Er beutete Prostituierte aus, war Mitglied der rechtsextremen Geheimloge P2, wurde festgenommen und ins Gefängnis gesteckt. Von seinen Getreuen wurde er als König Vittorio Emanuele IV. verehrt. Doch König war er nie. Sein Tod und sein heutiges Begräbnis liessen die meisten Italienerinnen und Italiener kalt.
In Italien findet zur Zeit das Schlagerfestival von Sanremo statt, das – wie jedes Jahr – das Land in Trance versetzt. Jeden Abend sitzen über zehn Millionen Italiener und Italienerinnen vor dem Bildschirm. Dass da noch ein Möchte-gern-König gestorben ist, interessiert kaum jemanden.
«God save the King», sagt man in England. In Italien zirkuliert seit Jahren das Bonmot: «Gott schütze uns vor diesem König». Als sein Sarg am Samstag unter strömendem Regen durch Turin gefahren wurde, versammelten sich am Strassenrand nur wenige Dutzende Schaulustige.
In der Kathedrale von Turin hatten sich übriggebliebene Monarchen und Adlige versammelt. Anwesend waren neben Drittklass-Blautblütern Königin Sofia von Spanien und Prinz Albert II. von Monaco. Auch ein königlicher Vertreter Saudi-Arabiens war zugegen. Der britische König Charles III. schickte ein Beileidstelegramm. Selbst Farah Diba meldete sich zu Wort. In einer Botschaft sprach Papst Franziskus der Familie des Verstorbenen sein Beileid aus. Er werde für die Seele Vittorios beten.
In Skandale verwickelt
«Prinz Vittorio Emanuele verstand es, in seiner menschlichen Zerbrechlichkeit ein Mann zu sein, dessen Andenken in uns allen weiterlebt und weiterleben wird», sagte Monsignor Paolo de Nicolò, Grossprior der dynastischen Orden des Königshauses, in seiner Predigt.
Der Verstorbene wird in Biella eingeäschert und dann zur Basilika von Superga auf dem Turiner Hügel gebracht, wo der Prinz in der Familiengruft beigesetzt wird.
Vittorio Emanuele, der am 3. Februar in Genf starb, war eine schillernde, in Skandale verwickelte Figur. Er war der Sohn von Umberto II., dem letzten italienischen König, der nur 40 Tage im Amt war. Dann, Anfang Juni 1946, wurde er gezwungen, das Land zu verlassen. Die Italiener und Italienerinnen sprachen sich in einer Volksabstimmung für die Abschaffung der Monarchie und die Einführung einer parlamentarischen Republik aus.
Der 1937 geborene Kronprinz Vittorio Emanuele musste Italien verlassen. Den grössten Teil seines Lebens verbrachte er in einem vornehmen Anwesen in Vésenaz bei Genf. Laut der nach dem Krieg verabschiedeten Verfassung durften die männlichen Angehörigen der italienischen Königsfamilie nicht nach Italien zurückkehren. Erst 2002 erhielt er die Erlaubnis, seine Heimat zu besuchen.
Hauptkomplizen des italienischen Faschismus
Jetzt nach seinem Tod wird dem verhinderten Regenten gehuldigt. Senatspräsident Ignazio La Russa von der postfaschistischen «Fratelli»-Partei erklärte am Freitag, dem Hause Savoyen, dem Vittorio Emanuele angehörte, sei es zu verdanken, dass Italien vereinigt wurde. Was er nicht sagte, ist, dass das savoyische Königshaus zu den Hauptkomplizen des italienischen Faschismus gehörte. La Russa sagte auch nicht, dass der jetzt Verstorbene lange Zeit die Demokratie mit wüsten Worten beschimpfte. Die Abschaffung der Monarchie konnte er bis an sein Lebensende nicht verdauen.
Endgültig verdorben mit den meisten Italienern und Italienerinnen hatte es Vittorio Emanuele, als er den italienischen Staat auf Schadenersatz verklagte. Er forderte 260 Millionen Euro als Wiedergutmachung für begangenes Unrecht. Ferner verlangte er die Rückgabe aller beschlagnahmten Güter. Diese Forderung wurde in Italien «als Frechheit und Arroganz sondergleichen» bezeichnet. Der Staat erklärte, es wäre an ihm, dem Staat, vom Haus Savoyen Entschädigung für all das Unrecht, das die Monarchen während des Faschismus angerichtet haben, zu verlangen.
