Die am Mittwoch stattfindende Anhörung des Europäischen Parlaments zu Indonesiens Westpapua «sollte die Aufmerksamkeit auf die schweren Menschenrechtsverletzungen und die Notwendigkeit von Reformen lenken», forderte die amerikanische Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) in einer am Montag veröffentlichten Erklärung. «Indonesien sollte klar sein, dass der Machtmissbrauch der staatlichen Sicherheitskräfte ein Mittel für Instabilität und Gesetzlosigkeit ist.»
Seit langem schon fordern Diplomaten, NGOs, Hilfsorganisationen und die internationale Presse Zugang zu den beiden Provinzen, um Menschenrechtsverletzungen, die vom Militär oder den verschiedenen Guerillagruppen begangen wurden, untersuchen zu können. «Indem sie Papua vom Rest der Welt isoliert hält, fördert die indonesische Regierung Straflosigkeit im Militär und Ablehnung unter den Papuas», warnt HRW. Politische Gefangene, die wegen freier Meinungsäusserung inhaftiert seien, «sollten unverzüglich freigelassen und Gesetze, die friedliche Zusammenkünfte und Versammlungen oder das Zeigen des Morgensterns», der Flagge unabhängigkeitsbewegter Papuas, «unter Strafe stellen, revidiert werden.»
Amerikanischer Umsturzversuch
Seit der Eingliederung der ehemals holländischen Kolonie Westpapua in Indonesiens Staatsgefüge vor 45 Jahren schwelt, von der Welt vergessen, ein «low intensity war» (wie das in der Militärsprache heisst) zwischen der Staatsmacht und den Bewohnern Papuas. Die Papuas, mehrheitlich Melanesier, die sich in rund 700 Volksgruppen mit jeweils eigener Sprache unterteilen, haben nur wenig gemein mit den überwiegend malayischen Völkern des restlichen Indonesiens. Während Indonesiens Regierung die Provinz stets als Teil ihrer Republik betrachtete, wünschten die Papuas die Unabhängigkeit, um sich mit ihren Brüdern und Schwestern im östlichen Teil der Insel, in Papua Neuguinea, zusammenzutun. Als die Papuas 1969 in einem von den Vereinten Nationen überwachten Referendum über ihre Zukunft entscheiden sollten, wurden sie von der Welt betrogen.
Nachdem Indonesien 1949 die Unabhängigkeit erlangt hatte, war Holland nur noch die Kolonie in Westpapua verblieben. Indonesien aber betrachtete alles zuvor von Holland besetzte Gebiet als Teil der Republik. Nach zahlreichen Versuchen, das Thema in der UN-Vollversammlung wenigstens auf die Tagesordnung zu bringen, lieferte ein misslungener, von den USA und Grossbritannien unterstützter Umsturzversuch die Möglichkeit, Washington zu einer Revision seiner Haltung zu bewegen. Das US-Aussenministerium und die CIA sowie Grossbritanniens MI6 hatten Ende der fünfziger Jahre einen Umsturzversuch indonesischer Obristen auf Sumatra und Sulawesi unterstützt. (In Singapur lag sogar die Siebte US-Flotte bereit, einzugreifen.)
Am 18. Mai 1958 bombardierte ein Rebellenflugzeug die Molukkenstadt Ambon, wobei nach Angaben des amerikanischen Botschafters 700 Menschen starben. Doch dann gelang es regierungstreuen Flakschützen, die Maschine abzuschiessen. Der Pilot, der US-Bürger Allen Pope, wurde gefangengenommen. In seinem Besitz fanden sich Unterlagen, die Washington zutiefst kompromittierten. Pope wurde zum Tode verurteilt und unter Hausarrest gestellt. Im Februar 1962 schliesslich handelte Justizminister Robert Kennedy bei einem Besuch in Jakarta Popes Freilassung gegen eine Änderung der amerikanischen Haltung in der Westpapua-Frage aus.
