Die zweite Saison des Theater Basel unter der Direktion von Andreas Beck startet unter erfreulichen Auspizien, errang das Haus doch nach nur einjähriger Direktion Beck von den Kritikern der Fachzeitschrift „Theater heute“ mit 35 Nennungen den zweiten Platz im Ranking der deutschsprachigen Theater als „Theater des Jahres“. Dies dürfte – neben den überdurchschnittlichen Spitzenproduktionen der Saison 2015/16 auch auf Ausrichtung und Zusammensetzung des klug konzipierten Spielplans zurückzuführen gewesen sein. Waren in der vergangenen Saison die Grundthemen Freiheit und Selbstbestimmung gewesen, so schränkt man in diesem Jahr die übergrossen Themen ein und beruft sich auf die Mittel des Menschenmöglichen. Wobei – konträr zu „Die Macht des Schicksals“ – dies natürlich auch den Mythos des Möglichen beinhaltet. Theater bleibt schliesslich Theater. Wenn nicht hier, wo sonst könnten die grossen Menschheitsthemen verhandelt werden?
Kühner Saisonauftakt
Wir Zuschauer hingegen dürfen das Theater – beeinflusst oder nicht – jeweils verlassen, ohne wirklich zur Rechenschaft gezogen zu werden. Gleich zwei Schauspielstücke zur Basler Spielzeiteröffnung führen indessen vor, was ganz lokal und schweizerisch im Reiche der Finanzpolitik folgenlos oder folgenschwer bleiben kann. Als Auftaktragswerk wurde die theatralische Untersuchung einer real in Basel existierenden, geheimnisvollen internationalen Banken-Institution der süddeutschen Autorin Theresia Walser (geb. 1967) anvertraut – ein kühner Wurf als Saisonaufttakt!
Die BIZ Basel – Graue Eminenz der Zentralbanken
Theresia Walsers Stück „Im Turm zu Basel, oder Die Unsichtbaren“ untersucht mit Mitteln der Groteske die weitgehend unbekannte Welt innerhalb der „Internationalen Bank für Zahlungsausgleich“, kurz BIZ genannt. 1930 für die Neuregelung der deutschen Reparationszahlungen gegründet und auch nach der Abwicklung dieser Zahlungen weitergeführt, ist diese weltweit älteste Finanzorganisation die Graue Eminenz der Zentralbanken. Sie verwaltet weltweit ungeheure Vermögen im dreistelligen Billionenbereich, agiert jedoch praktisch unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Die Bank hat sich in all den Jahren und durch alle Kriege und Krisen hindurch zu einer tragenden Säule des globalen Finanzsystems entwickelt. Und all das im turmartigen Hauptgebäude auf exterritorialem Grund vor dem Basler Hauptbahnhof – ein Gebäude übrigens, dessen Architektur bei seiner Erstellung 1977 durch den Basler Architekten Martin Burckhardt als „vegetativ“ bezeichnet worden war. Die Ähnlichkeit mit dem Aufbau eines – im Wind praktisch unknickbaren – Schachtelhalms war vom Architekten sicherlich auch sinngemäss angelegt worden. Damals hätte man sich den Zusammenbruch der Finanzmärkte von 2008 und die global verheerenden Auswirkungen des Neoliberalismus nicht träumen lassen. Doch der Schachtelhalm wurde trotz allem nur leicht angeknickt – im Turm zu Basel wird weiterhin Weltfinanzpolitik verwaltet.
Sprachwitzige Groteske
Unknickbar erscheint auf den ersten Blick auch das einschlägige Personal in Theresia Walsers Stück. Bezeichnenderweise wählte die Autorin innerhalb dieser Männerwelt eine Frau als „Turmherrin“ namens Tronje, von Katia Jung mit Verve und einer hinreissenden Mischung von leidenschaftlichem Willen zur Aufrechterhaltung der Institution und gleichzeitig abgelöschter Nonchalance gespielt – ein Erlebnis! Dieser Figur legt die Autorin auch die meisten zynisch-wissenden Sätze in den Mund, lässt die Groteske sprachwitzig aufblühen: „Von hier aus ist die Wallstreet nichts als eine Spekulantengosse ... Wir sind das Hirn der Finanzwelt, nicht der Trieb. Wir leben hier im Zölibat, jawohl. Monetäres Zölibat ... Wir analysieren. Wir sind der Kontext. Hier gehen keine Sparbuchspiesser ein und aus. Wir sind keine gemeine Schalterbank mit billigem Geraschel. Was immer geschieht, wir bleiben.“
Bis die Finanzwelt untergeht
Von diesem eisernen Willen zu bleiben sind auch alle anderen Figuren des Kammerspiels erfüllt, nornenhaft beobachtet und kommentiert von den beiden alterslosen Raumpflegerinnen: „Die sind nicht Politik. Die sind Zinsmacher. Kreditkardinäle. Die kann man nicht mal wählen!“ Sowohl ihnen als auch den vier männlichen Gremiumsmitgliedern ist anzusehen, was die Autorin in einem Interview verriet: „Schauspieler-Innen bringen mich erst auf Figurenideen, sie provozieren sozusagen Charaktere, auf die ich, ohne sie zu kennen, nicht gekommen wäre.“ Dieses Vorgehen der Autorin, verstärkt durch eine kluge, eher behutsame Regie der Uraufführung (Sebastian Schug), schafft bei allem Aberwitz äusserst lebendige, nie hölzern konstruierte Persönlichkeiten. Und spätestens wenn Tronje zum Schluss selber das Gouvernement in Bankerkittel und Krawatte antritt, macht sie ihrem Namen alle Ehre: Hie die Nibelungen und ihr Hort, von Hagen von Tronje bis zum letzten Blutstropfen verteidigt – da die Billionen der Welt, von einem Frau-Mann verwaltet, bis die Finanzwelt untergeht.
Im Basler Publikum setzte sich neben etwas zurückhaltenderen Mienen aber schliesslich grosse Begeisterung für ein kurzweiliges, geistreiches Stück durch, dessen Lokalbezogenenheit sich schliesslich von der Antike her ableitet und bis heute nichts von seiner Spannung verloren hat.
Nächste Vorstellungen: 17., 24., 26.9.