In Murree, unweit der pakistanischen Hauptstadt Islamabad, trafen sich am 7. Juli Unterhändler der Taliban und der afghanischen Regierung. Bisher hatten sich die Taliban bereit erklärt, mit den USA zu verhandeln, nicht aber mit Afghanistan. Den früheren afghanischen Präsidenten Karzai und seine Regierung bezeichneten die Taliban als „Marionetten“ der Amerikaner.
Demgegenüber hat sich der neue afghanische Präsident, Ashraf Ghani, seit seinem Amtantritt darum bemüht, die Beziehungen zwischen Afghanistan und Pakistan zu verbessern. Unter Karzai waren sie stets gespannt geblieben. Ghanis Besuche in Islamabad und seine Kontakte zu den Chefs des pakistanischen Geheimdienstes, ISI (Inter Service Intelligence), haben nun Vorgesprächen mit den Taliban ermöglicht. Die eigentlichen Verhandlungen sollen nach dem Ramadan, der am 17. Juli zu Ende geht, beginnen.
Pakistan - Pate der Taliban
Dass die Taliban mit Vertretern der afghanischen Regierung reden, ist auch China zu verdanken. Peking hat offenbar Druck auf pakistanische Politiker und Militärs ausgeübt und sie aufgefordert, Gespräche vorzubereiten. Pakistan hat grossen Einfluss auf die Taliban. Im Jahr 2002 ist die Taliban-Regierung von den Amerikanern aus Kabul vertrieben worden.
Im südlichen Nachbarland fanden die Taliban und ihr Oberhaupt, Mullah Omar, ein inoffizielles Asyl. Omar tituliert sich als „Beherrscher der Gläubigen“. Offiziell allerdings weiss die pakistanische Regierung nichts von diesem Asyl. Alle Welt weiss jedoch, dass Mullah Omar in der Grenzstadt Quetta in Pakistan residiert. Von dort aus steuert er seine Kämpfer. Der pakistanische Geheimdienst ISI ist von Anfang an Schutzherr der Taliban gewesen. Seit 13 Jahren gibt es enge Beziehungen zwischen dem Geheimdienst und der Taliban-Regierung in Quetta.
Neue Zusammenarbeit mit Pakistan
Unter Präsident Ghani geschah Undenkbares: Der afghanische und der pakistanische Geheimdienst arbeiteten einen Vertrag zur Zusammenarbeit aus und unterschrieben ihn. Unter dem früheren Präsidenten Karzai wäre dies unmöglich gewesen. Dieser Vertrag war es, der ein erstes Treffen zwischen den Taliban und afghanischen Regierungsvertretern ermöglichte. Auch der pakistanische Geheimdienst hatte einen Vertreter entsandt.
Die Vorgespräche liessen erkennen, worum es beiden Seiten zunächst geht: Die Afghanen wollen einen Waffenstillstand und dann eine Friedenslösung. Präsident Ghani hat mehrmals erklärt, ohne Frieden könne es keine wirtschaftliche Entwicklung in Afghanistan geben. Eine solche ist dringend nötig. Die Armee verschlingt viel Geld, und ohne Hilfe aus dem Ausland kann das Land nicht überleben.
Ein Waffenstillstand - keine Priorität
Den Taliban geht es zunächst darum, dass die "ausländischen Truppen" Afghanistan verlassen. Das sind die verbleibenden Amerikaner; sie sollen Ende 2016 endgültig abgezogen werden. Ferner fordern die Taliban die Freilassung ihrer Gefangenen, die sich in afghanischen Gefängnissen, aber auch in Guantanamo befinden. Im Weitern verlangen sie die Aufhebung der Uno-Sanktionen, die gegen ihre Führungskräfte verhängt worden waren.
Ein Waffenstillstand hingegen hat für sie keine Priorität. Im Gegenteil: Die „Frühlingsoffensive“ der Taliban geht auch im Sommer weiter. An vielen verschiedenen Orten finden Kämpfe statt. So wollen sie die afghanische Armee, die unter schweren Verlusten gegen die Taliban kämpft, zermürben.
Keine autorisierten Taliban-Verhandler?
Seit Juni 2013 gibt es in Katar eine Vertretung der Taliban-„Regierung“. Dort hätten Gespräche zwischen den Taliban und den Amerikanern beginnen sollen. Doch solche kamen nicht zustande. Vor allem die Karzai-Regierung protestierte gegen diese Vertretung. Dies deshalb, weil sie als „Konsulat“ einer Gegenregierung zur Karzai-Regierung auftrat. Trotzdem versuchte das Taliban-Büro in Katar weiterhin als eine Art inoffizielle Auslandvertretung der Taliban zu wirken. Nicht nur Kabul, auch Islamabad gefiel diese Auslandvertretung nicht. Der pakistanische Geheimdienst ISI wollte die Kontrolle über die Taliban behalten.
