Das polare Barentsmeer gilt als die grösste atomare Müllkippe der Welt. Dort lagern ausrangierte U-Boote der russischen Marine. Zum Teil sind sie provisorisch in der Saida-Bucht festgemacht worden. Um sie am Sinken zu hindern, wird in sie ständig Luft gepumpt. Nur zum Teil ist es bisher gelungen, die Reaktoren und andere atomare Reste zu bergen und zu entsorgen.
Seit 1955 baut Russland, beziehungsweise die damalige Sowjetunion, atomar getriebene U-Boote. Insgesamt soll sich bis 1991 die Flotte auf etwa 240 Einheiten belaufen haben. Mittlerweile, jedenfalls belegen das ältere Zahlen, sind von diesen U-Booten 200 ausser Dienst gestellt. Das Problem besteht natürlich in der Entsorgung. Denn es ist technisch aufwendig und schwierig, die atomaren Bestandteile wie die Reaktorblöcke, atomare Waffen und Brennstäbe aus den Booten zu entfernen. Dazu müssen sie zum Teil aufgeschweisst werden.
Zudem sind drei U-Boote gesunken: Die atomreaktorgetriebene K-219 sank mit 30 Atomsprengköpfen an Bord 1986, die K-279 Komsomolez 1989 und die K-159 im Jahr 2003. Dazu kam es zu anderen zum Teil gravierenden Zwischenfällen. So entstand 1995 im russisches Atom-U-Boot «Akula» im Hafen von Murmansk die Gefahr einer akuten Überhitzung der Reaktoren, nachdem die russischen Elektrizitätswerke die Stromzufuhr für die Kühlung unterbrochen hatten. Die russischen Streitkräfte waren zumindest damals bei den Strombetrieben mit Millionen verschuldet.
Späte Warnungen
Aus heutiger Sicht ist es völlig indiskutabel, atomare Abfälle schlicht und einfach im Meer zu versenken. Doch auch die Amerikaner, Engländer und Franzosen haben das getan. Erst im Jahr 1972 gab es ein erstes Abkommen, das diese Praxis verbietet.
Es hat auch gedauert, bis die Problematik atomarer Abfälle im Meer überhaupt zum öffentlichen Thema wurde. In der Sowjetunion gab es zwei Warner: Konteradmiral Nikolai Mormul 1983 und später Alexander Nikitin. Beide wanderten ins Gefängnis. Im Westen hat sich insbesondere Greenpeace mit Warnungen vor der «Verklappung» atomarer Abfälle hervorgetan.
In dem Masse, wie sich die nahezu globale Bedrohung abzeichnete, die von der grossen Menge der atomaren Altlasten der sowjetischen Kriegsmarine ausgeht, hat sich der Westen bereit erklärt, Abkommen zu schliessen und Hilfe zu leisten. So wurde 2002 auf dem G-8-Gipfel in Kananaskis, Kanada, beschlossen, ein Langzeitlager zu errichten und für Entsorgungsmassnahmen bis zu 20 Milliarden Dollar bereitzustellen. Und 2003 startete die «Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung» ein Programm, um Russland bei der Bewältigung der nuklearen Abfallproblematik zu unterstützen.
Risiken der Bergung
Ein grosser Erfolg auch in den Augen der norwegischen Umweltorganisation «Bellona» ist die Entsorgung des Frachters «Lepse». Das 85 Jahre alte Schiff, das unter Umweltschützern als «schwimmendes Tschernobyl» galt und nur wenige Kilometer vom Zentrum der Stadt Murmansk am Kai lag, konnte fachgerecht entsorgt werden.
Auf der anderen Seite zeigt sich, dass der Versuch, atomare Abfälle aus den U-Booten zu holen und an mehr oder weniger sicherer Stelle an Land zu lagern, ebenfalls mit Risiken verbunden ist. Das gilt besonders für Boote, die sich auf dem Meer befinden oder bereits unter der Wasseroberfläche liegen. Denn die Arbeiten an Bereichen mit grosser Strahlung erfordern Sicherheitsvorkehrungen für die Arbeiter, die die technischen Verfahren komplizierter machen.
Verdrängung
Das ist auch ein Grund dafür, dass die Verantwortlichen dieses Thema mit Vorliebe dem Vergessen anheimgeben wollten. Dabei nahm man es stillschweigend in Kauf, dass die norwegische und russische Fischerei in den an sich reichen Fischgründen des Nordatlantiks durch atomare Verseuchung der Bestände gefährdet ist. Aber aufgrund des Klimawandels kommt ein neuer Faktor hinzu, der die Verantwortlichen aufscheucht. Denn man möchte die Rohstoffe in der Arktis erschliessen, und dabei wäre eine atomare Verstrahlung dieses Gebietes ein katastrophales Hindernis.
Es gibt also durchaus Bemühungen, mit den atomaren Hinterlassenschaften der russischen Marine im Polarmeer fertig zu werden, aber in Anbetracht der Altlasten dürften sie bei weitem nicht ausreichen. Aufgrund der Verschlechterung der Ost-West-Beziehungen in neuester Zeit wird es wohl noch schwieriger, die dafür notwendige Kooperation zu verstärken.
Es fällt auf, dass es zu dieser Problematik kaum aktuelle Meldungen in den Medien gibt. Das Thema ist zwar nicht direkt vergessen, aber weitgehend verdrängt und durch die Tagesaktualität überblendet. Allerdings um den Preis einer dramatischen Wiederkehr.