Der Bundesrat hat entschieden: Die Freigabe von Munition aus schweizerischer Produktion für die Gepard-Flugabwehr-Panzer, die Deutschland an die Ukraine geliefert hat, wird nicht bewilligt. Am gleichen Tag beschliesst der Bundesrat, der Ukraine eine Sofort-Winterhilfe von 100 Millionen Franken zur Instandstellung der gezielt zerstörten Energie- und Wasserversorgung zu gewähren. Eine schlechte und eine gute Nachricht für die um ihre Existenz kämpfende Ukraine.
Das erneute Nein der Regierung in Bern zum deutschen Gesuch zur Weitergabe von Munition für die inzwischen an die Ukraine gelieferten Flugabwehr-Panzer Gepard hat nicht besonders überrascht, nachdem der Bundesrat schon im Sommer die gleiche Anfrage des Berliner Verteidigungsministeriums abgelehnt hatte. Dennoch gibt es gute Gründe, diesen Entscheid nicht nur für falsch gegenüber der Ukraine zu halten, sondern auch im Hinblick auf übergeordnete eigene Interessen der Schweiz.
Die Ukraine führt einen reinen Verteidigungskrieg
Schon gar nicht zu überzeugen vermag die Formulierung in der gestrigen Erklärung aus Bern, man könne der Lieferung dieser Munition von Deutschland an die Ukraine wegen der sogenannten Nichtwiederausfuhr-Klausel deshalb nicht zustimmen, weil dieses Land in einen «internationalen bewaffneten Konflikt verwickelt» sei. Das tönt, als ob die Ukraine an einem gewissermassen «normalen» Krieg beteiligt sei, in dem beide Seiten versuchen, den Feind bis zur völligen Kapitulation niederzuringen und ihm mindestens teilweise sein Territorium zu entreissen.
Diese Zielvorstellung trifft aber für die Ukraine überhaupt nicht zu. Dieses Land ist von Putins Streitkräften ohne jede glaubhafte Begründung mörderisch überfallen worden und kämpft einen reinen Verteidigungskrieg. Es erhebt gegenüber dem Angreifer keinerlei willkürlichen Gebietsansprüche. Die Formulierung vom «internationalen bewaffneten Konflikt» vernebelt meiner Ansicht nach diese eindeutige Unterscheidung zwischen Angreifer und Verteidiger. Damit lässt sich rhetorisch auch leichter kaschieren, dass die Schweiz mit ihrer Entscheidung, die Weitergabe dringend benötigter Abwehrkapazitäten gegen die verheerenden russischen Drohnenangriffe zu untersagen, die Ukraine verteidigungspolitisch sehr konkret im Stich lässt.
Ein Leser stellt im «Spiegel» in diesem Zusammenhang die nicht unberechtigte Frage, ob die Schweiz in Sachen Gepard-Munition wohl gleich handeln würde, «wenn die Ukraine ein Nachbarland wäre und die Russen bei einer Besetzung kurz vor Graubünden stünden». Würde man da wohl auch die Formel bemühen, dass dieses Nachbarland in einen «international bewaffneten Konflikt verwickelt» sei und man deshalb keine Munitionslieferung zur Verteidigung bewilligen könne?
Gäbe es andere Munitionslieferanten?
Schaut man sich aber die Zahlen für diese Gepard-Munition genauer an, die Deutschland wegen dem Nein aus Bern nun nicht in die Ukraine liefern kann, so muss man einräumen, dass es sich dabei schwerlich um eine Entscheidung von kriegsentscheidendem Gewicht handeln kann. Laut den vorliegenden Informationen geht es um 12’400 Patronen 35-mm-Munition für den Flugabwehr-Panzer. Laut einem anderen «Spiegel»-Leser benötigt ein Gepard auf dem Feld durchschnittlich 4480 Patronen pro Woche. Die Menge, die Deutschland aufgrund seines Gesuches an Bern in die Ukraine liefern wollte, würden demnach nur für rund drei Wochen Einsatz eines einzigen Panzers ausreichen.
In diesem Zusammenhang stellt sich übrigens weiter die praktische Frage, ob Deutschland denn bei anderen Ländern nach geeigneter Munition nachfragt, die auch über den Gepard-Panzer verfügen sollen. Ein anderer Leser in der FAZ behauptet, zu diesen Ländern zählten Belgien, die Niederlande, Jordanien, Rumänien, Brasilien und Katar. Falls das stimmt, so könnte die Schweiz zumindest aktive diplomatische Hilfe anbieten, um der Ukraine auf anderen Wegen doch noch zu der bitter benötigten Flugabwehr-Munition zu verhelfen. Auf das Geschrei der ideologischen Neutralitäts-Fetischisten in der helvetischen Arena, die auch eine solche immaterielle Hilfe als Neutralitätsbruch verteufeln würden, müsste der Bundesrat dabei gewiss keine Rücksicht nehmen.
Kein zufälliges Timing
Zum eingangs erwähnten Beschluss des Bundesrates, der Ukraine eine sogenannte Winterhilfe im Umfang von hundert Millionen Franken zu gewähren, können wir uns kurzfassen. Der Entscheid ist rundum zu begrüssen. Was liegt näher, als einem europäischen Land, dessen Infrastrukturen von Putins Streitkräften seit Wochen systematisch bombardiert werden, sodass immer wieder Millionen von Menschen unter der Zivilbevölkerung ohne Elektrizität und Wasser überleben müssen, möglichst schnell und tatkräftig geeignete Hilfsgüter wie Pumpen, Generatoren, Aufbereitungsanlagen usw. zukommen zu lassen – zusammen mit Fachleuten mit entsprechendem Know-how. Diese Art von Unterstützung könnte vor dem herannahenden Winter für sehr viele Menschen in der Ukraine von grösserer Bedeutung sein als die Absage aus Bern zur Freigabe von Gepard-Munition.
Dass dem Bundesrat selber offenbar nicht wohl war bei seinem negativen Munitions-Entscheid lässt sich unschwer erahnen. Die Nachricht von der zusätzlichen Winterhilfe an die schwer bedrängte Ukraine ist am Mittwoch mit hoher Sicherheit nicht zufällig am gleichen Tag wie das Nein zur deutschen Munitionsanfrage verkündet worden.