Ungeachtet des Attentatsversuchs auf Donald Trump findet in Milwaukee (Wisconsin) der viertägige Parteitag der Republikaner statt. Das aufwändig choreographierte Treffen birgt ausser der Nomination eines Vizepräsidentschaftskandidaten wohl nur wenig Überraschungen, ist doch das Parteiprogramm 2024 in erster Linie ganz auf Donald Trump ausgerichtet.
Wenn am 15. Juli die 2’429 Delegierten der republikanischen Partei (GOP) im Fiserv Forum der Bierbrauerstadt Milwaukee zusammenkommen, um Donald Trump offiziell zu ihrem Präsidentschaftskandidaten zu krönen, dürften sie selbst nach dem missglückten Anschlag auf Donald Trump optimistisch gestimmt sein. Nicht nur all des Pomps, der Partys und der Show-Einlagen wegen, die ein solches Treffen aufzulockern pflegen, sondern auch ob der vertrackten Lage, in der sich die politischen Gegner nach dem desolaten Auftritt Joe Bidens in der Fernsehdebatte gegen den Ex-Präsidenten befinden.
Die Lage der Demokraten, sagt ein republikanischer Stratege, fühle sich für die Republikaner an wie ein schöner Tag auf dem Golfplatz: «Wenn sich dein Gegner selbst ein Loch gräbt, lass’ ihn weitergraben.» Selbst Donald Trump hat sich jüngst mit schadenfreudigen Aussagen für seine Verhältnisse aussergewöhnlich stark zurückgehalten. Bei einer Wahlveranstaltung in Florida sagte er, die demokratische Partei sei «vereinigt im Chaos» und stehe vor einem «vollständigen Zusammenbruch».
Kamala Harris im Visier
Im Lager der Republikaner heisst es, Donald Trump könnte am 5. November in 30 Staaten gewinnen, laut Umfragen auch in Swing States wie Michigan, Virginia, Wisconsin und Arizona. «Der Biden-Kollaps ist real», sagt ein Vertrauter Trumps, der 2020 für ihn im Wahlkampf aktiv war. Der Präsident, meint ein anderer Republikaner, folge einem Spielplan, der Trumps Taktik imitiere: Attackiere die Medien, leugne die Wahrheit und weigere dich, zurückzuweichen.
Wobei Donald Trump wohl insgeheim hofft, dass am 5. November nach wie vor Joe Biden gegen ihn antritt, ist doch seine bisherige Wahlstrategie ganz auf «Sleepy Joe» zugeschnitten. Doch seine Berater, heisst es, seien auch bereits dabei, sich auf Kamala Harris einzuschiessen, sollte die Vizepräsidentin Trumps Gegnerin werden.
Unbekanntes Strafmass
Zu Pass kommt Donald Trump auch das jüngste Urteil des Obersten Gerichts in Washington DC, das einem amerikanischen Präsidenten weitgehende Immunität für seine Amtshandlungen einräumt. Der Entscheid hat unter anderem bewirkt, dass die Bekanntgabe des Urteils nach seiner Verurteilung im Prozess in New York wegen Fälschung von Geschäftsunterlagen verschoben worden und nicht vor Beginn des Parteitags bekannt gegeben worden ist.
Derweil hat sich eine Kommission der Republikaner vergangene Woche auf eine Parteiplattform geeinigt, deren Ziel es ist, Loyalität gegenüber Donald Trump und seiner «America First»-Agenda zu bekräftigen. Die stromlinienförmige Plattform ist wesentlich kürzer als das 60-seitige Dokument, das die Partei 2016 an ihrem Treffen in Cleveland (Ohio) verabschiedet hat. Ausdrücklich angesprochen werden Themen wie Einwanderung, Wirtschaft, Bürgerrechte, Aussenpolitik, Bildung oder Wahlen.
Unzufriedenen Konservative
Wobei nicht alle Republikaner mit dem Inhalt einer Grundsatzerklärung einverstanden sind, weil sie ihnen zu wenig konservativ ist. «Da geht es um den Triumph von Ideen», sagt ein früherer Gouverneur von Montana: «Da geht es um den Triumph von Donald Trump. Das ist offen gesagt eine Peinlichkeit.» Konservative Republikaner stört vor allem, dass sich die Parteiplattform nicht deutlich genug gegen Abtreibung ausspricht. Donald Trump selbst will ein allfälliges Abtreibungsverbot den einzelnen Bundesstaaten überlassen.
Ein Störfaktor für Donald Trump ist ausserdem der Vorwurf von Demokraten, er richte sein politisches Programm «Agenda 47» nach dem Manifest «Project 2025» aus, welches die erzkonservative Denkfabrik Heritage Foundation in Washington DV ausgearbeitet hat. Kevin Roberts, der Präsident der Stiftung, hat unlängst in einem rechten Podcast verlauten lassen, die Nation befinde sich «im Prozess der zweiten Amerikanischen Revolution, die ohne Blutvergiessen ablaufen wird, sofern die Linke das zulässt». Es war eine Bemerkung, die Demokraten alarmierte und einige Republikaner beunruhigte, weil sie Wählerinnen und Wähler abspenstig machen könnte.
«Lächerlich und miserabel»
Trump versuchte umgehend, wenn auch wenig überzeugend, sich von Roberts’ Aussage zu distanzieren. Er wisse nichts über das «Project 2025» und habe keine Ahnung, wer dahinterstecke, liess er auf seiner Plattform «Truth Social» verlauten. Was das Projekt zum Teil beinhalte, sei «absolut lächerlich und miserabel». Weder er noch die Partei hätten irgendetwas damit zu tun.
