Berlusconi – im Ausland oft eine Lachnummer. Trotz all seinen Entgleisungen liegt er in den italienischen Meinungsumfragen vorn: trotz seines Affronts, seiner schäbigen Juden-Witzen, seiner wenig erfolgreichen Politik, seiner Frauengeschichten. In Italien ist und bleibt er die Nummer eins, wenn auch mit gerupften Federn. Warum?
Dafür mag es mehrere Gründe geben. Dazu gehört, dass es der Opposition nicht gelingt, ihre Postulate in Schlagworte zu fassen, wie dies Berlusconi kann. Die Opposition ist zerstritten, sie verrennt sich in einem sterilen „Intellektualismus“, den Anführern fehlt es an Charisma.
Der andere Grund ist, dass Berlusconi die Medien beherrscht und sich von ihnen feiern lässt. Das weiss man zwar schon lange, doch eine neue Untersuchung bestätigt dies jetzt Sekunden-genau.
Auch die RAI zelebriert den Sonnenkönig
Berlusconi und die Seinen können ihre Botschaft dreimal häufiger vermitteln als seine Gegner. Sie hämmern ihre Sichtweise ihrem Volk Mittag für Mittag ein, Abend für Abend. Berlusconi ist auf allen Fernsehkanälen präsent – und meist unwidersprochen. Und präsent ist er keineswegs nur auf den privaten Kanälen, die ihm gehören. Auch die öffentlich-rechtliche RAI zelebriert den Sonnenkönig in Überdosis.
Telekratie nennt man das. Oder: Gehirnwäsche. Oder: „Bananenrepublik“ wie Italiens grösste Zeitung, die oppositionelle „Repubblica“ schreibt. Wenn Venezuelas Hugo Chavez jede Woche stundenlang zu seinem Volk spricht, lacht Europa. Als Fidel Castro, dazumal, siebenstündige TV-Reden hielt, war nur Kopfschütteln angesagt. Und Berlusconi?
In den ersten neun Monaten dieses Jahres sprach Silvio Berlusconi während insgesamt fast tausend Minuten in den sieben wichtigsten Tagesschauen Italiens. Genau: 997 Minuten und 49 Sekunden lang. Der Chef der Opposition, Pier Luigi Bersani durfte knapp dreimal weniger sprechen, nämlich 364 Minuten und 53 Sekunden.
Der Retter der Welt
Dies geht aus einer jetzt veröffentlichten Untersuchung des Instituts Vidierre hervor. Die Forscher haben die Fernsehauftritte der hundert mediatisiertesten Persönlichkeiten Italiens mit der Stoppuhr gemessen. Sie untersuchten, wie oft jede dieser Personen in den wichtigsten Fernsehnachrichten-Sendungen Italiens zu Wort kam. Gemessen wurden die Auftritte in den Mittagstagesschauen und in den abendlichen Hauptausgaben von TG1, TG2, TG3, TG4, TG5, Studio Aperto und TG La7.
Das Fernsehen ist wichtig in Italien, vor allem in der Provinz, in den kleineren Städten. Wer Italien kennt, kennt unverwechselbar spezielle Geräusche. Kurz vor 20.00 Uhr rattern in den Strassen und Strässchen die eisernen Rollläden der Verkaufsläden runter. Wenige Minuten später dringt aus den offenen Fenstern - seit vierzig Jahren – das gleiche Signet: das Signet der Tagesschau von RAI1.
Es gibt Untersuchungen, die zeigen, dass die meisten Italiener vor dem Fernseher essen. Am Mittag und am Abend. Die Hauptausgaben der Tagesschauen sind bewusst auf die traditionellen Essenszeiten angelegt.
So sehen die Italienerinnen und Italiener Tag für Tag ihren Berlusconi, immer und immer wieder. Braunbegrannt, mit falschen Versprechungen, polarisierend, attackierend, verhöhnend. Silvio überall. Kein Volk ist so resistent, dass es von dieser täglichen Hirnwäsche nichts abbekommt.
Letzte Woche liess er verbreiten, dass er – Zitat – „die Welt gerettet hat“. Er sei es gewesen, der Obama geraten habe, die Banken zu retten. Er sei es gewesen, der Putin zu Abrüstungsschritten gewogen habe. Und die Italiener glauben es.
Was Berlusconi sagt muss wohl stimmen
Dass ein Ministerpräsident häufiger am Fernsehen auftritt als die Opposition, ist normal. Doch das italienische Ausmass ist einzigartig. Das Credo jeder zivilisierten öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalt (wie zum Beispiel der SRG) ist es, dass man bei kontroversen Themen beide Seiten zu Wort kommen lässt.