Vertreter des „Konsulats“ in Katar reagierten negativ auf die Kontakte von Murree. Die dort auftretenden Taliban-Vertreter seien keine echten Vertreter der Taliban. Sie handelten nicht als autorisierte Sprecher der Taliban-Regierung von Mullah Omar. Der Mullah selbst meldet sich seit Jahren nicht mehr zum Wort.
Spricht Quetta im Namen aller Taliban?
Laut einem pakistanischen Sprecher bestand die Taliban-Delegation in Murree aus „zwei Mitgliedern des Entscheidungsrates", nämlich Mullah Abbas Akhund und Mullah Mansur. Dabei waren auch andere Personen, die "meisten davon ehemalige Minister der Taliban-Regierung", wie sie vor der amerikanischen Invasion bestand. Von Mullah Akhund ist bekannt, dass er oft mit dem pakistanischen Geheimdienst ISI in Sachen Asyl-Regierung in Quetta verhandelt hat.
Der Einspruch von Katar wirft die Frage auf: Ist es nur ein Teil der Taliban, der sich - unter mehr oder minder gelindem Druck des pakistanischen Geheimdienstes - dazu überreden liess, die Kontakte in Murree zu beginnen? Verfügt die „Regierung“ in Quetta über die Kontrolle über alle im Innern Afghanistans kämpfenden Taliban? Kann sie für sie Verträge eingehen?
Auftritt des "Islamischen Staats" auch in Afghanistan
Es besteht kein Zweifel, dass es unterschiedliche Strömungen und Meinungen unter den über das weite Land verstreuten Taliban-Kämpfern gibt. Es gibt auch einen Generationsunterschied zwischen der Asylführung von Quetta und den Kämpfern im Inneren Afghanistans. Niemand weiss genau, ob eine Mehrheit der Kämpfer wirklich bereit sein könnte, auf Verhandlungen mit Kabul einzutreten, welche letzten Endes auf einen Waffenstillstand und danach einen Frieden mit Kabul hinführen müssten.
Klar ist, dass es Taliban gibt, die nicht Frieden wollen, sondern im Gegenteil: einen härteren Konfrontationskurs. Der „Islamische Staat“ (IS), der in Syrien und im Irak ein „Kalifat“ ausgerufen hat, ist jetzt dabei, in Afghanistan eine Filiale aufzubauen: Das "Emirat von Khorasan“. Die ersten Kämpfer dieses neuen "Emirates" sind in vielen Fällen ehemalige Taliban, die zum „Islamischen Staat“ übergelaufen sind. Als ihr "Emir" gilt, oder galt, der aus Pakistan stammende Saeed Khan. Die meisten seiner Unterführer sollen ehemalige Taliban sein. Einer von ihnen, Shahidullah Shahid, war Sprecher der Taliban gewesen, bevor er zum IS übertrat.
Radikalisierung?
Die Amerikaner haben in den letzten Wochen offenbar Drohnenangriffe auf die Führung des „Islamischen Staats“ in Afghanistan geflogen. Nach afghanischen Informationen, haben die afghanischen Streitkräfte die USA um solche Angriffe ersucht. So griffen am 9. Juli amerikanische Drohnen Stellungen in der Grenzprovinz Narngahar im Bezirk Achin an. Dabei soll „Emir“ Saeed Khan und 30 weitere IS-Anführer getötet worden sein. Schon zuvor waren Drohnenschläge am 6. und 7. Juli gemeldet worden. Dabei sei der Militär-Kommandant des "Khorasan Emirates", Gul Zaman, und sein Stellvertreter, Jaladyar, ums Leben gekommen sein. Inzwischen allerdings hat das afghanische IS-„Emirat“ eine Tonbandaufzeichnung veröffentlicht, auf der Saeed Khan erklärt, er sei am Leben.
Die Drohnenschläge sind gewiss Rückschläge für die im Entstehen begriffene neue Kraft des IS-Emirates. Doch dass sie sein Verschwinden verursachen könnten, ist nicht zu erwarten. Die gefallenen Anführer werden schnell ersetzt. Die Präsenz einer noch radikaleren Organisation in Afghanistan, wird sich unweigerlich auf das Verhalten der Taliban auswirken. Sie kann dazu führen, dass auch sie ihren Kurs verschärfen.
Doch auch das Gegenteil ist denkbar. Vielleicht versuchen sie nun, eine politische Lösung zu suchen. Doch am wahrscheinlichsten ist, dass beides geschieht. Die alte und seit 13 Jahren auf Politik beschränkte Asylführung könnte sich entschliessen, den politischen Weg weiter zu gehen, während grössere oder kleinere Gruppen, die den Kampf nicht aufgeben wollen - gemeinsam mit dem neuen "Emirat" oder auf eigene Faust - auf die Fortführung des Guerilla Kriegs setzen.