Doch Fakt ist, dass 31 von 38 Leuten, die das Dokument entweder geschrieben oder redigiert haben, in unterschiedlichen Funktionen im Weissen Haus für Trump tätig waren, so etwa Russell Vought als Budgetdirektor oder John McEntee als Personalchef. Der «Washington Post» zufolge ist «Project 2025» ein umfassender 900-seitiger Plan von früheren oder künftigen Köpfen einer Trump-Regierung, «Amerika in konservativer Gestalt neu zu erfinden und gleichzeitig die Macht eines Präsidenten auszuweiten und es Trump zu erlauben, gegen seine Feinde vorzugehen.»
Christlicher Nationalismus
«Project 2025» betrifft fast alle Aspekte des amerikanischen Lebens, von Massenausweisungen, Stellenbesetzung in der Bundesverwaltung über die Abschaffung von Bundesämtern wie jene für Bildung oder Umweltschutz bis hin zur Infusion eines christlichen Nationalismus in alle möglichen Bereiche der Regierungspolitik. So sollen das Justizministerium und die Bundespolizei (FBI) direkt dem Weissen Haus unterstellt werden, was es Trump erlauben würde, sich an seinen Gegnern zu rächen, was er wiederholt angedroht hat.
Zwar sieht der ehrgeizige Plan kein nationales Abtreibungsverbot vor, will aber den nächsten Präsidenten ermutigen, «die Nation bei der Wiederherstellung einer Kultur des Lebens anzuführen». Trump könnte das tun, indem er dem Gesundheitsministerium befiehlt, gängige Abtreibungspillen zu verbieten, die heute noch über Staatsgrenzen hinweg erhältlich sind. «Project 2025» könnte der US-Armee erlauben, bis zu elf Millionen Menschen, die sich illegal im Land befinden, zu deportieren, was allerdings wohl der Wirtschaft schaden würde: «Die illegale Einwanderung sollte beendet, nicht gemildert werden; die Grenze sollte versiegelt, nicht neu priorisiert werden.»
Umstrittener «Schedule F»
«Project 2025» propagiert auch die Wiedereinsetzung von «Schedule F», einer präsidialen Verordnung, die Donald Trump gegen Ende seiner Amtszeit erliess, Joe Biden aber kurz nach Amtsantritt rückgängig machte. Die Verordnung gibt dem Präsidenten die Macht, Zehntausende von unkündbaren Bundesbeamten neu als «politisch Ernannte» zu klassifizieren, d. h. sie zu entlassen und durch loyale Anhänger zu ersetzen, die sich seinen Anordnungen nicht widersetzen.
Normalerweise besetzt eine neue Regierung in Washington DC rund 4’000 Stellen neu; laut «Schedule F» könnten bis zu 50’000 von zwei Millionen Bundesbeamten betroffen sein. «Wir werden wichtige Reformen umsetzen, damit jeder Bundesbeamte vom Präsidenten gefeuert werden kann», hat Donald Trump gesagt: «Der ‘tiefe Staat’ muss und wird gefügig gemacht werden.» Die 50’000, mutmasst ein Experte in Sachen öffentlicher Verwaltung, seien wohl «eher ein Minimum als ein Maximum».
Mögliche Vize-Kandidaten
Derweil ist noch offen, wann genau vor oder während dem Parteitag in Milwaukee Donald Trump verkünden will, wen er zu seinem Vize erkoren hat. Obwohl der Ex-Präsident immer für Überraschungen gut ist, gelten Medienberichten zufolge drei Politiker für aussichtsreich: Als erster der kubanisch-stämmige Marco Rubio, der 53-jährige Senator aus Florida, der 2016 gegen Trump kandidierte und von diesem als «Little Marco» und als «Desaster für Florida» verspottet worden ist, der nicht einmal als «Hundefänger» gewählt werden würde.
Ein zweiter potenzieller Vize-Kandidat ist J. D. Vance, der 40-jährige Senator aus Ohio und Autor des viel beachteten Buches «Hillbilly Elegy», seinerzeit ein «Never Trumper». Er fragte 2016, ob Trump »Amerikas Hitler» sei, steht heute aber vorbehaltlos hinter dem Ex-Präsidenten und dessen MAGA-Agenda. Wie andere konservative und liberale Vertreter der Elite, sagt Vance, habe er auf Donald Trumps Stil statt auf dessen politische Inhalte geachtet.
Kein MAGA-Gläubiger
Bleibt als Dritter Doug Burgum, der 67-jährige Tech-Unternehmer und Gouverneur von North Dakota, der dieses Jahr ebenfalls Präsidentschaftskandidat war und in den Vorwahlen pro gewonnener Stimme 28’000 Dollar aus der eigenen Tasche ausgab. Noch vor einem Jahr hatte er gesagt, er würde mit Donald Trump nicht Geschäfte machen wollen. Burgum ist jedoch landesweit wenig bekannt und hat sich nie gross als Anhänger des MAGA-Kults profiliert.
Als «wild cards», d. h. als überraschend Auserwählte im Rennen um die Kandidatur als Trumps Vize gelten Senator Tom Cotton (Arkansas), Senator Tim Scott (South Carolina), die Abgeordnete Elise Stefanik (New York), der Abgeordnete Byron Donalds (Florida) und der frühere Minister und Neurochirurg Ben Carson. Unter ihnen hatte der 58-jährige Afroamerikaner Tim Scott längere Zeit den Ruf als Trumps Favorit.