In der Regel reagieren europäische Regierungen auf die fragwürdige Ausdehnung des Geltungsbereichs amerikanischer Gesetze auf internationales Gebiet erst, wenn sie der Öffentlichkeit auffällt.
Mit Einwilligung der europäischen Regierungen und NATO-Partner, die sich hinter dem Rücken ihrer Wähler wie Satellitenstaaten der USA verhielten, entführten Agenten des US-Geheimdienstes zahlreiche Verdächtige in afghanische, ägyptische, jordanische, marokkanische, syrische, polnische oder baltische Gefängnisse, wo die Verdächtigen oftmals gefoltert wurden.
Folgenlose Empörung
Der „Nichtständige Ausschuss des Europäischen Parlaments zur behaupteten Nutzung europäischer Staaten durch die CIA“ dokumentierte allein für die Zeit zwischen dem 11. September 2001 und Ende 2005 1080 Flüge der CIA und bewies, dass „die illegalen Transporte über 14 Länder gelaufen sind, darunter Deutschland, Schweden, Italien, Belgien und Spanien“, schrieb der italienische Abgeordnete des Europaparlaments, Giulietto Chiesa in Le Monde Diplomatique. „Zwei Länder (Polen und Rumänien) hatten – für einen noch nicht eindeutig geklärten Zeitraum – illegale Gefängnisse für mutmaßliche Terroristen zur Verfügung gestellt… Für mindestens dreißig Entführungsfälle mit anschließender ‚rendition‘ liegen inzwischen Beweise vor.“
Große Empörung herrschte im deutschen Blätterwald, als der Fall des 2003 von CIA-Agenten verschleppten Deutsch-Libanesen Khaled el-Masri bekannt wurde. Masri war von CIA-Agenten als angebliches al-Qaeda-Mitglied aus Skopje nach Bagdad und später Afghanistan verschleppt und gefoltert worden. Es war schon erstaunlich, dass die deutsche Öffentlichkeit darüber erstaunt war. Es war schließlich kein Geheimnis gewesen, dass sich die USA das Recht einräumen, ausländische Staatsbürger zu entführen. 1989 schon hatte der US-Kongress ein entsprechendes Gesetz verabschiedet.
Verbrechen im staatlichen Auftrag
Seither macht Washington regelmäßig von diesem Recht Gebrauch. So entführten Agenten der Drug Enforcement Agency (DEA) 1989 einen vermutlichen Drogenhändler aus Honduras, weil die honduranische Verfassung die Auslieferung eines Staatsbürgers an ein fremdes Land untersagt. Wenige Monate später organisierte die DEA „Operation Legende II“ und heuerte Kopfgeldjäger an, um Dr. Humberto Alvaréz Machain aus seiner Praxis in Guadalajara nach El Paso zu bringen. Alvaréz, dessen Auslieferung die mexikanische Regierung abgelehnt hatte, stand im Verdacht, an der Ermordung eines DEA-Agenten beteiligt gewesen zu sein. 1992 wurde der zyprische Geschäftsmann Hossein Alikhani, der verdächtigt wurde, gegen die US-Sanktionen gegen Libyen verstoßen zu haben, von Agenten des US-Zolls von den Bahamas nach Miami entführt.
Im Dezember 1997 erzwang Washington von der Regierung in Bogotá die Abschaffung eines Verfassungsartikels, der die Auslieferung kolumbianischer Staatsbürger an fremde Staaten untersagte. Allein in den folgenden acht Jahren verschifften die USA 239 Kolumbianer, die mit dem Drogenhandel in Verbindung gebracht wurden, in die Vereinigten Staaten. Als 2000 die Frau eines amerikanischen Obersten und 2005 fünf amerikanische Soldaten, die im Rahmen des Antidrogenkriegs in Kolumbien stationiert waren, beim Heroin- und Kokainhandel ertappt wurden, schafften die USA die Verdächtigen heimlich auf dem schnellsten Weg aus dem Land. „Tatsächlich begingen diese Soldaten das Verbrechen in Kolumbien, und gemäß unseres Auslieferungsabkommens, das bilateral ist, müsste hier gegen sie verhandelt werden“, klagte damals ein Abgeordneter in Bogotá. Der US-Botschafter jedoch behauptete, die fünf Soldaten genössen diplomatische Immunität.
Boykott des "Ständigen Internationalen Gerichtshofs"
Wenn US-Bürger im Ausland von Festnahme bedroht sind, reagieren die USA sehr empfindlich. Darum unterstützte Washington zwar die Einrichtung internationaler Gerichte, vor denen Menschenrechtsverletzungen und Gräueltaten verhandelt wurden, die in Jugoslawien, Ruanda, Sierra Leone oder Kambodscha begangen worden waren, widersetzt sich aber vehement der Einrichtung eines "Ständigen Internationalen Gerichtshofs" (ICC).
