Der Zug schlängelt sich auf dem einspurigen Gleis durch saftige grüne Hügel, die immer höher steigen. Bald ist die Grenze zwischen Serbien und Montenegro erreicht. Schon tauchen neben serbisch-orthodoxen Klöstern und katholischen Kirchen erste Moscheen auf. Ist das noch Europa oder beginnt hier bereits der Orient? Die jahrhundertelange osmanische Herrschaft hat hier, wie auch sonst am ganzen Balkan, ihre Spuren hinterlassen.
"Europa hat uns noch nicht entdeckt", meint der österreichische Konsul in Budva, ein montenegrinischer Hotelkettenbesitzer. "Die Touristen glauben, Montenegro liege irgendwo in Indien oder Südafrika." Dabei hat das kleine Land mit einer Bevölkerung von knapp 700'000, das es 2006 wagte, sich von Serbien zu lösen und ein eigenständiger Staat zu werden, viel zu bieten. Die Landschaft ist nicht so kahl wie in Kroatien, sondern vielfach von dichten Wäldern und üppiger Vegetation überzogen, die Berge wilder und höher, die Küste bietet trotz zügellosem Bauboom noch einsame Buchten.
Tourismus in den Kinderschuhen
Im Landesinneren steckt der Tourismus allerdings noch in den Kinderschuhen. Aber es gibt interessante Initiativen. So im Nationalpark Bjelasica, wo das neu errichtete Hüttendorf auf der "Öko-Alm" Vranjak eine echte Pionierleistung darstellt. Es ist traditionellen Schäferhütten nachempfunden. Bis zu vier Gäste können in einer der gemütlichen Hütten übernachten und beim Lagerfeuer einheimischen Schafs- und Ziegenkäse bei einem guten Glas "Vranac", dem würzigen einheimischen Rotwein, geniessen. Österreichische Entwicklungshelfer haben Wegweiser angebracht, was aber bei den Einheimischen nicht immer gut angekommen ist. Manche Schilder sind verbeult. Das Gebiet grenzt an den Nationalpark Biogradska an, einen der ältesten Schutzgebiete der Welt. Hier blühen Blumen und flattern Schmetterlinge, die wir mit unseren landwirtschaftlichen Chemiekeulen schon lange ausgerottet haben.
Neben den idyllischen Landschaften gibt es aber noch viel Elend im Landesinneren. So hat sich das Städtchen Berane nach dem Zusammenbruch seiner Papierindustrie und dem Zustrom tausender Kosovaren während des Kosovo-Krieges 1999 noch nicht von diesem wirtschaftlichen Aderlass erholt. Im Norden des Landes liegt die Arbeitslosenrate bei hohen 14 Prozent, gegenüber dem nationalen Schnitt von 11 Prozent. Die ohnehin arme Bevölkerung musste auch noch die zahlreichen Flüchtlinge aufnehmen, viele Einheimische flohen selber ins Ausland. Insgesamt musste das kleine Land, das selber nicht in die Balkan-Kriege verwickelt war, 100‘000 Flüchtlinge aus den Nachbarstaaten verkraften.
Rückkehrhilfe aus Luxemburg
Die Caritas Luxemburg bemüht sich seit 2001, möglichst viele der 5000 Flüchtlinge, die nach Luxemburg kamen, zurückzuführen. 800 nahmen das Angebot mitsamt finanzieller Starthilfe an. Die Luxemburger lancierten auch ein umstrittenes Projekt, für Roma-Flüchtlinge aus dem benachbarten Kosovo ein eigenes Dorf am Rande von Berane zu bauen. Für die Kinder kam eine Schule dazu, mit bescheidenem Erfolg: Von 50 registrierten Kindern erscheinen nur 29 regelmässig zum Unterricht, berichtet die Roma-Lehrerin. Die meisten absolvieren nur zwei bis drei Schuljahre, weil ihre Eltern wenig von Schulbildung halten. Die Mädchen werden ohnehin oft schon mit 13 bis 15 Jahren verheiratet.
