Vom Beginn des Syrien-Konfliktes an profilierte sich der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan als bester Verbündeter und Helfer der Jihadisten, die in Syrien versuchten, die Regierung Assad zu stürzen. Der NATO-Staat Türkei war die Drehscheibe für die geheimen Waffentransporte nach Syrien. Diese Transporte liefen unter der Koordination westlicher Geheimdienste und erreichten im Lauf der Jahre 2012 und 2013 ein enormes Ausmass. Einzelne Informationen darüber sickerten immer wieder in die westliche Presse durch, die Medien nahmen aber wenig Notiz davon oder vermieden es, das Thema zu fokussieren.
„Eine gut geplante geheime Militäroperation“
Die New York Times, die über zuverlässige Quellen in Washington verfügt, publizierte am 24. März 2013 einen Bericht mit dem Titel „Arms airlift to Syria rebels expands, with aid from CIA.“ Dort zeichnet die Zeitung die Entwicklung dieser „secret airlifts“ nach und dokumentiert, auf welchen Wegen Katar und Saudi Arabien im Verbund mit der Türkei und Jordanien und unter der Koordination und Aufsicht der CIA gigantische Mengen an Waffen nach Syrien verfrachten, um den Aufstand gegen Assad voran zu bringen. Die Zeitung beruft sich unter anderem auf Ausagen von Jihadisten-Chefs in Syrien, Insider in Washington, Experten der Konfliktforschung sowie auf die Auswertung von Flugdaten und anderem Beweismaterial. Die geheimen Waffenlieferungen wurden in der Regel von den beteiligten Regierungen abgestritten.
Nach vorsichtiger Schätzung seien mit 160 Flügen bereits dreitausendfünfhundert Tonnen Waffen und militärisches Gerät transportiert worden, sagte Hugh Griffiths, Experte für illegalen Waffenhandel vom Stockholmer Friedensforschungsinstitut, damals der New York Times. Man müsse „angesichts der Intensität und Häufigkeit dieser Flüge von einer gut geplanten und koordinierten geheimen Militäroperation ausgehen.“
Extreme Grausamkeit
Laut New York Times begann die Operation Anfang des Jahres 2012, wie auf Grund von Flugdaten nachzuweisen ist. Zu diesem Zeitpunkt wusste man im Weissen Haus in Washington bestens Bescheid über die Situation in Syrien. Auf der Homepage des amerikanischen State Department war zu lesen, man habe Kenntnis davon, dass bereits im Jahr 2011 Terrorgruppen mit grosser Grausamkeit in Syrien operierten. Eine dieser Gruppen, die Al-Nusra-Front, habe allein seit November 2011 die Verantwortung für über 600 Angriffe übernommen:
«Since November 2011, al-Nusra Front has claimed nearly 600 attacks – ranging from more than 40 suicide attacks to small arms and improvised explosive device operations – in major city centers including Damascus, Aleppo, Hamah, Dara, Homs, Idlib and Dayr al-Zawr. During these attacks numerous innocent Syrians have been killed.» (Vgl. „Das unvollendete Drehbuch“, Journal21 vom 9. Januar 2014)
2013 operierten bereits weit über tausend Milizen in Syrien. Insgesamt kämpften wohl über hunderttausend Mann gegen die Regierung von Baschar al-Assad. Die Aufständischen gingen mit extremer Grausamkeit vor. In den Orten, die sie einnahmen, wurden Soldaten oder Milizionäre der Assad-Regierung öffentlich hingerichtet, ethnische und politische Säuberungen waren die Regel. Wenn die Staats-Medien in Damaskus davon berichteten, wurde dies als Propaganda-Lüge des Assad-Regimes abgetan.
Effiziente Kommunikationsstrategie
Die westlichen Medien – besonders die Fernseh-Nachrichten – liessen noch im Jahr 2012 keinen Tag vergehen, ohne verzweifelt kämpfende „Rebellen“ zu heroisieren, die gegen eine übermächtige syrische Armee kämpften. Es häuften sich die Kommentare eifriger Meinungsführer, die der Europäischen Union und der NATO Untätigkeit vorwarfen. Jetzt müsse das Problem Assad endlich aus der Welt geschafft werden.
