Sport und mithin auch das Spiel mit dem runden Leder wird im Reich der Mitte von der zentralen Planungs- und Entwicklungskommission dirigiert und ist Teil einer umfassenden Langzeitstrategie. Damit soll der wachsende ökonomische und politische Einfluss auf dem Globus durch Soft Power untermauert werden. Zur «Weichen Macht» gehört Kultur etwa in Form der mittlerweile über dreihundert Konfuzius-Institute weltweit, darunter auch in der Schweiz.
Die Herzen und Gefühle der Massen sind aber zuvörderst auch mit Sport zu erreichen. Fussball ist unter allen Sportarten wohl die universellste. Da trifft es sich, dass Staats-, Partei- und Militärchef Xi Jinping ein bekennender Fussballfan ist. Er hat, was in dieser Kolumne auch schon thematisiert worden ist, klare Ziele gesetzt.
12:0 gegen Bhutan
Erstens soll sich die Nationalmannschaft endlich, endlich wieder einmal für eine WM qualifizieren. Das gelang nämlich erst einmal. In Südkorea 2002 bezogen die chinesischen Ballkünstler dann drei schmachvolle Niederlagen und schossen kein einziges Tor. In der Qualifikation für die WM 2018 in Russland überstand das chinesische Team die Vorrunde. Gegen Hong Kong resultierte ein 0:0, dafür siegte China gegen die FIFA-Weltnummer 154 Malediven mit 3:0 und 4:0. Gegen die FIFA-Weltnummer 177 Buthan setzte es gar ein 6:0- und 12:0-Stängeli ab. Immerhin.
Jetzt aber sieht es zappenduster aus. In einer Gruppe mit Iran, Südkorea, Usbekistan, Syrien und Qatar steht China nach fünf Spielen an letzter Stelle mit gerade einmal zwei Pünktchen. Ob der Italienische Startrainer Marcello Lippi, einst Weltmeister mit Italien und mehrfacher China-Meister mit dem Millionärsclub Gaungzhou Evergrande, da noch etwas ändern kann, werden die nächsten Monate zeigen. Mindestens Lippi ist hoch motiviert, ist ihm doch ein Jahresgehalt von 18 Millionen Dollar sicher.
Punkt zwei in der Langzeitstrategie des obersten chinesischen Fussballfans Xi ist die Ausrichtung der WM 2026 oder 2030. Letztes Ziel ist der WM-Titel und mithin die Erreichung des Status einer Weltmacht auch im Fussball. Ihr Korrespondent, bekennender FCB-Fan – FC Basel 1893, FC Beijing Guo’an 1992 und FC Barcelona 1899 und zwar in dieser Reihenfolge – hat als Fussball-Experte und China-Kenner in dieser Kolumne den Zeitpunkt einer chinesischen Fussballkrone bereits einmal prognostiziert. 2038 an den Weltmeisterschaften in Grönland wird das von Messi gecoachte China den Final mit 4:1 Toren gewinnen und zwar gegen die von Zauberzwerg Shaqiri trainierten Schweizer. Jawoll!
Klotzen und kleckern
In der realen Welt von 2017 versucht China sich mit Millionensummen dem langfristigen Fussballziel anzunähern. Im staatskapitalistischen System Chinas machen die Unternehmer mit Überzeugung mit. Sie klotzen und kleckern. So wechselt Argentiniens 32 Jahre alter Carlos Tevez, einst für Manchester United und Manchester City kickend, von Boca Juniors (Buenos Aires) zu Shanghai Shenhua. Dort verdient er 762‘000 Dollar. Pro Woche. Unterdessen sollen FCBs Messi nach Gerüchten 100 Millionen Dollar pro Jahr geboten worden sein, und noch mehr Reals Ronaldo. Noch sensationeller, aber real ist der Transfer des Brasilianers Oscar – einst für Chelsea kickend – zu Shanghai Shenhua. Denn der Mittelfeldspieler ist erst 25 Jahre alt.
Verdienten sich einst alternde Fussballstars ein fürstliches Gnadenbrot in den Golfstaaten, China oder Nordamerika, so zieht es nun jüngere Kicker immer mehr in Chinas Super League. Dort haben mittlerweile auch europäische und lateinamerikanische Trainer angeheuert, sowie neulich Schiedsrichter. Sogar dem Pfeifenmann des Jahres 2016, Marc Clattenburg von der English Premier League, soll ein lukratives Angebot vorliegen.
