Der Bericht stellt fest, dass die Israeli das Recht gehabt hätten, Schiffe auf hoher See zu kontrollieren, die die Gaza-Blockade durchbrechen wollten. Allerdings sei Israel mit unnötiger Gewalt vorgegangen.
Doch der türkische Vertreter in der Palmer-Kommission stimmte dieser Argumentation nicht zu. Ankara ist nicht bereit, den Bericht hinzunehmen. Die Türkei betrachtet die gesamte Blockade Israels gegenüber Gaza weiterhin als illegal. Ankara fordert eine Entschuldigung von Seiten Israels. Ferner verlangt die Türkei eine Kompensationszahlung für die neun Toten und die Verwundeten. Einer der Verwundeten liege noch immer im Koma. Auch der israelische Vertreter blieb bei seiner eigenen Meinung. Israel ist zwar bereit, sein Bedauern auszudrücken. Entschuldigen will sich Jerusalem allerdings nicht.
Ausweisung der Botschafter und der Ersten Sekretäre
Ankara hat die diplomatischen Beziehungen mit Israel auf ein Minimum zurückgestuft. Israel tat das gleiche. Der türkische Ministerpräsident Erdogan hat erklärt, der "Plan B" werde nun eingeleitet. Was dieser Plan enthält, weiss man nicht. Bis jetzt wurden die militärische Zusammenarbeit und die Waffenlieferungen aus Israel an die Türkei unterbrochen. Doch es gibt Hinweise darauf, dass weitere Massnahmen folgen werden.
So spielt Erdogan mit dem Gedanken, Gaza zu besuchen. Dies müsste von Ägypten aus geschehen. Die ägyptischen Behörden müssten die Erlaubnis dazu geben.
Es ist auch die Rede davon, Israel vor dem Internationalen Strafgerichtshof zu verklagen, oder den Opfern der israelischen Aktion bei Klagen vor dem internationalen Gerichtshof zu helfen. Dies hätte den Vorteil, dass ein richterlicher Entscheid über die Legalität oder Illegalität des israelischen Vorgehens gegenüber Gaza zustande käme. Der Palmer-Bericht ist kein Gerichtsentscheid. Es handelt sich dabei um einen politischen UNO-Bericht, der die Absicht hatte, beide Seiten zu versöhnen, was offensichtlich nicht gelang.
Weitere Konfrontationen im Mittelmeer?
Der türkische Ministerpräsident sprach auch von einer stärkeren Präsenz der türkischen Kriegsflotte im östlichen Mittelmeer. Israel werde dort nicht mehr als die einzige Kraft auftreten können, erklärte er.
Es gibt umstrittene Regelungen über die Küstengewässer, in denen Erdgasvorkommen vermutet werden. Israel hat sich mit den Griechisch-Zyprioten auf eine Grenzziehung geeinigt, die aber von Libanon abgelehnt wird. Die Türkei macht geltend, dass auch der türkische Teil der Insel über Küstengewässer verfüge, was zu berücksichtigen sei.
Die türkische Presse spricht sogar von Plänen, das nächste Hilfsschiff oder die nächste humanitäre Flotte von der türkischen Kriegsmarine begleiten zu lassen. Doch viel von dem sind wohl nur Paukenschläge, denen nicht notwendigerweise Taten folgen werden.
Gegenseitige Schikanen an den Flughäfen
Es ist zu erwarten, dass sich die amerikanische Diplomatie einschalten wird. Diese amerikanischen Friedensmissionen laufen erfahrungsgemäss regelmässig auf eine Bevorzugung der israelischen Anliegen heraus.
Inzwischen haben die türkischen Behörden begonnen, am Flughafen von Istanbul die israelischen Bürger scharfen Kontrollen zu unterziehen. Schon zuvor hatten die Israeli das gleiche mit türkischen Passagieren am Flughafen von Tel Aviv getan. Diese Kontrollen verursachen viel Zeitverlust. Die Passagiere werden gezwungen, sich bis auf die Unterkleider zu entblössen. Dies sorgt für Empörung in den Zeitungen beider Seiten.