Sagen die Rechten etwas, holt man eine Stimme der Linken ein, sagen die Gewerkschaften etwas, holt man eine Stellungnahme der Arbeitgeber ein, etc. In Italien gilt dieses Prinzip nicht. Sagt Berlusconi etwas, muss es wohl stimmen.
Nicht nur Berlusconi ist omnipräsent. Er und seine Parteifreunde hatten in den sieben wichtigsten Tagesschauen eine Präsenz von 3194 Minuten. Die Vertreter der drei grossen Oppositionsparteien, Pd, IdV, Udc, sind 1051 Minuten und 89 Sekunden zu Wort gekommen. Das ist weniger als ein Drittel der Zeit, die den Berlusconi-Leuten gegeben wurde.
Sergio Marchionne - weit abgeschlagen
Nicht nur Berlusconi und seine Politiker sind omnipräsent. Auch die Direktoren seiner ihm sehr genehmen Zeitungen werden immer wieder befragt: nicht nur in Talkshows, auch in den Tagesschauen. So kommt Vittorio Feltri, der Direktor des „Giornale“ ständig zu Wort. Der „Giornale“ ist das eigentliche Kampfblatt Berlusconis. Feltri nimmt den 19. Rang der hundert am Fernsehen meist gesehenen Personen ein. Er liegt noch vor Umberto Bossi, dem Chef der mit Berlusconi verbündeten fremdenfeindlichen Lega Nord.
Und Maurizio Belpietro, auf den letzte Woche ein Attentat verübt worden sei (obwohl vieles obskur bleibt), liegt auf Platz 38. Belpietro ist Direktor des sehr rechts stehenden „Libero“.
Personen, die Berlusconi nicht genehm sind, hört man selten. Auch wichtige Wirtschaftsvertreter nicht. So liegt Sergio Marchionne, der Fiat-Chef und Berlusconi-Kritiker, weit abgeschlagen zurück. Er trat nur halb so viel auf wie Fabrizio Corona, der Starfotograf Italiens, der sich an den Stränden und in Bars mit Sternchen und Möchtegern-Sternchen befasst. Corona sprach 40 Minuten lang.
Bruno Vespa - His Master’s Voice
Nicht untersucht wurden jetzt die Auftritte in den Talk-Shows. Dort ist Berlusconi ohnehin ein Star. Zum Beispiel in der Diskussionssendung Porta a porta. Sie wird von einem der bekanntesten Journalisten Italiens moderiert: Bruno Vespa. Er wird als publizistischer Übervater gehätschelt und ist doch in Wahrheit nur His Master’s Voice.
In seinen Sendungen tritt Berlusconi häufig auf, wird nie hart angefasst, kann seine Message immer wieder durchbringen.
Während des G8-Gipfels in der Erdbeben-Stadt L‘Aquila wurde ein einziger italienischer Journalist in den engsten Kreis der Mächtigen dieser Welt zugelassen: Bruno Vespa. Dank Berlusconi erhielt er Zutritt. Was jeden andern Journalisten schaudern würde, weil er nun definitiv wüsste, dass er korrumpiert ist, stört Vespa nicht. In Zeitungskolumnen, zum Beispiel in der „Nazione“, brüstet er sich, dass er der Einzige war. Bruno Vespa trägt viel zur Verherrlichung Berlusconis bei.
“Bedauernswert“ und „unerträglich“
Dass die Berlusconi-Leute ein seltsames Verhältnis zu den News haben, zeigt auch dieses Beispiel. Am 2. Oktober, nach der jüngsten Schlammschlacht zwischen Berlusconi und Fini, kritisierte der Vatikan mit scharfen Worten den Premierminister. Berlusconi hatte wieder einmal öffentlich widerwärtige Witze über die Juden erzählt. Der „Osservatore Romano“ und „Avvenire“, die Vatikan-treuen Zeitungen, nannten Berlusconis Verhalten „bedauernswert“ und „unerträglich“. Die meisten Medien brachten diese Meldung. Die meistgesehene Tagesschau, TG1, brachte sie nicht.
Es gibt auch in Italien eine Behörde, die auf die Ausgewogenheit und der Berichterstattung achten sollte, eine Art italienische UBI. Doch die ist längst vor Berlusconi eingeknickt. Einige Parlamentarier, die der neuen Fini-Partei angehören, haben im Parlament eine Motion eingebracht. Danach soll die Berichterstattung pluralistischer werden. Es ist nicht anzunehmen, dass der Sonnenkönig zulässt, dass er weniger lang in der Sonne stehen darf.