Zur festlichen Eröffnung im April hatte Pinault 600 Prominente geladen. Auch die Künstler Maurizio Cattelan und Jeff Koons, beide mit Werken in der Ausstellung vertreten. Sie betrachteten die ‚mostra’ Arm in Arm und scherzten:
Cattelan: Weißt Du, ich habe soviel gemacht. Ich gehe jetzt in Pension. Koons: Und all Deine Ideen? Cattelan: Ideen? Ich hatte nie welche.
Unterdessen wird an den beiden offiziellen Ausstellungsstätten heftig gewerkelt.
In den Giardini, den von Napoleon angelegten Gärten an der Südspitze der Inseln, werden die einzelnen Länderpavillons geputzt, neu getüncht, ausgebessert, und auf ihren diesjährigen Auftritt vorbereitet. In den riesigen Corderien der Arsenale, wo schon zu Dantes Zeiten im 14. Jahrhundert ein Schiff pro Tag vom Stapel lief, wird gehämmert, gezimmert, vermessen, ausgeladen und ausgepackt. An immer mehr Orten Venedigs, in Palazzi, Ausstellungsräumen, auf Piazze und Campiellos, werden zusätzliche Ausstellungen vorbereitet, denn mit 88 Ländern wird eine Rekordzahl von Ländern ihr kontemporäres Kunstschaffen zeigen; Die offizielle Ausstellungsfläche ist damit schon lange gesprengt.
An der Spitze: Biennale-Präsident Paolo Barratta
Währenddessen schreibt der Präsident der Biennale, Paolo Barratta, in seinem Büro hoch über dem Canale Grande, im spektakulär renovierten Palazzo der Biennale, Briefe. 2'300 an der Zahl. Sein grosses Anliegen ist es, die Qualität der Biennale-Besucher zu steigern.
„Was ist die Biennale heute?“, fragt Barratta und gibt die Antwort: „Die Biennale ist eine Vernissage mit einem Schwanz. Drei Tage Vernissage, zu der die wichtigsten Künstler, Galeristen, Kuratoren, Sammler und Wissenschaftler kommen, um zu schauen, zu werten, zu diskutieren und Eindrücke zu sammeln. Die sind wichtig, natürlich. Doch jeder ist für mich nur ein Besucher. Und dann? Dann bleiben noch ganze sechs Monate. Die müssen wir besser nutzen können.“
Barratta ist als dreimaliger italienischer Minister (für ‚Industrie und Gewerbe’, die Umwelt, und die öffentlichen Arbeiten) in diversen Kabinetten ein Schwergewicht im italienischen Machtgefüge mit besten internationalen Kontakten. Seine Idee für eine besser genutzte Biennale:
Gruppen von mindestens 50 Kunststudierenden, kunstinteressierten Schülern und Studenten sowie von Forschungsinstitutionen aus aller Welt für jeweils drei Tage an die Biennale einzuladen, ihnen günstige Übernachtungsmöglichkeiten und Verpflegung zu bieten und somit nicht nur den Dialog zur zeitgenössischen Kunst zu beleben, sondern auch die Ausstrahlung der Ausstellung auszuweiten.
Fragen an Paolo Barratta
Wie steht es denn mit dieser? Inzwischen gibt es weltweit rund 150 Biennalen, mit die wichtigsten, diejenigen in Paris, Sao Paulo und Sydney. Wie wichtig ist da noch die Biennale in Venedig?
Barratta: Immer wichtiger. Gerade wegen dieses inflationären Angebots, auch der Kunstwerke, braucht man eine Instanz, die eine seriöse Auswahl trifft. Die Biennale von Venedig geniesst den Ruf, nach klaren Kriterien eine qualitativ hochwertigste Auswahl der gängigen Kunst zu treffen. Und dies bereits in langer Kontinuität. Deshalb schaut die Welt auf uns wenn, es um neue Kunst geht.
Wie hält die Biennale diesen Anspruch?
Barratta: Indem sie ihren Kuratoren eine absolut unabhängige Position bietet, vollkommen losgelöst von kommerziellen Interessen. Aber auch frei von unseren Meinungen und Vorlieben. Der Kurator ist nur sich und seiner Aufgabe verpflichtet: Das Beste des gegenwärtigen Kunstschaffens hierher zu bringen und einen frischen Blick auch auf schon Bekanntes und Bewährtes zu zeigen. Dieses Jahr im Zusammenhang mit unserem Thema Illumi-Nations - das das Leuchten, die Erleuchtung und auch die nationalen Eigenheiten beinhaltet. Sogar bis zu Tintoretto, dem venezianischen Meister des Licht. Das Licht, hier vom Meer reflektiert, das für Venedig eine ganz besondere Bedeutung hat.
Was sind denn die wichtigsten Voraussetzungen, die ein guter Kurator der Biennale besitzen muss?
Barratta: Natürlich fachliche Kompetenz. Das ist die Voraussetzung. Als Kunstbetrachter und Kunstkritiker wie auch als Ausstellungsmacher. Dann, wie schon gesagt, seine absolute Unabhängigkeit. Er muss rund um die Welt reisen und die besten Kunstwerke aussuchen und dabei sowohl die regionale Diversität wie auch die Verschiedenartigkeit der Gesichtspunkte berücksichtigen. Und bei seiner Auswahl kann eine andere Charaktereigenschaft sehr wichtig sein: Mut. Er muss bereit sein, Risiken einzugehen, um die für ihn beste und spannendste Schau zu machen.
Also Autorität haben?
Barratta: Genau. Dabei hilft es natürlich, wenn jemand schon mal der Direktor der Biennale von Venedig ist. Doch neben der Autorität ist noch etwas anderes eminent wichtig: Der Kurator muss von den Künstlern geliebt werden. Nicht nur geachtet, geliebt! Die Künstler müssen für ihn arbeiten wollen. Sich gerne seinem Konzept unterziehen.
Dieses Jahr hat die Biennale eine Kuratorin, die Schweizerin Bice Curiger , als Chefredaktorin von Kunstzeitschriften, langjährige feste Kuratorin am Kunsthaus Zürich , Mitglied von Kunstkommissionen und Professorin in Zürich und Berlin eine Allround- Kunstperson mit internationalem Netzwerk. Was schätzen Sie an ihr?
Barratta: Um den Gedanken von vorher wieder aufzunehmen: Sie ist jemand, die von den Künstlern wirklich geliebt wird. Sie wiederum respektiert die Künstler sehr, versteht sie, unterstützt sie, bewertet sie aber auch und klassifiziert sie. Sie kann sehr liebevoll und weich sein. Doch manchmal schneidet ihr Verstand scharf wie eine Klinge.
Und was soll man vom Besuch der Biennale mitnehmen?
Barratta: Was wir unseren Besuchern bieten können, ist einen direkten physischen, auch sinnlichen Kontakt mit den Kunstwerken zu haben und somit vielleicht auch eine emotionale Reaktion zu bekommen. Und diese dann mit gleichfalls interessierten und berührten Besuchern zu vergleichen und zu diskutieren. Ein hoffentlich prägendes Erlebnis.