Professionalisierung, Blasenbildung, Nachwuchsförderung
Nach dem Langzeitplan der zentralen Planungs- und Entwicklungskommission soll aber nicht nur mit der grossen Kelle angerichtet werden. Vielmehr sollen mit umfassender Jugendarbeit die künftigen chinesischen Messis, Ronaldos und Shaqiris herantrainiert werden. So sollen bis 2020 über 60‘000 Fussballfelder gebaut und 20‘000 Fussball-Akademien gegründet werden. Bereits jetzt betreiben die Clubs der Super League professionell Jugendabteilungen mit meist ausländischem Trainerpersonal.
Der sechsfache Landesmeister und zweifache Sieger der Asian Champions League, Guangzhou Evergrande, ist inzwischen ein hochprofessioneller Club, der den Vergleich mit der English Premier League nicht mehr zu scheuen braucht. Das ist nicht selbstverständlich. 2013 wurde der chinesische Fussball von einem beispiellosen Skandal erschüttert. Spieler, Trainer, Schiedsrichter waren in umfassend angelegte Wettbetrügereien verwickelt. Der Präsident des Fussballverbandes und sein Vize wanderten ins Gefängnis.
Die wegen der hohen Transfer- und Gehaltssummen für Schlagzeilen sorgenden Transfers geben den obersten Fussballplanern Chinas offenbar auch zu denken. Das Parteiblatt Renmin Ribao (Volkstageszeitung) etwa bezeichnete die Ausgaben im Fussball als eine «Blase» und kommentiert: «Die Gesamtausgaben übertreffen bei weitem den ökonomischen Wert für die Liga». Die englischsprachige Regierungszeitung «China Daily» bewertet die Entwicklung in der Super League mit den astronomischen Trainer- und Spieler-Gehältern als «sehr schlecht für die Zukunft des chinesischen Fussballs».
Mehr Chancen für Einheimische
Immerhin hat die Chinese Football Association (CFA) für die im März beginnende Saison eine Anpassung der Transferregeln vorgenommen. Anstatt fünf dürfen Clubs nur noch vier ausländische Spieler verpflichten, und pro Match dürfen nur drei ausländische Kicker eingesetzt werden. Ziel der Regelanpassung: mehr Chancen für chinesische Spieler.
Am Langzeitziel aber wird festgehalten. Interessant dabei ist, wie renommierte Unternehmen Soft Power und harte Geschäftswirklichkeit in Übereinstimmung bringen. «China Media Capital» (CMC) investiert rund um den Globus in Sport und Unterhaltung. So ist etwa CMC mit 15 Prozent an der City-Fussballgruppe, u. a. Manchester City, beteiligt, ebenso mit 20 Prozent an Atletico Madrid. Dazu kommen Übernahmen oder Beteiligungen an Infronts Sport and Media, Ironman Triathlon, Hollywood Film Studio Legendary, sowie ein Fifa-Sponsoringdeal, ein Disney-ähnlicher Park in Beijing und vieles mehr. Nach Vorstellung von Xi Jinping generieren Sportinvestoren und andere Unternehmen Einnahmen, schaffen Arbeitsplätze und erlauben so dem Reich der Mitte, seine Soft Power weltweit zu verbreiten.
Das SCG-Modell
Ein Modellfall ist die Suning Commerce Group (SCG) aus der Provinz Jiangsu. Sie betreibt Verkaufszentren für TV-Apparate, Kühlschränke, Waschmaschinen sowie Digital- und IT-Produkte. Dazu kommt eine erfolgreiche Online-Plattform zum Verkauf von Büchern, Haushaltartikeln und Gesundheitsprodukten. Die SCG erzielt pro Jahr einen Umsatz von 21,5 Mrd. Dollar und entlöhnt 25‘000 Angestellte.
Wie andere chinesische Grossunternehmen hat SCG auch im Fussball investiert und betreibt den Fussballclub Jiangsu Suning. Daneben hält SCG 70 Prozent an Inter Mailand und hat für 407 Millionen Dollar die chinesischen TV-Rechte für fünf Jahre an der in China beliebten spanischen La Liga erworben. Für die brasilianischen Kicker Ramires und Alex Teixeira hat SCG überdies zig Millionen Dollar in die Hand genommen. SCG ist mit andern Worten so etwas wie ein Modellfall für langfristige Vision der zentralen Planungs- und Entwicklungskommission.
Viele ausländische aber auch chinesische Beobachter zweifeln daran, ob Xi Jinpings grosser Fussballtraum auch Wirklichkeit werden wird. Doch wer hätte vor zwanzig Jahren gedacht, dass China sich ökonomisch und sozial derart schnell entwickeln wird? Deshalb, liebe Fussballfans: Abwarten und Grüntee trinken. Schliesslich hat China vor über zweitausend Jahren den Fussball erfunden. Deshalb sagt Ihr Korrespondent nur: Grönland 2038!