Welche Gesichter und Bilder haben diese Expo 2015 geprägt?
Komplexes Thema - einfache Bilder
Das Thema dieser Expo war anspruchsvoll: Feeding the planet. Energy for life. (Nutrire il pianeta, energia per vita). Mit dieser Formulierung hat die Expo den Zeitgeist erfasst und die Nachhaltigkeit wurde zu einem Hauptthema gemacht. Auf verschiedene Weise versuchte man, weltweit gute Ansätze in der Nahrungsmittelversorgung zu zeigen und „nachhaltige Rezepte“ – auch ganz einfach im Sinne von Kochanleitungen - zu verbreiten. Das Maskottchen „Foody“ ist das Bild auf den Tickets, T-shirts und Tassen, welches das komplexe Thema Ernährung vereinfacht darstellen soll. Ebenso simpel wie die einfachen Botschaften, welche die Veranstalter, Pavillonplaner und Besucher für das komplexe Thema suchten.
Bilder von Frauen waren in vielen Bereichen der Expo zu sehen, denn die Rolle der Frau in Ernährung und Erziehung lief wie ein roter Faden durch die Ausstellung. Frauen hatten immer schon in allen Kulturen eine wesentliche Bedeutung in der Nahrungsmittelproduktion und Zubereitung, sie leisten heute ausserdem als Unternehmerinnen und durch Erziehungsarbeit einen enormen Beitrag, um nachhaltiger und sparsamer mit den Ressourcen umzugehen.
Vom Korn zum Brot
Die Gesichter der fiktiven Personen Alex und Sylvia prägen den EU-Pavillon, wo ein Zeichentrickfilm über Brot mit dem seltsamen Namen „Golden Ear“ läuft (wobei nicht das goldene Ohr, sondern die Ähre gemeint ist). Diese Geschichte erwähnt den Prozess vom Weizenkorn zum Brot, sie zeigt aber auch das Problem, ein komplexes Thema wie die weltweite Sicherung der Nahrungsmittelversorgung in eine einfache Botschaft zu verpacken. Die beiden Figuren stehen für typisch europäische Eigenschaften und sollen eine Nachricht in Bilder fassen, die ohne viele Worte von den meisten Besuchern verstanden werden kann.
Die beiden Hauptfiguren Alex und Sylvia sollen die Idee von Tradition und Innovation verkörpern. Er ist Bauer, hat Agrarwissenschaften studiert, sie ist naturwissenschaftliche Forscherin und kommt in ihren Heimatort zurück, um für einen Sommer die Bäckerei der Grossmutter zu führen. Natürlich hat diese moderne Liebesgeschichte ein Happy End, leider arbeiten Tradition und Innovation in der realen globalen Welt nicht immer so gut zusammen.
Nahrung (für Körper und Geist) – Ernährung – Essen
Die Erwartungen der Besucher waren so unterschiedlich wie das Angebot. Für viele war die Expo sicher auch eine Art Tourismus-Messe, wo auf kleinem Raum die ganze Welt zu sehen war. Die meisten Besucher haben in einem fremden Pavillon eine landestypische Spezialität probiert, in einer Atmosphäre wie an einem Dorffest oder einem „Gastrofestival“. Der Happening-Charakter wurde vor allem nach 19 Uhr durch die günstigen Abendtickets bewusst gefördert.
Zur wissenschaftlichen Vertiefung des Themas waren die meisten Pavillons sicher nicht gedacht, aber die Grundidee kam zum Beispiel in Spaniens Pavillon so zum Ausdruck: Die Grundlage der Sprache sind die Wörter, die Basis der Ernährung sind die Produkte. Also wollen wir die Besucher auf einer „Reise des Geschmacks“ über die Qualität unserer Produkte informieren. Die vielfältigen Produktinformationen der diversen Länder dienten einigen Besuchern als Anregung, zum Beispiel stand immer der Wasserverbrauch bei jedem Produkt: Der so genannte „Water footprint“ misst die Menge an Süsswasser, die zur Produktion eines Nahrungsmittels gebraucht wird. Die vielen Pflanzen- und Gemüsebeete beeindruckten auch viele junge Besucher, denn sie konnten an den verschiedensten Kräutern oder Gewürzen schnuppern oder sehen, wie z.B. Peperoni oder Kakao als ganze Pflanze wachsen.
