„Ich bin sehr gebildet. Ich kenne Wörter. Ich habe die besten Wörter.“ Von den vielen unsäglichen Aussprüchen Trumps hat dieser – er stammt aus seinem Wahlkampf – Kultstatus erlangt, jedenfalls in Kreisen seiner Gegner.
Stets wieder von neuem geben die Worte des Präsidenten zu Spekulationen Anlass, etwa: Er sei in der geistigen Entwicklung auf der Stufe eines Viertklässlers stehen geblieben, er sei Neurotiker, verkappter Analphabet oder leide an beginnender Demenz. Manche TV-Interviews zeigen in der Tat einen unkontrolliert drauflosredenden Mann, der keinen Satz zu Ende bringt, sprunghaft zwischen Themen umschaltet und immer wieder peinlichen Unsinn von sich gibt.
Der unterschätzte Trump
Die deutsche Linguistin Elisabeth Wehling, die in Berkeley über Kognitionspsychologie und politische Sprache forscht, hat Trumps Ausdrucksweise untersucht und bereits im Wahlkampf davor gewarnt, dessen Chancen zur Eroberung des Weissen Hauses zu unterschätzen. Von den Gebildeten unter seinen Verächtern wird er wohl noch immer als zwar gerissener, aber unterbelichteter Präsidentendarsteller gesehen, den man nicht ernst nehmen könne – und auch nicht ernst zu nehmen brauche. Manche seiner Gegner scheinen noch immer zu hoffen, Trumps Präsidentschaft werde eine ziemlich folgenlose Episode bleiben, da ja er keine politische Idee für das Land vorzuweisen habe und durch seine Fahrigkeit die gross angekündigten Projekte ohnehin versemmeln werde.
Das könnte sich als Wunschdenken herausstellen. Die vielen unbedarften Äusserungen, die am geistigen Potential dieses Menschen zweifeln lassen, zeigen eben nicht das ganze Phänomen Trump. Ein genauerer Blick auf seine Sprache kann in dieser Hinsicht einiges klären. In Gesprächssituationen schlägt er zwar wilde gedankliche Haken und verstolpert sich in den Sätzen. Dennoch platziert er wirkungsvoll immer wieder seine politischen Botschaften, und zwar in Form einer Handvoll Schlagwörter und Slogans. Auch verschafft ihm das Chaotische und Ungezähmte seiner Interviews eine besondere Aufmerksamkeit. Der unvorhersehbare Duktus sorgt durchaus für Spannung – auch wenn sie für viele Zuhörer nur darin besteht, wie er es wohl schaffe, seine wild durcheinander laufenden Einfälle vor den Karren einer Message zu spannen.
Sich so um Kopf und Kragen redend, macht er zumindest in der Hinsicht einen Punkt, dass er sich seiner Anhängerschaft als derjenige präsentiert, der eben anders ist: anders als die geschliffen redenden Politiker, anders als die aalglatt auftretenden Vertreter des Establishments. Trump inszeniert sich als ungehobelt, authentisch, kraftvoll. Er kümmert sich keinen Deut um die Political Correctness, mit der „die Politiker“ und „die Etablierten“ den einfachen Leuten angeblich den Mund verbieten wollen. Was er herüberbringt, ist denn auch an erster Stelle seine Attitüde und erst an zweiter seine politische Botschaft. Und diese besteht aus einer einzigen Parole: Make America great again! America first!
Neuartiger politischer Stil
Dienen die immer gleichen öffentlichen Auftritte der Schärfung und Pflege der Marke Donald Trump, so zeigt er sich in den Tweets, die er täglich im Dutzend an seine über 53 Millionen Follower schickt, als der handelnde, der unablässig kämpfende Präsident. Trump hat mit seiner Art des Twitterns nicht nur eine noch nie gesehene Weise der präsidialen Kommunikation, sondern überhaupt einen völlig neuen politischen Stil kreiert. Indem er mit rastlosem Finger und kurzer Zündschnur permanent seine Sicht der Dinge zum Besten gibt, Fakten zurechtbiegt, sich beklagt, Kritik abschmettert und Lob verteilt – Letzteres vor allem an sich selbst und seine Familie, gelegentlich an Kampfgenossen und treue Mitläufer –, verschafft er sich eine so noch nicht dagewesene Dauerpräsenz.
Durch die Schneeball-Charakteristik des Mediums Twitter erzeugen die 53 Millionen Follower eine nationale Vollabdeckung. Hinzu kommt das ungefilterte Medienecho der präsidialen Tweets. In Berichten, insbesondere der gegenüber Trump kritischen Medien, erscheinen die Twitter-Posts häufig im vollen Wortlaut als Belege seiner Eskapaden. Journalistisch betrachtet macht das für eine kritische Berichterstattung sicherlich Sinn. Als unbeabsichtigte Nebenwirkung dient diese Praxis aber Trumps Interesse an ungefilterter und weltweiter Verbreitung seiner Äusserungen.
