Niemand kam bislang auch auf die naheliegende Frage, worin eigentlich, auf akademischem Gebiet, der Unterschied zwischen Dr. Saif al-Islam Gaddafi und Ex-Doktor Guttenberg besteht. Beide liessen der Universität ihrer Wahl eine nette finanzielle Unterstützung zukommen, beide führen Krieg, beide leiden unter Realitätsverlust, beide haben ihren Doktortitel per copy/paste erschreiben lassen. Nun, immerhin ist der Rektor der London School of Economics inzwischen zurückgetreten, entsprechende Reaktionen aus der CSU-Universität Bayreuth (CSU steht hier für Copy Shop Universität, damit da keine Klagen kommen) werden wir wohl nicht erleben. Brandgefährlich ist hingegen eine demagogisch geschürte Intellektuellenfeindlichkeit, die in Deutschland mal wieder zum Ausbruch kommt. Der Gassen-Goethe der «Bild»-Zeitung, Franz Josef Wagner, brachte das gut auf den Punkt: «Sie werden Lichtgestalt genannt. Die Deutschen erwarten, dass Sie höhere Aufgaben übernehmen – Ministerpräsident von Bayern, Kanzler von Deutschland. Macht keinen guten Mann kaputt. Scheiss auf den Doktor.»
Lichtgestalt, Messias, Erlöser, vom Baron zum Führer, pardon, Kaiser Deutschlands, das sehen Hunderttausende von Deutschen so, die sich im Internet schon mal als Fan des Lügenbarons outen. Die nach einer solchen Führer-, hoppla, Lichtgestalt lechzende deutsche Volksseele wird von der Bundeskanzlerin abwärts demagogisch geschickt massiert. Ihre Botschaft: Wir lassen uns doch nicht von Schlauschwätzern und realitätsfernen Akademikern einen guten Mann kaputt machen. Angela Merkel weiss, dass das deutsche Bürgertum schon immer gerne bereit war, seine sämtlichen Werte über Bord zu werfen, wenn es denn dem Machterhalt dient. Der Lügenbaron selbst ist zudem ein Blender, ein Scharlatan, sicher auch ein Zyniker, er hat das Vokabular eines Demagogen. Vielleicht hat er Gustave Le Bons «Psychologie der Massen» gelesen (oder lesen lassen), sicherlich hat er von den Grossen in der deutschen Geschichte gelernt: «Ein guter Propagandist redet immer in der Sprache der Menschen, an die er sich wendet.» Also einfach («grosse Aufgaben»), emotional («schmerzlichster Schritt»), sich ständig wiederholend («Anstand, Anstand, Anstand»). Damit täuscht er über die Wirklichkeit hinweg. Guttenberg benahm sich in höchstem Mass unanständig und unredlich, stritt alles ab, wird überführt und sagt dann: Gerade weil er an sich die «höchsten Massstäbe» des Anstands und «seiner Verantwortung anlege», trete er zurück. Das ist Demagogie vom Feinsten. Offensichtlich hat Herr Guttenberg eben nicht höchste Massstäbe bei sich selbst verwendet, als er seine Dissertation angeblich «in mühevollster Kleinarbeit» herstellte, ebenso wenig, als er den Vorwurf, seine Doktorarbeit sei ein Plagiat, als «abstrus» bezeichnete. Nichtsdestotrotz will er diesen «Massstäben» gefolgt sein, als er dann in die Ecke gedrängt vorläufig aufgab. Dagegen wird nun das gesunde Volksempfinden mobilisiert, ohne das so zu bezeichnen, weil man diesen Begriff in Deutschland aus historischen Gründen (noch) nicht verwenden darf.
Aber ein Comeback des intellektuellen Raubritters ist gewiss, möglicherweise verwendet er dafür diesen Satz, ist zwar auch nicht von ihm, aber gut: «Unsere Herzen wollen wir erfüllen mit jener politischen Leidenschaft, die uns immer in den grossen Kampfzeiten der Partei und des Staates wie ein ewig brennendes Feuer verzehrte.» Denn Demagogie ist Demagogie, heute wie gestern und vorgestern. Vielleicht verleiht ja dem Freiherrn zum Neustart eine Universität den Doktor honoris causa. Wobei: Man kann über Adolf Hitler sagen, was man will. Aber der hat die unzähligen Versuche deutscher Universitäten, ihm den Ehrendoktortitel zu verleihen, konsequent zurückgewiesen.
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