Von der Welt betrogen
«Westpapua ist kein Teil der Welt, wo sich vernünftige Grossmächte engagieren. Die Papuas sind Steinzeitmenschen», verkündete John F. Kennedy. Und noch im gleichen Jahr übergab Den Haag die Kontrolle über Westpapua den Vereinten Nationen, die das Land ein Jahr später unter die Verwaltungshoheit Jakartas stellten – allerdings mit der Auflage, dass «alle erwachsenen Papuas das Recht haben», in einem «Akt freier Wahl», die innerhalb von sechs Jahren durchgeführt werden müsse, über ihre Zukunft zu entscheiden.
«Das Problem» war, wie der amerikanische Botschafter in Jakarta vor der Abstimmung in einem Airgram an das State Department anmerkte, «dass 85 bis 90 Prozent der Bevölkerung mit der Freies-Papua-Sache sympathisieren.» Darum legten die USA den Vereinten Nationen nahe, die Wahl zu fälschen. Der UN-Vertreter «versucht, eine Formel auszuarbeiten… die zu einer Bestätigung der indonesischen Souveränität führen wird», meldete der Botschafter in einem anderen Airgram an seine vorgesetzte Dienststelle.
Anstelle eines Referendums, an dem «alle erwachsenen Papuas» teilnahmen, wählten indonesische Soldaten 1022 Männer aus, lehrten sie den Satz «Ich will Indonesien» zu sagen und liessen sie dann unter vorgehaltenen Gewehren abstimmen. Ein Mann, der nicht nachgeben wollte, wurde erschossen. Daraufhin stimmte der Rest der Männer einstimmig für den Anschluss an Indonesien. Erst 22 Jahre später gestand der ehemalige stellvertretende UN-Generalsekretär CV Narasimhan: Der UN-Bericht «war reine Schönfärberei. Damals herrschte die Stimmung vor, das Problem so schnell wie möglich loszuwerden… Niemand verschwendete auch nur einen Gedanken darauf, dass dort rund eine Million Menschen lebten, deren fundamentale Menschenrechte mit Füssen getreten wurden.»
Mächtige Wirtschaftsinteressen
Seither kämpfen die Papuas für ihre Unabhängigkeit. Viele auf friedlichem Weg. Andere kämpfen, angetan mit ihren traditionellen Penisgourden, in Guerillaorganisationen wie der «Papua-Einsatztruppe» oder der «Organisasi Papua Merdeka» (Organisation Freies Papua) mit Macheten, Pfeil und Bogen gegen die hochgerüsteten Truppen Jakartas, die dort vor allem immense wirtschaftliche Interessen verteidigen. Hier wird nach Öl gebohrt und werden die grössten Goldvorkommen der Welt, riesige Kupferlager, Nickel und Uran abgebaut.
Zwar schmücken so romantische Namen wie Hänselsee oder Gretelsee, Fairytale Valley, Cindarella-Höhenzug oder Andersonsee die Täler und Berge an der Sudirman Range. Dort aber, am 4268 m hohen, eisbedeckten Grasberg, verfügt der Bergwerkskonzern PT Freeport Indonesia, eine Tochter der Freeport McMoRan Copper & Gold in New Orleans über 4000 qkm Schürfrechte. Die Kupferreserven des Grasbergs werden auf 25 Millionen, seine Goldreserven gar auf 30 Millionen Tonnen geschätzt. 500 Meter ist der Berg schon geschrumpft. Und bis zu 300’000 Papuas sollen seit der indonesischen Annexion den Angriffen der Zivilisation und indonesischen Armee zum Opfer gefallen sein.
Es steht unter Strafe, aber jeden 1. Dezember begehen sie den Tag ihrer Unabhängigkeit, die sie 1961 einseitig ausgerufen haben. Dann hören sie im Flattern ihrer Flagge, des weiss-blauen Morgensterns, den hehren Ruf der Ahnen, sich vom Elend des irdischen Lebens zu befreien. Dann singen sie ihre Hymne «Hallo, mein Vaterland». Einst im 19. Jahrhundert wurden sie von deutschen Missionaren zum protestantischen Glauben bekehrt. Heute sind sie überzeugt, dass ihr «Gott auf dem Kriegspfad ist und auf magische Weise alles richten wird.» Und nach der Wiederkunft eines legendären Führers werden paradiesische Zeiten anbrechen.