„Ich allein“
Trump agiert als einsamer Herrscher. Berichte aus seinem Umfeld zeigen ihn als beratungsresistenten Egomanen. Er folgt darin seiner Mission, wie er sie im Wahlkampf wiederholt mit entwaffnender Chuzpe formuliert hat: „Believe me, I alone can fix it.“ Und dieses „Ich allein“ nimmt er ganz wörtlich. In seinem Stab und im Kabinett kann er deshalb nur Kopfnicker dulden, die er zudem mit demütigenden Ritualen auf bedingungslose Gefolgschaft verpflichtet. Twitter ist für sein politisches Programm, das schlicht aus Trumps eigener Person besteht, das ideale Kommunikationswerkzeug. Niemand kann zwischen seinem Kopf und seinem Handybildschirm intervenieren.
Mit Twitter ist Trump dauernd „auf Sendung“, und zwar im Namen seiner eigenen, seiner historischen Sendung. Die Kurzbotschaften sind zum einen seine Allzweckwaffe, mit der er reaktionsschnell auf alles feuert, was sich ihm in den Weg stellt. Zum anderen sind sie der Balkon, von dem aus er unablässig seiner Anhängerschaft zuwinkt und diese zu nie verebbendem Jubel anstachelt. An genau dieses Publikum sind die Tweets denn auch in erster Linie adressiert. Sie versichern seinen Leuten von Mal zu Mal, dass ihr Präsident den Kurs hält. Die Feinde sind verlässlich stets dieselben: Crooked Hillary und die Fake News, der Deep State und Bob Mueller mit seiner Witch Hunt.
Trumps Twitter-Texte sind clever gebaut: thematisch scharf fokussiert, klare Stossrichtung, kurze Sätze, kaum Nebensätze, vorzugsweise Wörter mit nur einer Silbe (was im Englischen leichter möglich ist als im Deutschen). Am Ende steht häufig wie ein Hammerschlag ein plakativ wertendes Element: Sad! Bad! Sick! Oder auch einmal: Great!
Trumps Tweets haben die Eindeutigkeit von Projektilen. Ihre knallenden Schlusspunkte markieren die Einschläge im Ziel. Ob sie auch treffen, braucht da gar nicht erst gefragt zu werden. Die abgefeuerten Messages liefern ihre Erfolgsmeldung gleich mit. So und nicht anders wollen seine Anhänger ihren Helden im Weissen Haus sehen: als den grossen Aufräumer, der den Sumpf trockenlegt, sich nicht um politische Gepflogenheiten schert und die Anstandsregeln der verhassten Eliten missachtet.
Führerkult und Kumpanei
Die Bindung der Anhänger an Trump besteht neben den von jedem Führerkult bekannten Elementen der Hingabe und Begeisterung auch in einer gewissen Kumpanei. Seine Fans geniessen es, wenn ihr Idol über die Stränge schlägt und nehmen es nicht übel, wenn er deswegen auch mal ein wenig zurückkrebsen muss. Sein lockerer Umgang mit Fakten oder auch sein Schlingerkurs in der Personalpolitik bestätigen ihnen bloss, dass Trump sich alles erlauben kann und seine Gegner dabei machtlos zuschauen müssen.
Welch ein Triumph seiner Getreuen! Ihr Präsident spielt in einer eigenen Liga. Er erweist sich tatsächlich als der erhoffte Anti-Politiker, der alles anders macht als gehabt. – So lange diese Erwartung des Trump-Lagers nicht Lügen gestraft wird, darf der Amtsinhaber fröhlich weiter lügen; es wird ihm in seinen eigenen Reihen nicht schaden – im Gegenteil. Da können die „Washington Post“ und die „New York Times“ lange ihre akribischen Register der Trump’schen Unwahrheiten führen. Sie bestätigen damit in den Augen der Trump-Wähler bloss, dass sie „Fake News“ sind.
System der symbolischen Politik
In den ersten anderthalb Jahren seiner Präsidentschaft hat Donald Trump trotz aller Querelen in der eigenen Partei seine Macht gefestigt. Er hat ein System der symbolischen Politik etabliert, in dem nicht Leistungen zur Bewältigung konkreter politischer Aufgaben den Ausschlag geben, sondern die stetige Bekräftigung des Versprechens einer „anderen“ Politik. Alleiniger Bezugspunkt dieser laufend geschürten Erwartung ist Trump selbst. Indem er agiert und spricht, wie man es von ihm erwartet, hält er dieses System der Symbolpolitik stabil.
Die nicht zu seiner Gefolgschaft Zählenden bleiben für Trump unwichtig, so lange sie keine geeinte und schlagkräftige Gegnerschaft bilden (wonach es bis jetzt nicht aussieht). Auch die Medien und Kulturschaffenden, die Trump kritisch gegenüberstehen und ausserhalb des Trump-Lagers starkes Echo finden, können ihm bislang nicht gefährlich werden. Er hat sie als „Feinde des amerikanischen Volkes“ in sein Symbolsystem integriert und vermag sie dadurch als stabilisierende Elemente zur Festigung seiner Gefolgschaft zu benutzen.
Eine zweite Amtsdauer Trumps im Weissen Haus kann den USA vermutlich nur erspart werden, wenn er sich selber zu Fall bringt oder wenn seine zersplitterte Gegnerschaft sich eint und kraftvoll gegen ihn antritt. Gewissermassen von selbst – das heisst: mangels konkreter Erfolge – wird die Ära Trump nicht enden. Seine Politik braucht keine äusseren Erfolge; ihre allein ausschlaggebende Errungenschaft besteht darin, dass Trump Präsident ist.