in der die Länder Einfluss auf die Arbeit der Regierung und die Gesetzgebung des Bundestages nehmen können. Tatsächlich hat das Votum der rund 470’000 dort schon mit 16 Jahren wahlberechtigten Bremer und Bremerhavener Bürgerinnen und Bürger an den Mehrheitsverhältnissen in der Länderkammer an der Spree nichts geändert. Denn an der Mündung der Weser wird es keine Änderung geben. Wenigstens nicht an der Spitze.
Trotzdem werden in manchen Berliner Parteizentren die Köpfe rauchen. Denn schon lange hat es sich im «grossen Kanton» eingebürgert, praktisch jeden Urnengang (also selbst Kommunalwahlen) auf seine mögliche Aussagekraft für die Bundespolitik hin abzuklopfen. Und da lässt sich aus «Bremen» in der Tat einiges ablesen. Erstens: Wahlsieger am Sonntag war die SPD. Sie wird mit Andreas Bovenschulte weiterhin den Regierungschef stellen. Mit anderen Worten – die sozialdemokratische Tradition bleibt gewahrt, wonach nach 1945 immer ein SPD-Mann die Nummer eins in Bremen war. Mehr noch, mit Männern wie zum Beispiel Wilhelm Kaisen, Hans Koschnick oder Henning Scherf kamen aus Bremen durchaus Persönlichkeiten, die das deutsche Erscheinungsbild insgesamt massgeblich mitprägten. Und so war es fast landestypisch: Ausweislich sämtlicher Umfragen und Analysen hat die SPD es praktisch ausschliesslich der persönlichen Popularität ihres Spitzenkandidaten (und schon bisherigen Bürgermeisters) Andreas Bovenschulte zu verdanken, dass sie mit 28,8 (plus 4,9) Prozent nach einem Zwischentief vor vier Jahren die CDU (25,7 = minus 1 Prozent) wieder überflügeln konnte.
Weiter Rot-Rot-Grün?
Bovenschulte führte während der vergangenen vier Jahre im Bremer Rathaus eine Koalition mit den Grünen und der Partei Die Linke. Das Dreierbündnis war seinerzeit deshalb nötig, weil die Christdemokraten – zum ersten Mal in Bremen – 2019 stärkste Kraft geworden waren. Jetzt könnte er – rechnerisch – Rot-Rot-Grün fortsetzen. Wobei die Linke mit 11,1 Prozent (minus 0,2) praktisch unverändert parat steht. Ganz anders dagegen die in Bremen normalerweise besonders starken Grünen, die es dieses Mal ganz böse erwischt hat. Das 11,9-Prozent-Ergebnis bedeutet einen Verlust von 5,5 Prozentpunkten und damit eine «Verschlankung» um nahezu ein Drittel. Erste Konsequenz: Die bisherige Frau an der Parteispitze, Maike Schaefer, in der abgelaufenen Wahlperiode als Senatorin auch zuständig für zahlreiche höchst umstrittene Strassenverkehrsexperimente, wozu die Abschaffung der so genannten Brötchentaste für Kurzzeitparker an Parkautomaten gehörte, gab sämtliche Ämter auf und beendete ihre politische Karriere.
Unabhängig davon freilich gibt das Stimmungsbild von Bremen sowohl den sozialdemokratischen Strategen im Berliner Willy-Brandt-Haus als auch (vor allem) in der Zentrale der Grünen Anlass zu verstärktem Nachdenken. Ohne das persönliche Ansehen des Zweimeter-Mannes an der Weser hätte es vermutlich eine Klatsche von den Wählern gegeben. Denn die ermittelten Parteiwerte als Spiegelbild für die von Olaf Scholz geführte «Ampel» an der Spree ergäben ein höchst ernüchterndes Erwachen. Genau wie schon im Saarland und in Niedersachsen – die Bürger haben in allen drei Ländern, zum Glück für die SPD, Personen gewählt, aber nicht der Partei ihr Vertrauen ausgesprochen.
Fatale Folgen einer Vetternwirtschaft
Unter den Grünen bebt zurzeit, keine Frage, die Erde. Gut gemeint ist nicht immer auch gut gemacht. Klimarettende Politik will den Bürgern eben auch verständlich erklärt werden und – noch wichtiger – für sie auch bezahlbar sein. Im Klartext: Das von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck als Schnellschuss vorgelegte Gesetz zum künftigen Heizen hat sich mittlerweile zu einem veritablen Rohrkrepierer entwickelt. Weder finanziell umsetzbar, noch technisch zu stemmen. Und dann, zu allem Überfluss, auch noch Personalentscheidungen, denen ein strenger Geruch von Vetternwirtschaft anhaftet. Derartiges ist im politischen Geschehen zwar nicht zum ersten Mal passiert, wird jedoch den Grünen besonders angekreidet, weil sie sich bislang gern als Moralapostel präsentierten. Entsprechend nun die Bestrafung.
Robert Habeck, Annalena Baerbock und das übrige grüne Führungspersonal dürften also alle Hände voll zu tun haben, um wieder Ruhe und Ordnung in den Verein zu bekommen. Immerhin stehen am 8. Oktober sowohl in Hessen als auch in Bayern ebenfalls Landtagswahlen an. In Hessen möchte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) den Christdemokraten Boris Rhein vom Thron stossen und in Bayern der amtierende Ministerpräsident Markus Söder die Christsozialen nach heftigen Schlappen wieder einmal zumindest über 40 Prozent führen. Was freilich letztlich die Wähler bewegt, sind Themen, an die niemand so richtig heran will: die Flüchtlingszahlen, das Problem der Gemeinden für die Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen und Migranten, die in zunehmender Zahl nicht nur aus dem ukrainischen Kriegsgebiet ins Land kommen, sondern aus zahlreichen anderen Krisenregionen in der Welt.
Die Extremen profitieren
Und weil die demokratische Politik für viele Bürger zu zaghaft handelt, profitieren die Extremen an den politischen Flügeln – vor allem auf der rechten Seite. Hier sollten, auch nach «Bremen», die Alarmglocken schrillen. Denn dass eine Gruppierung dort mit Namen «Bürger in Wut» auf Anhieb 9,5 Prozent der abgegebenen Stimmen erhält, obwohl sich die rechtskonservative Alternative für Deutschland (AfD) an der Weser zuvor selbst zerlegt hatte, ist ein höchst alarmierender Zustand und ein Hinweis auf die Stimmung im Lande. Dagegen anzugehen braucht es mehr als die beeindruckende Figur des Bremer Roland.