An der Küste bietet sich ein ganz anderes Bild als im Inland: Vor allem Budva mit seiner malerischen venezianischen Altstadt und die Bucht von Kotor - der grösste Fjord des Mittelmeers - sind zu Touristenmagneten geworden. Die Wanderer profitieren von zahlreichen Militärstrassen, welche die k. und k. Armee vor über 100 Jahren angelegt hat und die häufig eine wunderschöne Aussicht bieten. Imposant präsentiert sich im Lovcen-Nationalpark auf dem höchsten Gipfel des Küstengebirges das Mausoleum des Königs-Dichters Petar Petrovic. Die vier Meter hohe Basaltstatue des montenegrischen Staatsgründers in Denker-Pose thront über seinem Heimatort, dem kleinen Dorf Njegushi, in einem pompösen Bau aus der Zeit des sozialistischen Realismus.
An der Küste: ein Immobiliendesaster
Im schmalen Küstengebiet hat man offenbar nichts aus dem spanischen Immobiliendesaster gelernt. Überall ragen Baukräne hoch. Die Baublase ist mancherorts bereits geplatzt. So wurde nahe Budva ein geschützter Pinienwald auf einer Halbinsel einem gigantischen, von der Frau des früheren Moskauer Bürgermeisters Luschkov organisierten Bauprojekt geopfert. Das Geld ging aus und der halbfertige Komplex gammelt nun seit Jahren als Schandmal der Korruption vor sich hin.
Korruption dürfte auch eines der grössten Probleme beim angestrebten EU-Beitritt der Zwergrepublik sein. 2010 erhielt das Land den EU-Beitrittskandidatenstatus. Aber bis zur Mitgliedschaft ist es noch ein langer Weg. Seit mehr als 60 Jahren herrsche eine immer gleiche Machtverteilung im Land, berichtet die Journalistin und "kritische Stimme" Montenegros, Milka Tadic, von der Zeitschrift "Monitor". Obwohl seit 20 Jahren verschiedene Parteien zugelassen sind, sei es bisher nicht gelungen, die alten Seilschaften zu verdrängen. In der Verflechtung von organisierter Kriminalität und Regierung liege der Hauptgrund für den mangelhaften Rechtsstaat, so Tadic, die wegen kritischer Artikel immer wieder massive Drohungen erhält. Einige ihrer Kollegen wurden auch physisch attackiert, ein Chefredakteur vor sieben Jahren ermordet.
Paradies für Schmuggler und Geldwäscher
Seit dem Ende des Kommunismus klafft die Kluft zwischen Arm und Reich noch weiter auseinander. Eine kleine Gruppe von Regierungsmitgliedern und ihre Familien konnten den grössten Teil des Reichtums an sich ziehen, während 10 Prozent der Bevölkerung unter der Armutsgrenze (1 Dollar pro Tag) leben, beklagt Tadic. Keine Ausnahme machte der im Westen seinerzeit als Widersacher des serbischen Präsidenten Slobodan Milosevic gefeierte Milan Djukanovic. Gegen den früheren Politiker läuft in Italien eine Anklage wegen Zigarettenschmuggels. Heute ist Djukanovic Euro-Milliardär und einer der reichsten Männer Montenegros, ihm gehört u.a. die zweitgrösste Bank des Landes.
Die einseitige Einführung des Euro als Landeswährung 2002 hat Montenegro nicht nur eine gewisse wirtschaftliche Stabilität verschafft. Sie macht die kleine Bergrepublik auch zu einer Drehscheibe für Geldwäscherei. Vor allem russische Investoren sollen die Möglichkeit nutzen, hier Geld aus dubiosen Geschäften weisszuwaschen und dann legal in die EU zu transferieren, berichten Insider. Hinter der spektakulären Fassade der "schwarzen Berge" verbirgt sich also noch einiges, das den Weg nach Europa steinig erscheinen lässt.