Noch ist unklar, wann die von den USA skizzierte Nahost-Resolution im Uno-Sicherheitsrat zur Abstimmung gelangt – aber das, was darüber bekannt wurde, ist bereits brisant: Zum ersten Mal taucht in einem von der Biden-Administration entworfenen Text der Ausdruck «Waffenstillstand» auf – ein Wort, das die US-amerikanische Uno-Delegation bei allen bisherigen, von anderen Staaten eingebrachten Resolutionstexten vehement ablehnte.
Jetzt fordert der Text-Entwurf «dringend eine Vereinbarung über einen Waffenstillstand von etwa sechs Wochen und die Freilassung aller Geiseln». Das geht zwar weniger weit, als das, was Hamas verlangt (permanentes Ende der bewaffneten Auseinandersetzung), dennoch ist leicht vorauszusehen, dass der israelische Premier Netanjahu mit Empörung reagieren wird. Er beharrt ja darauf, dass es keine Alternative zu der jetzt verfolgten Kriegsführung gebe, nur so könne Hamas vernichtet und die Geiseln befreit werden.
Kairoer Gespräche mit Hamas unterbrochen?
Aber da mehrten sich in den letzten Wochen nicht nur im Ausland, sondern auch in Israel selbst die Zweifel. Bis auf eine Ausnahme (zwei betagte Israeli entkamen ihren Peinigern) ist keine der seit dem 7. Oktober verschleppten Geiseln durch das israelische Militär frei gekommen – jene 105, die aus den Verliesen entlassen wurden, erlangten die Freiheit aufgrund der bisher einzigen, durch Verhandlungen zustande gekommenen Feuerpause im November.
Parallel zu den laufenden Diskussionen unter den 15 Mitgliedern des Uno-Sicherheitsrats über den US-amerikanischen Text-Entwurf liefen bis Donnerstag in Kairo Gespräche mit Vertretern von Hamas (vermittelt durch Qatar und Ägypten) über einen Austausch von israelischen Geiseln gegen Palästinenser, die aus israelischen Gefängnissen entlassen werden sollen. Beendet oder unterbrochen wurden diese Diskussionen angeblich, weil Israels Regierung die von der Terror-Organisation vorgebrachten Forderungen (Beendigung der militärischen Aktionen, Rückzug der Truppen und Freigabe von Hilfslieferungen für die 2,2 Millionen Menschen im Gaza-Streifen) in ihrer Gesamtheit zurückgewiesen habe.
US-Regierung frustriert und irritiert
Ein definitives Ende des indirekten Dialogs bedeute das allerdings nicht, liess die Delegation von Hamas verlauten. Sie liess offen, ob oder allenfalls wie umfänglich sie bei einer allfälligen Wiederaufnahme der Gespräche im Verlauf des islamischen Fastenmonats Ramadan (er beginnt am Sonntag) doch noch auf einzelne israelische Forderungen eingehen werde. Eine Freilassung sämtlicher Geiseln, wie von Israel gefordert, lehnt Hamas offenkundig ab, zur Diskussion stand zuletzt der Tausch von nicht mehr als 40 Geiseln gegen 140 palästinensische Inhaftierte. Vorgängig, so die Forderung Israels, müsse Hamas eine Namensliste aller Geiseln übermitteln.
Dazu ist Hamas aber möglicherweise gar nicht in der Lage, denn niemand scheint zu wissen, wie viele Geiseln überhaupt noch leben und wie viele von ihnen sich allenfalls in der Gewalt einer anderen Terror-Gruppe (beispielsweise dem Islamischen Jihad) oder gar von Privaten befinden.
Netanjahus Nicht-Vision für Gaza
Also: Unklarheit und Chaos allerorten. Irritiert und frustriert ist die US-Regierung aber nicht nur über die ausbleibenden Fortschritte hinsichtlich einer Waffenruhe und die Starrsinnigkeit des israelischen Regierungschefs in Bezug auf die Kriegsführung im Gaza-Streifen, sondern auch über die Weigerung der israelischen Regierung, konstruktiv über die Zeit nach dem jetzigen Krieg zu diskutieren. Netanjahu klammert sich ja an die Nicht-Vision, Israel könne die militärische Kontrolle über die 2,2 Millionen Menschen im Gaza-Streifen (Fläche etwa so gross oder klein wie der Kanton Schaffhausen) behalten und für die Verwaltungsarbeiten Palästinenser finden, die keinerlei Verbindungen zu irgend einer Organisation hätten, die sich gegen die israelische Besatzung auflehnen würde.
Die USA dagegen vertreten die Meinung, eine Befriedung setze die Realisierung der Zwei-Staaten-Lösung (eigenständiger Palästinenserstaat an der Seite Israels) voraus. Was nicht nur Netanjahu mit seiner rechts-religiösen Koalitionsregierung kategorisch ablehnt – auch bei der Opposition sind, nach dem Hamas-Massenmord vom 7. Oktober, praktisch die letzten Stimmen zugunsten dieser Idee verstummt.
Hypothek für Bidens Wahlkampf
Die Regierung der USA und Präsident Biden geraten durch all das von Tag zu Tag mehr unter Druck. Sie halten einerseits an der Loyalität zu Israel eisern fest (kritischen Worten folgen keine Taten – die Lieferung von Waffen und Munition geht unvermindert weiter, und von einer allfälligen Kürzung der finanziellen Zuwendungen ist keine Rede). Sie äussern anderseits aber auch ständig ihre Besorgnis über die Not der Menschen im Gaza-Streifen und fordern von Netanjahu bei der Kriegsführung mehr Rücksicht auf die Zivilbevölkerung. Die ermahnenden Worte aber bleiben ohne Wirkung.
Kein Wunder, dass sich in den USA die Stimmen jener mehren, die kritisieren, Joe Biden lasse sich von Premier Netanjahu regelrecht vorführen. Und das ausgerechnet beim Beginn eines Wahlkampfs, in den der amtierende Präsident mit einer Unzahl von Handicaps stolpert.