In Basel sind Masken, hier Larven genannt, rund drei Wochen vor der Fasnacht, sehr präsent im öffentlichen Bewusstsein. Am 10. März ist „Morgestraich“. Bis dann müssen die Larven der „Waggis“, der „alte Dante“ und die sonstigen traditionellen Fasnachtsfiguren fertig gestellt sein.
Ein günstiger Zeitpunkt für den belgischen Künstlers James Sidney Ensor (1860-1949) mit seinen Maskenbilder ein Publikum zu finden. Allerdings bieten die Werke dieses Vorläufers der Surrealisten keine vertrauten Begegnungen mit beliebten traditionellen Figuren. Hat man die ins Auge springende Schönheit der Gemälde einmal durchdrungen, erschreckt das tiefgründig Groteske, das auf menschliche Abgründe hinweist.
In der Kunstgeschichte ein Sonderfall
Diese Seite Ensors zeigt sich allerdings erst in seinem späteren Werk.Zuerst sieht man die frühen Porträts und Landschaftsstudien in den blassen, „verregneten“ Farben der Niederländer, mit an Turner erinnernden Impressionen. Dann erst kommt die Farbe und wird immer intensiver und sinnlicher, so bei der „Austernesserin“. Diese starken Farben sollen die deutschen Expressionisten Emil Nolde und auch Ernst Ludwig Kirchner beeinflusst haben. Nolde hatte, wie übrigens auch Einstein, Ensor in Ostende besucht. Ansonsten bleibt Ensor in der Kunstgeschichte ein Sonderfall; weil er, laut der Kuratorin Nina Zimmer, „quer im kunsthistorischen Kanon sitzt“, da er die von Paris ausgehenden Entwicklungen nicht mitmachte.
In der Ausstellung wird augenfällig welche Palette malerischer Ausdruckformen Ensor zur Verfügung stand und von ihm ausgeschöpft wurde. Manche Kritiker loben den „ausserordentlich begabten Koloristen“, andere sehen in ihm den „grossen Realisten“. Man schätzt den frühen „Plein-air“-Maler und Naturalisten, lobt seine „belgisch gefärbte Variante des Symbolismus“ sowie seine Zeichnungen und Druckgraphiken. Als „artists’ artist“ wird er gesehen, der viele inspiriert hat. Diese Vielfältigkeit zeigte sich nicht nur in seinem malerischen Werk sondern auch in seiner Persönlichkeit.
Komponist, Journalist
James Ensor war nicht nur Maler und Zeichner, sondern auch Komponist, Musiker, Journalist und Essayist. In Konzerten trug er am Klavier fremde und eigene Kompositionen vor. Sein Ballett „Gammes d’amour“ mit der Choreographie von Sonia Korty, für das Ensor auch das Libretto, das Bühnenbild und die Kostüme gestaltet hatte, wurde in Ostende, Brüssel und der königlichen Oper von Antwerpen aufgeführt.
Ausserdem schrieb Ensor Kritiken, humoristische Beiträge und satirische Artikel für diverse Zeitungen und Zeitschriften. Auch soll er Abende lang Gesellschaften unterhalten haben mit Witzen, Sketchen und musikalischen Kunststücken, wie durch die Nase geblasenen, ad hoc komponierten Blockflötenweisen. So kam er zu seinem Titel: „The greatest enfant terrible that painting has ever known’’.
Ausgestopfte Tiere
Interessanterweise speisen sich auch die Inspirationen seiner bekanntesten Schaffensperiode, der der Masken und Grotesken, ab den späten 1880-er Jahren, aus Eindrücken seiner Kindheit:
Ensor in einem Brief an Louis Delattre am 4. August 1898: „Meine Grosseltern hatten in Ostende (..) ein Geschäft für Muscheln, Spitze, chin. Porzellan, ein Durcheinander verschiedenster Dinge, das ständig von mehreren Katzen, von Papageien mit ohrenbetäubenden Stimmen und einem Affen auf den Kopf gestellt wurde (...). Meine Kindheit war erfüllt von fantastischen Träumen und den Besuchen im Geschäft meiner Grossmutter, schillernden Lichtreflexen auf den Muscheln und der Pracht der Spitzen, merkwürdigen ausgestopften Tieren und den Waffen der Wilden, die mir Angst einjagten.“
Die Ausstellung in Basel wurde möglich wegen der Sanierung und Schliessung des Königlichen Museus für Schöne Künste in Antwerpen. Dieses besitzt die weltweit grösste und bedeutendste Ensor-Sammlung, Ergänzt wird diese durch Radierungen und Druckgraphiken aus dem Kupferstichkabinett des Kunstmuseums Basel. Dazu kommt eine Auswahl von Gemälden aus Schweizer Sammlungen. Insgesamt sind rund 50 Gemälde und 50 Zeichnungen zu sehen.
Die Masken, Skelette, Totenschädel, die ausgestopften Tiere mit Glasaugen, die Muscheln, die deformierten Gesichter und die makabren Gestalten seiner Bilder hatten wohl hier ihren Ursprung. Sie verbinden sich jedoch mit dem ihm eigenen hintergründigen Humor und seiner offensichtlichen Kenntnis der menschlichen Abgründe zu einem Kaleidoskop des Lebens. Seine Bilder strahlen immer Lebensfreude aus. Das grotesk Abgründige wird da mit einem Augenzwinkern präsentiert. Anders die Zeichnungen. Da wird der karikaturistische verdichtete Inhalt nicht durch die Farbe balanciert und verstört. Das hoch Ästhetische mildert das Hämische, die Lebensfreude überdeckt die Todesahnungen, Aggressivität erscheint als Aktivität.
Die Figuren scheinen zu tanzen, zu intrigieren, zu lachen und auch hinter der Maske quickfidel zu sein.
Der Karneval ist ein Fest zur Überwindung der Dunkelheit. Das ist James Ensor in seinem Werk ganz wunderbar gelungen.