Darum stimmten die USA zusammen mit China, Israel sowie vermutlich Libyen, Irak und dem Jemen gegen das Rom-Statut, mit dem der ICC eingerichtet wurde. Mitte 2002 verabschiedete der Kongress ein Gesetz, das dem Präsidenten die Möglichkeit gibt, „jede notwendige Maßnahme“ zu ergreifen, um die Freilassung gleich welchen amerikanischen Bürgers zu erzwingen, der vom ICC verhaftet würde. Zudem verbietet dieses Gesetz den Einsatz amerikanischer Truppen bei UN-Friedensmissionen, es sei denn, dass den US-Soldaten völlige Immunität vor Strafverfolgung durch den ICC garantiert wird. Es verbietet ebenfalls jede amerikanische Militärhilfe für Staaten, die dem ICC angehören (ausgenommen sind die NATO-Mitglieder, Ägypten, Israel, Jordanien und Taiwan).
Durchleutung von UN-Mitarbeitern
Immer wieder verblüfft die naive oder ignorante Reaktion der europäischen Öffentlichkeit, wenn Washington omnipotent seine Machtansprüche durchsetzt. Ende 2010 sorgten Kabel amerikanischer Diplomaten, die Wikileaks veröffentlicht hatte, für Aufregung in den Medien. Demnach hatten sowohl US-Außenministerin Hillary Clinton als auch ihre Vorgängerin, Condoleezza Rice, ihre Diplomaten angewiesen, Angestellte und Mitglieder der Vereinten Nationen einschließlich Generalsekretär Ban Ki-moon auszuspionieren und alles über sie in Erfahrung zu bringen. Die Aufregung schien wenig glaubhaft.
Schon vor über zwanzig Jahren hatte Shirley Hazzard in ihrem Buch „Countenance of Truth: The United Nations and the Waldheim Case“ darauf hingewiesen, dass der damalige UN-Generalsekretär Trygve Lie bereits 1949 ein Geheimabkommen mit dem US-State Department unterschrieben hatte, demzufolge Amtsinhaber und Bewerber um Stellen im UN-Sekretariat ohne eigenes Wissen von US-Agenten durchleuchtet werden durften. Die beiden Damen hatten tatsächlich nur das Abkommen von 1949 sozusagen aktualisiert und modernisierten die Liste der zu sammelnden Daten. Vor 60 Jahren gab es weder biometrische Daten (DNA oder Irisscans) noch Kreditkarten oder emails mit ihren Passwörtern und Kodifizierungsschlüsseln.
Das "Helms-Burton-Gestz"
Wenn’s um die Geschäfte geht, reagieren europäische Regierungen wesentlich rascher. Am 12. März 1996 verabschiedete der US-Kongress den Cuban Liberty and Democratic Solidarity Act, besser bekannt als das Helms-Burton-Gesetz. Das Handelsembargo gegen Kuba war damit gesetzlich festgelegt.
Gemäß Artikel III der als Bacardi-Gesetz (Die Bacardi-Familie verlor ihre Destillerie in Santiago e Cuba im Zuge der Verstaatlichungen und setzte sich sehr für eine Verschärfung des Embargos gegen Kuba ein.) verspotteten Einschränkung des sonst so lautstark verteidigten freien Handels darf jede amerikanische Firma und jede amerikanische Person gegen jedwede Einheit gleich welcher Nationalität vor einem US-Gericht klagen, die vom Gebrauch verstaatlichten US-Besitzes profitiert hat oder mit (kubanischen) Nutzern ehemaligen US-Besitzes Handel treibt.
Zu US-Bürgern, die gegen solche ausländischen Firmen klagen können, zählen auch Menschen, die zum Zeitpunkt ihrer Enteignung noch Kubaner waren und erst später eingebürgert wurden. Das wäre etwa so, als könnte der Nachfahre eines deutschen Junkers, der im Zuge der zwischen 1945 und 1949 von der DDR durchgeführten Bodenreform enteignet wurde und inzwischen US-Bürger ist, Ansprüche geltend machen.
Ein Rückzieher
Über derartige extraterritoriale Machtansprüche, die ihr natürliches Recht, Handel mit jeder beliebigen Person treiben zu können, beeinträchtigten, empörten sich zahlreiche der engsten Alliierten Washingtons. Die Europäische Union reagierte sofort und drohte mit einer eigenen Gesetzesinitiative als Gegenmaßnahme. Einige Staaten erließen Gesetze, die es ihren Firmen erlaubten, Gegenklage vor europäischen Gerichten einzureichen, sollten sie nach Artikel III des Burton-Helms-Gesetzes angeklagt werden.
Eine von der EU vor der Welthandelsorganisation eingereichte Klage brachte die USA schnell an den Verhandlungstisch. Washington sicherte zu, keine europäischen Unternehmen nach den Bestimmungen des Burton-Helms-Gesetzes juristisch zu verfolgen, wofür die EU ihre Klage vor der WTO zurückzog. Die US-Administration sah „nationale Interessen“ gefährdet, als sich plötzlich die europäischen Freunde gegen Washington wandten.