Thematische Cluster: alte Themen neu erzählt
Eine Neuheit an einer solchen Ausstellung waren die so genannten „Cluster“, neun gemeinsame Pavillons, wo sich einige Länder nicht nach rein geografischen Kriterien gruppierten, sondern sich thematisch in Bezug auf die folgenden Nahrungsmittel präsentierten: Getreide, Kakao, Kaffee, Reis, Gewürze, Obst und Hülsenfrüchte, Trockengebiete, Bio Mediterraneo, Inseln usw. Bei diesen Clustern gab es neben Veranstaltungen zur Wissensvermittlung natürlich auch Marktstände oder Bars, wo die Waren verkauft wurden. Zwischen Slow Food und dem Fast Food bei einigen Pavillons gab es für jeden Gusto etwas. Schlange standen die Menschen jedenfalls auch vor dem Sponsor mit dem grossen M.
Ein besonderes Theater-Spektakel zum Mitmachen bot sich zum Beispiel in der Bio-Mediterraneo-Ecke, wo ein Dutzend Besucher unter der Anleitung einer resoluten Köchin der Theatergruppe eigenhändig Tagliatelle machten, zuerst mussten sie dafür das Mehl der Cicerchia, einer wiederentdeckten Hülsenfrucht mahlen, dann den Teig kneten, auswallen und in Streifen schneiden, bis sie schliesslich die in Nester gerollte Pasta stolz nach Hause tragen konnten.
Expo in Zahlen
Die Bilder im letzten Monat Oktober zeigten vor allem die Schlangen vor den mehr als 50 Pavillons, die offiziellen Zahlen sprechen für sich: Insgesamt kamen von Mai bis Oktober mehr als 21,5 Millionen Besucher, davon ein Drittel aus dem Ausland. Allein im Monat Oktober wurden zirka 5 Mio. Eintritte verzeichnet, wobei hier auch die günstigen Abendtickets inbegriffen sind.
Das ganze Gelände hat eine Fläche von 1 Mio. m2, wäre also ein Quadrat von 1‘000 mal 1‘000 Metern, und entspricht im Grundriss einem römischen „Castum“ mit den sich kreuzenden Hauptachsen „Decumano“ und „Cardo“. Auf dem Decumano mit seiner segelartigen Überdachung konnte man zu Beginn der Expo noch Musik- oder Tanz-Darbietungen der einzelnen Länder sehen, zum Beispiel eine Alphorngruppe aus der Schweiz. Im Oktober war nichts mehr mit Musik auf der Gasse, der Menschenstrom von täglich 200‘000 Besuchern auf dem 1,5 km langen Decumano liess dafür einfach keinen Platz mehr.
Die Wartezeiten vor den Pavillons der einzelnen Länder waren auf Tafeln zu lesen, fast als ob eine lange Schlange ein Kriterium für die Qualität eines nationalen Pavillons wäre. In diesem Fall wäre Japan auf dem ersten Platz mit bis zu sieben Stunden Wartezeit an den letzten Tagen. Japans Pavillon “Harmony” hat zwar den Preis für die Beste Präsentation erhalten, aber Exhibitor Magazine’s Expo 2015 kürte Deutschlands „Fields of Ideas“ zum besten Pavillon.
Apfelringli sei Dank
Als Erfolgskriterium galt natürlich nicht nur die Zahl der Schlange stehenden Besucher, sondern Design, Aktivitäten oder das Thema: „Apfelringli sei Dank“, schrieb die Aargauer Zeitung, denn der Schweizer Pavillon hat den Exhibitor Award in der Kategorie beste Interpretation des Themas erhalten. Im Projekt „Confooderatio Helvetica“ mit den vier Türmen konnten die Besucher Fakten über Schweizer Produkte erfahren und eine Kostprobe mitnehmen. Gratis gab es Apfelringli, Kaffee, Salz und Wasser, die aber nicht unbeschränkt zur Verfügung standen. So mussten die Besucher gegen Ende der Ausstellung feststellen, dass Apfelringli und Wasser eine beschränkte Ressource sind, denn die vorhergehenden Besucher hatten sich ohne Rücksicht auf die Nachkommen bedient. Mit diesem Projekt wurde laut EDA eine „Ikone für verantwortungsvollen Konsum“ geschaffen.
Ein überraschendes Bild der Schweiz bot sich für Schweizer und andere Besucher hier auch, weil sie nicht Schokolade entsprechend den gängigen Klischees fanden, sondern eben Äpfel (in der Schweiz in vielfältigen Sorten vorhanden) oder Kaffee, denn der Export von Kaffee ist höher als der von Käse oder Schoggi.
Wasser wichtig in der Schweiz
Der Schweizer Pavillon bestand aber nicht nur aus Silotürmen, die urbane Schweiz wurde durch Basel, Zürich und Genf präsentiert. Innovation und Tradition sind das Geheimrezept in der Schweiz: ein Beispiel sind die Gemüsegärten mitten in der Stadt, wie an der Hardbrücke in Zürich, oder innovative Produkte wie eine Wasserflasche mit eingebautem Trinkwasserfilter.
