Religiöse Juden gedachten in den letzten Tagen nicht nur in Jerusalem der Zerstörung ihres historischen Tempels durch die Römer im Jahr 70. In Jerusalem kamen etwa 2000 von ihnen sogar auf den Tempelberg, auf dem sich seit 1300 Jahren das drittwichtigste Heiligtum des Islam – der Felsendom – befindet und dessen Gelände eigentlich gläubigen Juden nicht zugänglich ist.
Verstösse gegen diese Regel hatten im zurückliegenden Jahr wiederholt zu gewaltsamen israelisch-palästinensischen Auseinandersetzungen geführt. In Israel selbst wie auch den seit 1967 besetzten palästinensischen Gebieten im Westjordanland und dem Gazastreifen. Aus dem Landstrich an der Mittelmeerküste, der von der islamistischen «Hamas» beherrscht wird, waren dabei immer wieder Raketen auf Teile Israels abgefeuert worden. Nicht nur von Hamas, sondern auch von anderen – ähnlich ideologisierten – Gruppen. Zum Beispiel vom «Islamischen Jihad», einer weitgehend vom Iran unterstützten Organisation.
400 Raketen auf Israel
Seit der Nacht auf Freitag und über das Wochenende wurden diesmal vom Jihad über 400 Raketen auf Israel abgefeuert, und israelische Luftangriffe auf Ziele im Gazastreifen liessen nicht auf sich warten.
Allerdings lief die neue Auseinandersetzung nicht unter den bisher üblichen und bekannten Umständen ab: Auslöser nämlich waren Israel und der Argwohn der Übergangsregierung von Yair Lapid, dass die Jihadisten sich ihrerseits auf einen Überraschungs-Angriff auf Israel vorbereiteten.
Der Grund: Aktivisten der Organisation waren im Westjordanland vom israelischen Militär verfolgt und festgenommen worden, und Israel hält sich offensichtlich nicht an die eigenen Beschlüsse über Dauer und Art der Haft: So hätte ein im Dezember festgenommener Aktivist bereits vor Monaten freigelassen werden sollen, nachdem er über drei Monate lang in einen Hungerstreik getreten war. Der Termin verstrich, der Mann sitzt immer noch in Haft und hat inzwischen eine zweite Runde seines Hungerstreiks begonnen.
«Recht auf Selbstverteidigung»
Auch der Umgang der israelischen Behörden mit anderen Häftlingen – selbst «nur» Verdächtigen – gibt immer wieder Anlass zur Kritik. Bisher aber führte dies nicht zu «Vorbeuge-Massnahmen» des Militärs. Zumindest blieben die Motive für solche Aktionen meist im Dunkeln.
Nicht so diesmal: Als das israelische Militär begann, die verschiedensten Ziele im Gastreifen anzugreifen und dabei nicht nur zwei Kommandanten des Jihad umkamen, sondern auch eine bisher offiziell nicht bekannte Zahl von Zivilisten, da reklamierten israelische Politiker, Israel werde doch wohl das Recht auf Selbstverteidigung haben. Und man dementierte Explosionen, die nicht in dieses Muster passten. Wie eine Detonation unweit der Grenze zwischen dem Gazastreifen und Ägypten. Diese sei vielmehr darauf zurückzuführen, dass eine aus Gaza abgefeuerte Rakete noch im Gebiet des Gazastreifens zu Boden gegangen sei. So sehr diese Darstellung auch für etwa ein Sechstel der abgefeuerten Raketen gelten dürfte, so wenig Überzeugungskraft hat sie mangels klarer Beweise doch auch.
Wahlen Ende November
Ein anderes Motiv für das israelische Vorgehen ist auch nicht gerade überzeugend: Die Regierung Lapid habe mit ihrem Vorgehen in Gaza einen ersten wichtigen Schritt auf den angesteuerten Wahlsieg Ende November gemacht. Denn man habe sich deutlich mit Entschlossenheit und Einsatzbereitschaft von Benjamin Netanjahu abgesetzt, dem nationalistischen heutigen Oppositionsführer, der sich Hoffnung macht, bei den Wahlen ins Amt des Ministerpräsidenten zurückzukehren.
Bis zu diesen Wahlen sind noch drei Monate, und in dieser Zeit kann noch viel passieren. Wie man anhand der internationalen Reaktionen auf die Ereignisse in Gaza unschwer verstehen dürfte: So bemängelten israelische Publizisten, dass Washington sich bis Sonntagnachmittag nicht dazu geäussert habe, während Verständnis und Zustimmung aus dem Kreis der möglichen Nachfolger des britischen Premiers berechtigt, kritische Berichterstattung in deutschen Medien hingegen «zu erwarten» gewesen sei. Dass Teheran Israel schon sehr früh für sein Vorgehen kritisierte, war allerdings wirklich nicht überraschend, schon eher aber, dass auch aus Saudi-Arabien Kritik kam. Nur kurz nachdem Israel Überflugrechte für das Land bekommen hatte und die Saudis von Israel und den USA bedrängt worden waren, doch auch Beziehungen mit Jerusalem aufzunehmen. Solches dürfte nun wieder in weitere Ferne gerückt sein.
Optionen offenhalten
Immerhin aber konnte man sich – so amerikanische und ägyptische Kreise – am Sonntagnachmittag auf eine Waffenruhe ab 20 Uhr einigen. Die Dinge bleiben schwer vorherzusehen. So auch und gerade die Rolle der «Hamas», der führenden Islamistengruppe in Gaza. Diese hatte sich während der Krisentage zurückgehalten und die Entwicklungen verfolgt. Man könnte auch sagen: Um sich alle Optionen offenzuhalten. Hamas ist klar gegen Israel und daran wird sich durch eine Waffenruhe kaum etwas ändern. Was schliesslich auch für den Präsidenten der Palästinenser gilt: Mahmud Abbas hat sich jedenfalls auch zurückgehalten mit Kommentaren. Er weiss, dass solche Worte sich nur allzu leicht ins Gegenteil verkehren …