Nicht nur Touristen lagen dieses Wochenende an Goas Stränden. Auch Kommandos der indischen Special Protection Group hatten sich dort eingenistet, und neben den Palmen ragten auch Flak-Geschütze himmelwärts. Freunde in Süd-Goa erzählten, dass ihre Handys stummblieben, und das Fahrzeug konnten sie auch gleich in der Einfahrt stehen lassen.
Die Präsidenten der Brics-Staaten waren zu Besuch. Doch während allen fünf der gleiche Schutz – und dasselbe Zeremoniell – zukam, zeigte das Gipfel-Panorama, dass nur drei Mitglieder zählen: Gastgeber Narendra Modi, Wladimir Putin, und Xi Jinping. Der erste von zwei Konferenztagen war ganz ihnen reserviert. Der Südafrikaner Jacob Zuma und Michel Temer aus Brasilien kamen erst am Sonntag zum Zug, als sie mit ihren Modi-Gilets die Farbtupfer des Gruppenbilds vervollständigten.
Niedergang der Brics-Vereinigung
Der Grund liegt nicht nur in der politischen Schwäche der beiden zuhause, oder im konjunkturellen Tief Brasiliens und Südafrikas. Es ist durchaus möglich, dass ihre Nebenrolle auch ein Symptom ist für den Niedergang der Brics-Vereinigung. Sie hatten ja einmal mehr als nur den globalen Aufstieg eines neuen und mächtigen Wirtschaftsklubs signalisiert. Nach dem Ende der Sowjetunion machten sie sich auf, den Anspruch einer unipolaren amerikanischen Hegemonie zu durchkreuzen.
Aber das Gerüst der Brics-Architektur war immer politisch schwach verankert, und die kollektive wirtschaftliche Stärke hat bisher nur zwei institutionelle Pfeiler gesetzt – die Brics-Bank und einen Reservefonds. Zudem hat sie die Mehrheitsverhältnisse in den Entscheidungsgremien Währungsfonds und Weltbank ein bisschen angepasst. Im Übrigen aber erwies sich die Magnetkraft des amerikanischen und europäischen Markts als stark genug, dass jedes der fünf Mitglieder weiterhin die bilateralen Beziehungen ins Zentrum stellte.
Hat Brics noch eine Zukunft?
Entscheidend für die mangelnde Dynamik des Brics-Kollektivs ist ihr strukturelles Ungleichgewicht. Das Übergewicht Chinas war zwar schon in den neunziger Jahren evident; aber es war ein wirtschaftliches. Nun aber ist es zu einem weltpolitischen Vormachtsanspruch angewachsen. Für China ist Brics ein Instrument seines „Great Game“ – falls nötig ein Störfaktor gegen die USA und seine Verbündeten, falls beliebt aber auch ein Abstellgeleise.
Wer dafür noch einen Beweis wollte, bekam ihn im Umfeld des Goa-Gipfeltreffens vorgelegt. Indische Zeitungen berichteten in den letzten Tagen von Diskussionen in chinesischen Think-tanks, in denen darüber diskutiert wurde, ob Brics noch eine Zukunft habe. Sind nicht, fragten sie ominös-offiziös, andere regionalpolitische Initiativen Chinas nützlicher?
Xi, der Pate
Was das Great Game angeht, zeigte China genau in der Region, in der die Briten und Russen es vor 150 Jahren gespielt haben, wie dessen Version 2.0 aussehen könnte. Der chinesische Staatspräsident benützte seine Reise nach Goa, um in Dhaka einen Zwischenhalt einzulegen. Dort segnete er nicht nur ein Darlehen von zwanzig Milliarden Dollar für Bangladesch ab, zehn Mal soviel, wie Narendra Modi seinem engen Verbündeten einräumen konnte. Xi spielte auch den Paten, als am Freitag in Dhaka ein Investitionsabkommen von chinesischen Staatsfirmen in der Höhe von 13.6 Mia.$ unterzeichnet wurde.
Darunter fällt auch die Erstellung eines Tiefseehafens in der Bucht von Bengalen. Das Projekt unterstreicht, dass China nicht nur wirtschaftliche Ziele verfolgt, sondern diese auch mit militärischen und politischen unterlegt. Denn dieser Hafen wäre bereits das fünfte Glied der „Perlenkette“, die Beijing um den Indischen Ozean legt – nach Häfen in Sri Lanka (Hambantota und Colombo), Pakistan (Gwadar) und Sittwe in Myanmar.
Politischer und krimineller Terrorismus
Es war ein Schuss vor den Bug Indiens, sollte sich dieses erdreisten, je Weltmacht-Allüren zu zeigen. Und es war nicht der einzige Paukenschlag für die Ohren des Gastgebers. Denn ähnlich wie beim Great Game im 19.Jahrhundert, folgt der Hegemon völkerrechtlichen Grundsätzen und Verpflichtungen nur solange, als sie nicht den eigenen Prioritäten in die Quere kommen.