Vittorio Emanuele schaffte es auch immer wieder in die Medien. 1972 soll er in einem Jachthafen auf Korsika einen deutschen Touristen im Streit erschossen haben. Neben Ausbeutung von Prostituierten wurden ihm schmutzige Spielbankgeschäfte und Geldwäscherei vorgeworfen. Im Sommer 2006 wurde er festgenommen. In Varenna am Comersee wurde er «wie ein Bandit verhaftet» (so sein Sohn Filiberto). Mit einem Fiat Punto wurde der Blaublütige durch ganz Italien ins Gefängnis ins südliche Potenza gebracht. Ein Fiat Punto für den Sohn des letzten italienischen Königs ...
«Italia mio amore»
Sein Sohn Filiberto, 1972 in Genf geboren, war ein Liebling der Boulevardmedien. Er, der italienisch-schweizerische Doppelbürger, sang am Festival von Sanremo die Schnulze «Italia mio amore». Seine Frau tanzt im «Crazy Horse» von Paris. In Genf eröffnete Filiberto ein Jetset-Restaurant mit dem Namen «Quirinal». Der Quirinal ist der Sitz des italienischen Staatspräsidenten. Das Restaurant gibt es nicht mehr. Schon früh hatte Filiberto seine Memoiren geschrieben «Sognando l’Italia».
Immer wieder versuchte Filiberto auch, in die Politik zu gehen. Bei den Parlamentswahlen 2008 kandidierte er im Auslandwahlkreis für die von ihm geschaffene Partei «Valori e Futuro». Dabei waren auch ein Verantwortlicher des Spielcasinos von Campione, der in einen Erpressungsskandal mit Showgirls verwickelt war. Zur Führungscrew der Partei gehörte ein Freund Filibertos, gegen den die Staatsanwaltschaft in Rom ein Verfahren wegen Steuerhinterziehung eröffnet hatte. Der Vizepräsident der Partei war zuvor wegen Mitgliedschaft bei der Mafia verhaftet worden. Seine Partei erhielt 1’811 Stimmen. Auch bei den Europawahlen 2009 scheiterte Filiberto kläglich.
Immerhin hat Filiberto, jetzt als Hedgefonds-Manager tätig, vor drei Jahren die Zeichen der Zeit verstanden und die Verantwortung für die Taten seiner blaublütigen Vorfahren übernommen. In einem offenen Brief an die italienischen Juden nannte er das Rassengesetz «ein inakzeptables Dokument», das «einen unauslöschlichen Schatten auf meine Familie geworfen hat» und das noch immer «eine offene Wunde für ganz Italien» ist. Er bitte die Juden «feierlich und offiziell» um Vergebung. Dieser Brief kam nicht nur gut an. Viele Juden fragten sich: «Weshalb kommt diese halbherzige Entschuldigung so spät?»
Monarchisten gibt es kaum noch
Und: Wieso hat sich Filibertos Vater, der jetzt Verstorbene, sich nicht entschuldigt? Wieso hat er den Brief nicht mitunterzeichnet? Wieso dauerte es 76 Jahre, bis diese Entschuldigung folgte? Darauf geht Filiberto nicht ein.
Immer wieder hatte der jetzt Verstorbene die Verantwortung für die Taten während des Faschismus abgelehnt. «So schlimm sind die Rassengesetze doch gar nicht», sagte er einmal. Die faschistischen Rassengesetze von 1938 («Leggi razziali») waren dazu da, die «italienische Rasse» zu verteidigen. Zehntausende Juden wurden in Konzentrationslager geschickt. Vittorio Emanueles Verharmlosung löste in Italien einen Sturm der Entrüstung aus. Daraufhin versuchte er zu retten, was noch zu retten ist. Halbherzig sagte er, er sei «gegen alle Formen von Rassismus und Antisemitismus». Der Schaden war angerichtet.
Filiberto ist jetzt nach dem Tod seines Vaters neuer «Herzog von Savoyen» und Oberhaupt des savoyischen Könighauses. In Italien nimmt das kaum jemand zur Kenntnis. Monarchisten gibt es kaum noch.