Die Regierungen der NATO-Länder wurden nicht müde, die Russen und den Iran zu beschuldigen, sie würden Assad militärisch unterstützen. Eine Kommunikations-Strategie, die sich als effizient erwies, denn viele Medien gingen dazu über, Russland und den Iran als eigentliche Verursacher des Syrien-Konfliktes zu behandeln.
Unter dem Lautsprecherlärm all dieser Lamentos und zeitgleich mit der täglichen Austrahlung von Bildern des Flüchtlings-Elends intensivierten die Amerikaner und die sogenannte „Gruppe der Freunde Syriens“ in aller Stille und Heimlichkeit ihre Waffenlieferungen. Sie appellierten nicht etwa an die Golfmonarchien und Erdogan, den Krieg zu stoppen, sondern schafften Waffen herbei, wo immer sie zu finden waren.
Waffen aus Libyen und Kroation
Saudiarabien kaufte Waffen aus kroatischen Beständen und flog diese auf den Esenboga-Flughafen bei Ankara. Von dort wurden sie auf Lastwagen nach Syrien gebracht. Auch Jordanien funktionierte als Drehscheibe. Als Tarnung dieser Transporte wurden allerlei zivile Unternehmen und Fluglinien benutzt.
Im September 2012 wurde der amerikanische Botschafter in Libyen bei einem Angriff auf das Konsulat in Benghasi ermordet. Der Geheimdienst-Ausschuss des US-Senats erstellte einen Report über den Vorfall. Dabei wurde publik, dass in Benghasi hinter den Mauern des US-Konsulats mehrere Dutzend CIA-Leute ihrer Arbeit nachgingen. In einem geheimgehaltenen Annex des Senats-Reportes wird aufgedeckt, welcher Art diese Arbeit war. Sie bestand im Wesentlichen darin, Waffen aus den reichhaltigen libyschen Arsenalen nach Syrien zu verfrachten. Der damalige CIA-Chef David Petraeus soll diese Operation wie auch die gesamten Waffenlieferungen über die Drehscheibe Türkei persönlich überwacht haben. Petraeus liess auf Anfrage der New York Times ausrichten, all dies habe nie stattgefunden.
In der Öffentlichkeit redete der amerikanische Aussenminister John Kerry stets von non-lethal help und humanitärem Engagement. Ebenso tönte es aus Paris, London und Berlin. Offiziell wurde lauthals nach einem Stopp der Kämpfe und nach einer politischen Lösung gerufen wurde. Under cover aber wurden mit erhöhter Intensität Waffen ins Bürgerkriegsland Syrien gepumpt.
Die Geister, die man rief…
Doch bereits 2012 warnten hohe Militärs und Experten in Washington vor der Bewaffnung der Jihadisten. Als diese in Syrien erstmals Armee-Helikopter abschossen, war klar, dass sie im Besitz von Boden-Luft-Abwehr-Raketen waren, sogenannten Manpads. Da wurden in Washington böse Erinnerungen an Afghanistan wach. Dort hatten die Amerikaner sich mit den Mudschaheddin verbündet, um der sowjetischen Armee eine Niederlage zu bereiten. Doch der Schuss ging nach hinten los. Dieselben Stinger-Luftabwehr-Raketen, die die CIA über Pakistan den islamistischen Kämpfern geliefert hatte, holten später amerikanische Helikopter vom Himmel. Auch da waren aus gefeierten Widerstandskämpfern mit einem Mal Terroristen geworden.
Die Story wiederholte sich wie ein Film, den man schon mehrmals gesehen hatte. In Washington, Paris und London wurde man bald einmal gewahr, dass es schwer werden könnte, die Geister wieder loszuwerden, die man gerufen (und bewaffnet) hatte. Man hatte - nach Libyen - erneut Öl ins Feuer gegossen, um einen arabischen Frühling zu fabrizieren, der im Chaos zu enden droht, wie es in Libyen offenbar der Fall ist.
