In diesen Tagen wird intensiv des Holocausts gedacht. Gedenkfeiern finden statt, die Befreiung des KZ Auschwitz jährt sich zum 75. Mal, Zeitzeugen melden sich mit erschütternden Berichten; es wird an die Dokumente, die wissenschaftlichen Schriften erinnert, die sich mit der massenhaften Vernichtung von Menschen beschäftigt haben, und es wird vor allem, beschwörend, gesagt: Was da geschehen ist in den Konzentrationslagern, darf nie vergessen werden.
Künstler, Literaten haben sich an das Thema herangewagt. Sie sind von Anfang an kritisiert worden, beargwöhnt, das Schlimmste und Fürchterlichste, was Menschen anderen Menschen angetan haben, zu ästhetisieren. «Nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, ist barbarisch», meinte der einflussreiche deutsche Soziologe und Philosoph Theodor W. Adorno – und sprach vielen aus der Seele. Man könnte auch das Gegenteil behaupten und aufzeigen, dass es gerade Kunstwerke sind, die einem die Nazi-Barbarei am eindrücklichsten zu schildern vermögen und deshalb am besten geeignet scheinen, dem Vergessen entgegen zu wirken. Einer der stärksten Texte, die in diesen Zusammenhang gehören, stammt von dem heute beinahe vergessenen deutschen Autor Peter Weiss (1916 – 1982).
Weiss nahm als Zuschauer Mitte der Sechzigerjahre am Auschwitz-Prozess in Frankfurt teil. Was er sah und hörte, verarbeitete er in einem Theaterstück: «Die Ermittlung», ein Oratorium in elf Gesängen, wie er es nannte. Im Stück bringt er Ankläger, Angeklagte und Zeugen auf die Bühne und komponiert den im Gerichtsaal gehörten O-Ton zu einem eiskalten Drama. Im Zuge seiner Recherchen besuchte Weiss das KZ Auschwitz, das er «Meine Ortschaft» nannte. Den gleichnamigen, ein Dutzend Seiten langer Text, wird niemand vergessen, der ihn je gelesen hat. Sachlich bleibt er, vom ersten bis zum letzten Wort, was das Grauen, das er evoziert, nur noch verstärkt. Was Weiss tut, ist nicht barbarisch. Er findet die richtigen Worte, um begangene Barbarei aufzuzeigen und zu definieren als abschreckendes Zeichen für alle Zeiten.