Eine Nomination erhielt der Schweizer Pavillon auch in der Kategorie Bestes Exponat: die 24 Tonnen schwere Reproduktion des Gotthardmassivs, natürlich aus Granit der Region, war der Beitrag von den vier Kantonen Graubünden, Tessin, Uri und Wallis für die Ausstellung "Wasser für Europa". Mit Holzkanälen (wie in den Walliser Alpen) wurde das Relief von oben berieselt und zeigte anschaulich, welche Bedeutung die Gotthard-Wasserscheide mitten in Europa hat. Drei grosse Flüsse entspringen in der Zentralschweiz und so floss das Wasser vom Relief hinunter in alle Himmelsrichtungen: Rhein, Rhône und Ticino stand da in metallenen Buchstaben in den Rinnen im Boden, dazu kam noch der Inn im Graubünden, der in die Donau fliesst.
Nachhaltige Pavillons?
Was auf dem Gelände nach der Expo entstehen soll, ist allerdings noch nicht ganz klar, es wurde auch im Vorfeld bei der Planung zu wenig berücksichtigt, wie Carlo Ratti, Planer des Future Food District an der Expo, in einem Interview im Corriere del Ticino zu bedenken gibt: „Die ursprüngliche Sünde ist, dass man ohne einen Plan für die Zukunft gestartet ist. Im Allgemeinen haben die Grossveranstaltungen wie Expo und Olympiade einen langfristigen Erfolg, wenn das „nachher“ auch schon vor dem „vorher“ kommt – in anderen Worten, wenn man diese Events im Rahmen eines breit angelegten Veränderungsprozesses der urbanen Stadtstrukturen durchführt.(…) Das war zum Beispiel der Fall in Barcelona für die Olympiade 1992, als mit dem Bau der Villa Olimpica die Verbindung der Stadt mit dem Meer neu belebt wurde… Dieser Prozess ist in Mailand nicht passiert. Aber das hängt nicht von den Organisatoren ab, die mit Erfolg diese Expo gemanagt haben, sondern vom Dossier der Kandidatur zu Beginn.“ Wahrscheinlich wird eine Mailänder Universität einen Teil des Geländes nutzen, man spricht von einer „Science city“ oder einer Zone für Start-Ups im High Tech Bereich. Geplant sind auch Wohnungen, oder eine Kombination von allem. Stehen bleiben sicherlich der Pavillon Italiens, der Pavillon Zero am Haupteingang, der Bauernhof Cascina Triulza (wo zivile Organisationen ihren Sitz hatten) und das Open Air Theatre. Auch das meistfotografierte Objekt, der „Albero della Vita“ wird vermutlich stehen bleiben.
Die meisten anderen Pavillons wurden jedenfalls so geplant, dass sie wieder abgebaut und zum Teil wiederverwendet werden können. Die Container von Monaco zum Beispiel gehen an das Rote Kreuz und werden als Notfallstation in Burkina Faso wieder aufgebaut.
Ideen gegen Verschwendung
Die mehr als 20 Mio. Besucher müssen von den guten Ideen einige in ihren Alltag übernehmen, damit es nicht bei schönen Reden und guten Absichten bleibt. Ein bewusster Umgang mit unseren Lebensmittelressourcen bedeutet vor allem, dass wir die produzierte Nahrung auch wirklich essen. Aber ein Drittel des Essens in Europa, gemäss Schätzungen der FAO, wird in den Müll geworfen. Unter anderem liess auch der Schweizer Pavillon Postkarten zu diesem Thema drucken, vorne das Bild eines grossen Abfallkübels mit Essensresten und daneben gross „1/3“, auf der Rückseite eine Liste mit konkreten Ratschlägen auf die Frage „Was kann ich tun?“
Diese Verschwendung von Ressourcen war ein Thema, das von mehreren Organisationen aufgegriffen wurde. Eine eigene Kampagne unter der Leitung von Sonia Massari, junge Botschafterin der Expo und Leiterin eines internationalen „Food Studies“-Programms, richtet sich an alle Frauen und Männer, die mit ihrem Verhalten auch andere beeinflussen wollen: „So wie uns beigebracht wurde, zu Hause nichts schmutzig zu machen, so muss auch gesagt werden, dass wir kein Essen wegwerfen dürfen.“
„Food right now“ nennt sich das Projekt der Organisation Cesvi, mit Unterstützung von Alliance 2015 und der EU. Weniger mit dem Zeigefinger als Sonia Massari, aber im gleichen Ton sagt es eine kleine Arbeitsgruppe aus Bergamo und Milano in ihrem „Ricettario sostenibile“- eine nachhaltige Rezeptsammlung - mit praktischen Anregungen für jede Person, damit weniger Essen verschwendet wird.