Der Papiertiger
Als Rechtfertigung und zur Wahrung des Gesichtes wurde in Washington ein kompliziertes diplomatisches Narrativ verbreitet: Man unterstütze keine islamischen Gotteskrieger, lautete die Erzählung, sondern die sogenannte Freie Syrische Armee. Diese sei demokratisch gesinnt und bestehe zum Teil aus desertierten syrischen Armee-Offizieren, die das Assad-Regime stürzen wollten.
Diese Free Syrian Army wurde dann auch bereits 2012 mit Pauken und Trompeten präsentiert: Pressekonferenzen in türkischen Hotels, Fotos und Videos von bewaffneten Kämpfern; man sparte nicht an PR-Mitteln. Doch die FSA blieb ein Papiertiger, ihre Effiziens auf dem Gefechtsfeld war unbedeutend, im Innern von Syrien hatte sie keine Glaubwürdigkeit, sie wurde bald zurückgedrängt vom harten Kern der Jihadisten.
Tatsache ist, dass die Waffen wohl meist bei denen landen, die die militärische und politische Kontrolle über weite Teile Syriens erringen konnten, und einer der brutalsten und stärksten ist offensichtlich Abu Bakr al-Baghdadi und seine Organisation „Islamischer Staat im Irak und in der Levante“ (ISIS)
Was lesen Journalisten?
Die westliche Welt zeigt sich besorgt über den Vormarsch von ISIS im Irak. Die Medien, die jetzt von einem „völlig unerwarteten Blitzkrieg“ gefährlicher Terrorgruppen berichten, haben ihre Fakten-Speicher offensichtlich wegen sommerlicher Überhitzung abgeschaltet.
Sonst müssten sie sich daran erinnern, dass sie dieselben Leute, die heute Terroristen sein sollen, noch vor wenigen Monaten als „Rebellen“ bezeichneten, als heroische Widerstandkämpfer gegen den syrischen Präsidenten Assad.
Und zu allem Übel seien diese Terrorgruppen plötzlich steinreich – so heisst es - denn sie hättn in Mosul eine Bank ausgeraubt. „Reicher als Al Kaida“ seien sie nun, war in den Boulevard-Zeitungen zu lesen. Als ob die Dollar-Millionen, über die die Jihadisten verfügen, nicht aus den Golfmonarchien kämen, sondern aus einer Bank in Mosul. Man darf sich fragen, ob Journalisten, die derlei Unsinn kolportieren, in den letzten zwei Jahren einmal eine Zeitung gelesen haben, - ausser ihrer eigenen.
Vorbereitung eines Militärschlages?
Der türkische Geheimdienstchef Hakan Fidan und Aussenminister Ahmet Davutoglu diskutierten in einer Sitzung im vergangenen März darüber, wie man einen Zwischenfall provozieren könnte, um einen Vorwand für einen Angriff auf Syrien zu finden. „Notfalls könnten wir einen Anschlag auf das Grabmal von Suleyman Shah verüben,“ soll Fidan gesagt haben. Eine Tonaufnahme des Gesprächs wurde von Whistleblowern ins Internet gestellt. (NZZ 29.März 2014)
Solche Planspiele, um einen NATO-Bündnisfall zu fabrizieren, scheinen im Laufe der jüngsten Ereignisse bereits überholt. Der Casus Belli ist auch ohne konstruierte Begründungen und geheimdienstliche Lügengeschichten in greifbare Nähe gerückt. Washington hat einen Flugzeugträger in den persischen Golf geschickt. Pentagon-Sprecher John Kirby sagte, man wolle Präsident Barack Obama zusätzliche Flexibilität geben „sollten militärische Optionen nötig werden, um das Leben von Amerikanern und Interessen im Irak zu schützen.“ Auch dieser Satz kommt einem bekannt vor.