Vor hundert Jahren wurden Gisela zund Alfred Andersch geboren und das ist der Anlass für die Ausstellung, die Peter Erismann im Auftrag der Zürcher Präsidialabteilung für den Strauhof konzipiert hat. Der Schriftsteller und die bildende Künstlerin, die einen grossen Teil ihres Lebens in Berzona verbracht haben, gehören zu den vielen einst sehr präsenten Koriphäen des Kulturlebens, die in den vergangenen Jahrzehnten aus dem Bewusstsein der Oeffentlichkeit nahezu verschwunden sind. Da gibt es nichts Besseres als so eine Ausstellung, um das Gedächtnis aufzufrischen und um aufzuzeigen, was die Literatur dem Romancier, Essayisten und einflussreichen Radiojournalisten verdankt oder welche Bedeutung Gisela Andersch in der Malerei des zwanzigsten Jahrhunderts zukommt.
Der „Paarlauf“ des Ehepaars nimmt eine zentrale Rolle in der Ausstellung ein, die gegenseitige Motivation, Ermunterung, Ermutigung. Für eines der wegweisenden publizistischen Unternehmungen Alfred Anderschs, die Zweimonatsschrift „Texte und Zeichen“, hat Gisela Anders Umschläge gestaltet; von ihren gemeinsamen Reise resultieren ihre suggestiven Fotografien. Er wiederum hat sich von ihrem Werk zum erhellenden Essay „Einige Zeichnungen“ inspirieren lassen und dieser Text ist so etwas wie die geheime Mitte der Ausstellung, die im übrigen mit einer Auswahl abstrakter Bilder von ihr und Dokumenten – Briefen, Notizen - zu den Romanen von ihm aufwartet. Biografisches Material ergänzt die Schau. Dabei kommt die einflussreiche Position Alfred Anderschs im Deutschland nach 1945 zur Geltung: er war Radioredaktor und als solcher in der Lage, zahlreichen später zu Rang und Namen gelangenden Autoren Arbeit, Geld, Ausdrucksmöglichkeiten zu verschaffen.
Dass es der Kurator unterlassen hat, bei der sorgfältig aufgearbeiteten Biografie auf eine in den Neunzigerjahren heftig ausgetragenen Polemik hinzuweisen, wurde im „Tages-Anzeiger“ zu Recht als Unterlassung vermerkt. Damals bezichtigte der Schriftsteller W.G. Sebald Andersch der Beschönigung seiner Vita. Er habe sich 1943 von seiner ersten Ehefrau, die nach den Nürnberger Rassegesetzen eine Halbjüdin war, geschieden, um eine Schreiberlaubnis zu bekommen. Sebalds mit Ingrimm geführte Attacke, die Freund und Feind des Alfred Andersch auf den Plan rief und die damit in Zusammenhang stehende Analyse, beziehungsweise neue Lektüre des autobiografischen Textes „Kirschen der Freiheit“, ein für die deutsche Nachkriegsliteratur ganz wichtiges Buch – das sind schon interessante Elemente eines Lebenslaufs in schwierigen Zeiten, die auf das unter solchen Voraussetzungen entstehende Werk Licht und Schatten werfen.
Enzensberger als charmanter Causeur
Aus allen Nähten quoll die Eingangshalle des Stadthauses, als in der vergangenen Woche die Ausstellung eröffnet wurde. Das hatte zwei Gründe: zum einen war man gekommen, um einen der unverwüstlichen deutschen Literaturstars der Gegenwart live zu erleben – Hans Magnus Enzensberger. Und HME, bloss mit einem Spickzettel bewaffnet, enttäuschte sein Publikum nicht. Vielleicht bot seine charmante Causerie nicht die ultimative Deutung des Werks Alfred Anderschs, aber sie schilderte, munter und informativ, die Verhältnisse, wie sie in den ersten Nachkriegsjahren in der neu entstehenden Literatur Deutschlands geherrscht haben mögen: die allmähliche Befreiung vom Kriegstrauma, das Aufstossen von Türen in alle Weltrichtungen, erste Schritte in literarischem Niemandsland. Vieles von dem, was ein junger Enzensberger und andere versuchten, fand dank Verständnis und Hilfe Anderschs den Weg in die Oeffentlichkeit.
