Vor fast 70 Jahren hatte Bert Brecht das Stück noch selbst auf die Pfauen-Bühne gebracht: mit Leonard Steckel und Gustav Knuth in den Hauptrollen. An diese Inszenierung wird sich am vergangenen Samstag wohl niemand im Publikum mehr erinnert haben, an die Inszenierung der sechziger Jahre, wieder mit Steckel als Puntila, aber wohl schon. Nicht an Einzelheiten vielleicht, aber an einen Gesamteindruck sprachlicher Doppelbödigkeit und darstellerischer Wucht.
Daran sollte man jedoch besser nicht denken, wenn man sich Baumgartens Inszenierung anschaut, die am 6. Mai im Schauspielhaus Zürich Premiere hatte.
Schon das in der Stadt ausgehängte Plakat liess nicht allzu viel Gutes ahnen. Das Gesicht eines bärtigen Mannes ist da zu sehen, vor dessen Gesicht geklebt das Maul einer Grosskatze mit Reisszähnen und einer gierig leckenden Zunge. Worauf weist es hin? Auf den Raubtierkapitalismus, der im Stück an den Pranger gestellt wird? Oder doch eher auf die Doppelnatur dieses Puntila, von dem Brecht selber sagte, er sei „auszulachen im Suff, verabscheuungswürdig in der Nüchternheit“. Oder wie es sein Chauffeur formuliert, als er sich von ihm trennt: „Der Schlimmste bist du nicht, den ich getroffen, denn du bist fast ein Mensch, wenn du besoffen.“
Abstruses Setting
Wie dem auch sei: In Sebastian Baumgartens Version ist Puntila eine Lachnummer, auch wenn er nüchtern ist. Darstellerisch macht der ewig tänzelnde und sich windende Robert Hunger-Bühler ohnehin kaum Unterschiede. Diese erschliessen sich eigentlich erst durch Puntilas Handeln – und durch sein Kostüm: eine Art Frack, wenn er nüchtern ist und alles rückgängig macht, was er im Suff an Gutem zuwege gebracht hat, und ein fleischfarbener Ganzkörperanzug über dick aufgepolstertem, wabbelndem Fett, wenn er sich den Aquavit kanisterweise hinter die Binde gegossen hat.
Mit Verlaub gesagt: ein abstruses Setting, das dem von Brecht intendierten Kräftespiel zwischen Herrn und Knecht jegliche Glaubwürdigkeit entzieht. Denn neben diesem nackten Popanz wirken alle übrigen Figuren wie blosse Staffage. Selbst der listige und seinem Herrn in Sachen Manipulationstalent in nichts nachstehende Matti (Johann Jürgens) bekommt kaum eine Chance, sich gegenüber diesem wütenden Freak zu behaupten. Ganz zu schweigen vom übrigen Personal, das in seinen grotesken Kostümen (Christina Schmitt) wie Kasperlefiguren um den bösen König herumtanzen muss.
Warum führt man das Werk überhaupt auf?
Dabei sind die komödiantischen Leistungen des Ensembles durchaus beachtlich. Angefangen bei Puntilas koketter Tochter Eva (Carolin Conrad) über Jirka Zetts roten Surkkala bis hin zur schwäbelnden Pröpstin von Susanne-Marie Wrage macht Baumgarten aus jeder noch so bescheidenen Rolle ein kleines Kabinettstückchen schauspielerischen Könnens. Nur, das reicht leider nicht, um das Stück zum Sprechen zu bringen. Gewiss, es wird niemandem in den Sinn kommen, von einem heutigen Regisseur eine dogmatisch reine Brecht-Interpretation zu erwarten. Dazu haben sich die Verhältnisse in den letzten siebzig Jahren allzu sehr verändert. Und Brechts simpler Antagonismus zwischen menschenverachtendem Kapitalismus und rechtschaffener Arbeiterschaft, den er übrigens gerade in seinem „Puntila“ immer wieder auf hinterhältige Weise selbst unterläuft, taugt heutzutage zur Welterklärung kaum mehr. Aber warum führt man das Werk denn überhaupt auf, wenn es nicht mehr in die Zeit passen will?
Sebastian Baumgarten nennt das Stück, das Brecht 1940, an Leib und Leben bedroht, im finnischen Exil geschrieben hatte, „eine grossartige Komödie“. Das mag durchaus zutreffen. Nur sollte es dann auch die Art von Komödie sein, die als „schlimmstmögliche Wendung“ einer in die Katastrophe führenden Weltgeschichte überhaupt denkbar ist: eine Komödie, in deren Verlauf einem das Lachen gefriert und die nackte Angst aus den Poren kriecht. Davon weiss diese Aufführung, die Brechts verzweifelte Komik zum reinen Klamauk verkommen lässt, leider nichts.
Das Highlight des Stücks
Zahlreiche Besucherinnen und Besucher verliessen die Premiere während der Pause. Wer bis zum Schluss ausharrte, kam in den Genuss einer Szene, die immer schon das Highlight des Stücks darstellte und es auch jetzt wieder ist: Puntilas und Mattis Besteigung des Hatelmabergs, im Geiste nur und über einen halsbrecherisch aufeinander gestapelten Haufen Stühle, an deren Ende der bedenklich schwankende Puntila zu einem bewegenden Lobpreis seiner finnischen Heimat anhebt, „von der du nicht wegwillst, sonst möchtest du dich verzehren in der Fremde und dahinsiechen aus Sehnsucht“, wie es im Text heisst. Da verging selbst dieser vergagten Inszenierung das Lachen, und sie liess den Schmerz des Autors aufscheinen, der zum Zeitpunkt, da er das Stück schrieb, nicht wusste, ob er seine, die bayerische, die deutsche Heimat je wiedersehen würde.