Eine alte Freundschaft zerbricht
Die Türkei ist seit der Gründung Israels ein Partner des israelischen Staates gewesen. Die guten Beziehungen hingen damit zusammen, dass die Türkei seit Atatürk zu jenen Ländern gehören wollte, die der "westlichen Zivilisation" nahe stehen. Atatürk sprach diese als "die Zivilisation" schlechthin an. Mit dieser Ausrichtung ging ein "Laizismus" einher. Dies führte zu einer starken Einschränkung des Islams im öffentlichen Leben. Der Staat kontrollierte die Religion.
Annäherung an den Islam
Damit verbunden war eine eher herablassende Haltung gegenüber der übrigen islamischen Welt und den einst zum Osmanischen Reich gehörenden arabischen Staaten.
Dies alles hat sich geändert mit der neuen Ausrichtung der Türkei unter der AKP Erdogans, die sich als eine islamische und demokratische Partei versteht.
Die neue Aussenpolitik der Türkei sucht einen Platz des Landes innerhalb der islamischen Welt. Sie möchte dabei eine führende Rolle spielen. Dies gefällt dem türkischen Volk, das sich trotz allem Laizismus stets als islamisches Volk gesehen hat. Die islamische Demokratie, die sich in der Türkei etabliert hat, findet ihrerseits viel Beachtung bei den Bewegungen in der arabischen Welt, die demokratische Entwicklungen anstreben. Doch gibt es unter den Türken auch Anhänger der älteren Ausrichtung, namentlich unter den bisherigen Staatsbeamten und den Armeeoffizieren. In gewissen Provinzen, besonders am ägäischen Meer, bilden ihre Parteigänger die Mehrheit.
Das Ringen mit der Armee dauert an
Das Ringen zwischen der Armee und der AKP, das mit dem Versuch der Armeekräfte begann, die Mehrheitspartei Erdogans für illegal zu erklären, ist heute weitgehend zugunsten der islamischen Demokratie entschieden. Doch noch ist nicht alles ganz entschieden. Die grossen Prozesse gegen Armeeoffiziere, denen Putschtätigkeit und putschistische Tendenzen gegen die legale Regierung vorgeworfen werden, laufen immer noch und sind noch nicht entschieden. Soeben wurde ein weiterer General, Chef des militärischen Informationsdienstes, General Ismail Haki Pekin, festgenommen. Ihm wirft die Staatsanwalt vor, bei einem der subversiven Pläne mitgewirkt zu haben. Es geht dabei konkret um Websites, welche die Armee lanciert haben soll, um gegen die Regierung zu agitieren.
**Israelische Drohnen gegen Kurden-Kämpfer **
Die militärische Zusammenarbeit mit Israel war von der Armee gefördert worden. Doch im Volk war sie stets unbeliebt. Die israelische Militärindustrie hatte der Türkei unter anderem Aufklärungsdrohnen geliefert, die im Krieg gegen die Kurden an der irakischen Grenze eingesetzt werden.
Dort, in den Kandil-Bergen, führt die türkische Armee zur Zeit eine Offensive durch. Bei Bombenangriffen auf PKK-Stellungen wurden nach türkischen Angaben 160 Personen getötet. Die kurdische Lokalregierung hat heftig gegen die Bombardierungen protestiert. Laut ihren Angaben sind 17 irakische Kurden, alles Zivilisten, getötet worden. Die türkische Armee hingegen behauptet, bei den Toten handle es sich ausschliesslich um PKK-Kämpfer. Beweisen lässt sich das nicht.
Die türkische Armee-Offensive erfolgte mit Zustimmung der Regierung Erdogan. PKK-Kämpfer hatten zuvor im Osten den Landes Anschläge auf türkische Soldaten durchgeführt und mehrere von ihnen getötet. Ob die im Einsatz stehenden israelischen Aufklärungsdrohnen lange Zeit ohne Ersatzteile aus Israel werden auskommen können, ist ungewiss.