Ein zweiter Grund für den überraschend grossen Publikumsandrang war im Gemurmel, in Empörungsäusserungen, auch in markigen, begeistert applaudierten Worten des Kurators auszumachen: man war aus Solidarität mit dem Strauhof gekommen, man wollte gegen die für 2015 vorgesehene Umfunktionierung des Museums protestieren.
Nicht einzusehen
Es ist in der Tat schwer vermittelbar und letztlich nicht einzusehen, weshalb der Strauhof, dieses einzigartige Gebäude (ein ehemaliges Barockhaus, liebevoll und schonend restauriert, mitten in der Stadt Zürich gelegen) die Bestimmung, die es seit über zehn Jahren hat und der es gerecht wird, verlieren soll. Die Kultur- und im engeren Sinn Literaturausstellungen, die jetzt mit der hundertsten ein Jubiläum begehen können, sind in den letzten Jahren ein Markenzeichen geworden, das weit über die Stadt hinaus als solches erkannt wird. Es gehört zu den eher schwierigen Aufgaben für Austellungsmacher, Literatur, Literaten zu präsentieren. Das Material ist a priori spröde, man muss sich etwas einfallen lassen, man braucht eine gehörige Dosis Fantasie, um Dichter, Denker und ihre Bücher zu visualisieren. Roman Hess, der zuständige Beamte der Präsidialabteilung, sein Team und die zugezogenen Kuratoren haben es im Lauf der letzten Jahre bestens verstanden, dieses architektonisch so spezielle Museum mit einer speziellen Thematik zu bespielen – und sie haben, im In- und Ausland, viel Applaus erhalten.
Ab 2015 soll ein Literaturlabor für Jugendliche im Strauhof eingerichtet werden mit Lesungen, Diskussionen, Workshops, Schulprojekten. Die Literaturausstellungen werden abgeschoben und können, wie einer Medienmitteilung des Stadtpräsidiums zu entnehmen ist, an „verschiedenen Orten stattfinden“ – sie haben dann also keine angestammte Heimat mehr. Niemand hat etwas gegen Literaturlaboratorien für die Jugend. Im Gegenteil: wäre ja wunderbar, wenn die da wirklich freiwillig hingeht. Aber warum im Strauhof-Museum? In einem barocken Gehäuse? Mit knarrenden Stiegen und Böden und einer Aura der Nostalgie? Es wird doch in der grossen und wohlhabenden Stadt Zürich andere, modernere, geeignetere Räume geben, um so ein Labor einzurichten!
Als Ende November die Pläne für die neue Nutzung des Strauhofs bekannt wurden, gab es einen veritablen Entrüstungssturm, den die Stadtpräsidentin in diesem Ausmass kaum erwartet haben dürfte. Ueber 4000 Kulturschaffende, darunter sehr viel Prominenz, haben inzwischen eine Petition unterschrieben, die ein Ueberdenken des Plans fordert. Corine Mauchs Reaktionen auf den Protest wirken hilflos oder zynisch. Sie meint, dass Veränderungen in der Kultur immer heftig debattiert würden. Und dass sie das gut fände, weil das ja die Lebendigkeit von Kultur beweise. Sagt jemand, der sich anschickt, etwas noch sehr Lebendiges wenn nicht grad zu killen so doch auf die Strasse zu stellen. Kann die Stadt auf ihren Plan zurückkommen, ohne das Gesicht zu verlieren? Gibt es Chancen fürs Ueberdenken des Projekts? Liegt vielleicht ein Kompromissvorschlag im Bereich des Möglichen? Am Amtssitz der Stadtpräsidenten summte es am Tag der Vernissage zur Andersch-Ausstellung vielstimmig, grimmig und überaus lebendig. Sie wird es hoffentlich gehört haben.