Es wird langsam schwierig, den Überblick zu behalten. Vor wenigen Wochen brüsteten sich weltweit diverse Medien damit, in monatelanger Arbeit 260 Gigabyte an gestohlenen Daten ausgewertet zu haben. Die sollen von zwei Firmen stammen, die bei der Vermögensverwaltung in Steueroasen die entsprechenden Konstrukte schnitzen. Also Trusts, Holdings und so weiter. Die Nachricht ging um die Welt – die Ergebnisse sind bis heute kläglich.
Schattenboxen und heisse Luft
Tapfer bestanden die darin verwickelten Medien darauf, in der Schweiz die «Sonntagszeitung» und «Le Matin», den Steuer- und Strafverfolgungsbehörden keinen Einblick in dieses Datenmeer zu gewähren – Quellenschutz. Deshalb konnte bis heute in keinem einzigen Fall ein Rechtsbruch nachgewiesen werden, obwohl sich Journalisten gerne als öffentliche Scharfrichter gerieren. Sie wissen: Ein bekannter Name, Reichtum und «Trust bei einer Steueroase», diese Mischung genügt, um den Betroffenen vor die unmögliche Aufgabe zu stellen, seine Unschuld beweisen zu müssen. Jetzt wird dieses Schattenboxen noch absurder.
Wie unter anderem die «Süddeutsche Zeitung», auch Bestandteil dieses «Auswertungsteams», vermeldet, wurden Behörden in den USA, Grossbritannien und Australien bereits im Jahre 2009 ganze 400 Gigabyte solcher Informationen angeboten und 2010 ausgehändigt. Es handle sich laut «SZ» in «weiten Teilen um die sogenannten Offshore-Leaks-Dateien». Die bislang unbeantworteten Fragen bleiben: Wer waren die Diebe, wessen Interessen werden mit diesem gigantischen Datendiebstahl verfolgt, wer möchte aus welchen Motiven die Medien instrumentalisieren?
Dazu gesellen sich neue: Was haben denn die staatlichen Behörden in den drei Jahren, seit sie in Besitz dieser Daten sind, damit gemacht? Waren die Informationen dermassen unergiebig, dass beschlossen wurde, sie nach mehrjähriger Analyse teilweise der Presse zuzuspielen? Wieso forderten die Steuerbehörden vieler Länder Einblick in diese Daten, wenn sie doch schon längst in ihrem Besitz waren? Wieso hat man in den vergangenen Jahren nie etwas von Untersuchungen, Razzien, massenhaften Anklagen gegen Besitzer solcher Trustkonstrukte gehört? Wieso blieben die beiden vom Datendiebstahl betroffenen Firmen in Singapur und auf den Cayman Inseln die ganze Zeit ruhig? Wenn der eigentliche Diebstahl schon 2009 erfolgte, blieb er dann fast vier Jahre lang unbemerkt – oder wurden die Betroffenen schon längst vorgewarnt? Oder ganz einfach gefragt: Handelt es sich um inzwischen 400 Gigabyte voll heisser Luft? Schlichtweg um einen Riesenhaufen gestohlener Finanzunterlagen, die etwa so spannend sind wie die Bankauszüge eines durchschnittlichen Schweizer KMU? Natürlich ohne das Flair «Cook Islands, Steuerparadiese, Trusts, asoziale Multimillionäre».
Bekleckerte Westen allerorten
Während der angebliche Riesenscoop «Offshore Leaks» schon längst verröchelt ist, machte die News, dass staatliche Behörden schon seit Jahren im Besitz dieser Daten sind, keine grossen Schlagzeilen mehr. Sehr verständlich, denn selbst den vor kurzem noch vor Wichtigkeit berstenden beteiligten Journalisten wird es zunehmend blümerant. Schwant ihnen doch: Sie wurden im besten Fall als nützliche Idioten missbraucht – und wissen nicht mal, von wem. Ihre grossartige monatelange und schweisstreibende Auswertungsarbeit war für die Katz.
Der «Offshore Leaks»-Scoop verwandelt sich immer mehr in einen Presseskandal. Wie weiland bei den «Hitler Tagebüchern», haben wir gelacht, zeigt sich auch hier, was passiert, wenn alle Sicherungen durchbrennen und auf handwerkliche Grundbegriffe verzichtet wird. Die da lauten: Wenn mir eine unbekannte Quelle Informationen zusteckt, wem nützt das, aus welchen Motiven macht sie das, wozu will sie die Presse instrumentalisieren? Zweitens: Solche Informationen müssen durch weitere, unabhängige Quellen verifiziert werden. Eine selbstreferenzielle Überprüfung reicht nicht. Das führt dann zur bekannten Spiegelfechterei: Wir haben hier ein paar Trust-Unterlagen zu Gunter Sachs. Sein Nachlassverwalter ist so blöd, deren Authentizität zu bestätigen, also haben wir ihn. In Wirklichkeit hat man nichts ausser ein paar gestohlenen Informationen.
Und der Gewinner ist ...
Private Finanzunterlagen sind im Zeitalter der Digitalisierung offensichtlich weder von Banken noch von anderen Dienstleistern schützbar. Datendiebe, aus welchen Motiven auch immer, sind in der Lage, alle unsere Transaktionen einzusehen und zu stehlen. Dabei haben staatliche Behörden das kleine Problem, dass sie zwar mit der Brechstange die Auslieferung fordern können. So wie das die USA im Fall der Schweiz mit Konto- und Mitarbeiterdaten tun. Oder sogar gestohlene Daten ankaufen. So wie das nicht nur Deutschland mit CDs tut. Aber selbst und nachweislich in vertrauliche Kundendaten auf Servern einbrechen, das dürfen staatliche Behörden nicht. Zumindest nicht offiziell. Aber wenn’s ein anderer tut, und sei es der eigene oder ein befreundeter Geheimdienst, dann ist’s doch ganz was anderes.
Der einzige Gewinner in diesem ganzen Schlamassel wären die Steuerbehörden von in Schulden absaufenden Industriestaaten. Auch wenn es ihnen offenbar bislang noch nicht gelungen ist, die 400 Gigabyte zu Steuereinnahmen zu machen, so ist die Wirkung der Verunsicherung doch nicht zu unterschätzen. Wie lässt sich der britische Finanzminister George Osborne zitieren: «Die Botschaft ist einfach. Wenn du Steuern hinterziehst, sind wir hinter dir her.» Man müsste ergänzen: Auch wenn du das nicht tust. Ausser, du bist ein multinationaler Konzern wie Apple, Starbucks, Google, GM usw. Dann schauen wir seelenruhig zu, wie du ausserhalb des Landes deines Hauptquartiers weltweit durchschnittlich 1,8 Prozent Unternehmenssteuern zahlst.
Man kann aber gespannt sein, ob die einzig interessante Frage irgendwann einmal beantwortet wird: Wer war’s?