Die Bekenntnisse Chinas zur Bekämpfung des Terrorismus sind ein Beispiel. Nach dem Anschlag gegen eine indische Garnison im letzten Januar durch die von Pakistan aus operierende Jaish-e-Mohammed verlangte Delhi vom Uno-Sicherheitsrat, die UN-Klassifikation der Jaish als Terror-Organisation auch auf ihren Führer Masood Azhar auszudehnen. China blockierte diesen Vorschlag, weil er dessen Freund Pakistan zwingen würde, gegen Azhar vorzugehen. „Politischer Terrorismus“ sei nicht dasselbe wie krimineller Terrorismus, hatte der Sprecher des Aussenministeriums in Beijing befunden.
Pakistan beherrscht die Tagesordnung
Das erste Great Game hatte in der Angst der britischen Weltmacht gegründet, dass Russland nach Süden dränge, um zu einem Warmwasserhafen am Indischen Ozean zu kommen. Historiker sind sich bis heute uneinig darüber, ob sich St. Petersburg damals ein derartiges Ziel gesetzt hatte. Beijing dagegen macht nicht viel Aufhebens darum, sich offen dazu zu bekennen. Die militärische Nutzung der Häfen sind ein Beispiel dafür, ebenso wie der geplante Strassen- Schienen- und Energie-Korridor zwischen Gwadar und Sinkiang. Auf den Vorwurf Delhis, er verlaufe durch einen ehemaligen Teil von Kaschmir, den Indien für sich beansprucht, ging Beijing gar nicht erst ein.
So kam es, dass Pakistan als Nicht-Eingeladener dennoch die Tagesordnung des Goa-Gipfels beherrschte. Das lag aber nicht nur an Islamabads „Allwetterfreund“ China. Auch der Mitspieler des ersten Great Game, Russland, hatte dafür gesorgt. Der gegenwärtige Herrscher auf dem Zarenthron hat sich fest in den alten Urfeind der Sowjetunion verbissen und fordert die USA heraus, wo er nur kann. Dies hat Wladimir Putin ermuntert, auch den alten Hauptschauplatz des historischen Game neu aufzumischen.
Russisch-pakistanischer Flirt
Indien war ein alter und enger Freund der Sowjetunion. Doch seit dem Fall der alten Supermacht und der Aufgabe dirigistischer Wirtschaftsideale hat sich Delhi immer stärker den USA angenähert, aus wirtschaftlichen und geopolitischen Gründen (sprich China). Dies passt Moskau gar nicht, und deshalb hat Putin – forsch wie immer – zu einem Gegenzug angesetzt.
Nur Tage nach dem Terror-Anschlag am 18.September auf ein indisches Militärcamp in Kaschmir landete in Rawalpindi, Pakistans militärischem Hauptquartier, ein russisches Militärdetachement. Es war aufgeboten, um – zum ersten Mal überhaupt – ein gemeinsames Manöver mit pakistanischen Truppen durchzuführen. Als Delhi protestierte, setzte Islamabad noch einen drauf: Zwischen beiden Ländern, hiess es in einer Stellungnahme, liefen gegenwärtig Verhandlungen über die Lieferung russischer Kampfgüter – auch dies ein Novum.
Begräbnis Erster Klasse
Dies passte Delhi natürlich nicht. Kurzfristig setzte es ein Thema auf die bilaterale Gesprächsagenda für Goa, das mit Garantie Wirkung zeigen würde: Russlands Rüstungslieferungen. Indien ist der bei weitem wichtigste Waffen-Kunde Moskaus. Modi hätte die laufenden Verhandlungen über neue Waren – Fregatten, Kampfhelikopter, Luftabwehrsysteme – auf Sparflamme setzen können. Wohlwissend, dass Russland dringend Geld braucht, trieb er sie stattdessen zur Unterschriftsreife – und forderte von Putin den Tribut: Lass die Finger von Pakistan!
In diesem Spiel der Regionalmächte wurde der Goa-Gipfel auf einen Nebenschauplatz degradiert. Es kann sogar gut sein, dass dies der Anfang vom Ende der bisher so stolzen Brics-Marke ist. Bereits kursieren, so meldeten am Sonntag indische Zeitungen, Gerüchte, wonach China eine Ausweitung der Mitgliedschaft anstrebe. Es wäre wohl der Anfang vom Ende einer Institution, die vor nicht allzu lange der Inbegriff einer „multipolaren Welt“werden wollte. Inzwischen träumt China wohl wieder von einer bestenfalls bipolaren Welt. Immerhin: Als alte Zivilisation, die den Ahnenkult hochhält, wird es sicher nicht geizen, wenn es gilt, Brics ein Begräbnis Erster Klasse auszurichten.