Zwar wählt Amerika erst in elf Monaten seinen Präsidenten. Auch sind Umfragen derzeit nicht viel mehr als ein Schnappschuss der öffentlichen Meinung. Doch der Umstand, dass Joe Biden in fast allen Befragungen und vor allem unter Jungen hinter Donald Trump zurückliegt, muss der demokratischen Partei zu denken geben.
Als Präsident Joe Biden unlängst nach einem Nachtessen mit Mitarbeitenden sein Wahlhauptquartier in Wilmington (Delaware) verliess, fragten ihn Reporterinnen und Reporter, wieso er laut Umfragen derzeit gegen Ex-Präsident Donald Trump verliere. Seine Antwort: «Die Leute lesen die falschen Umfragen.» Ähnlich argumentieren Offizielle seiner Wahlkampforganisation und alliierte Demokratinnen und Demokraten.
Sie sagen, die meisten Wählerinnen und Wähler würden dem Urnengang 2024 noch keine Aufmerksamkeit schenken und die Umfrage-Ergebnisse würden sich ändern, sobald das Rennen zu einem klaren Zweikampf zwischen Biden und Trump werde. «Falls die demokratische Wahlkampforganisation ein inoffizielles Motto hat, dann lautet es ‘Beruhigt euch, verdammt nochmal’, vertraut dem Prozess und wählt Joe Biden. Nur. Noch. Ein letztes Mal!», schrieb ein Reporter des Magazins «New York» nach einer Recherche in Wilmington
Trotzdem ist Bidens Wahlkampforganisation jüngst aktiver geworden und hat ihre Aktivitäten in Wahl-entscheidenden Staaten wie Nevada, Michigan oder Wisconsin intensiviert. Ihr ist bewusst, dass die Vorwahlen der Republikaner angesichts des wohl uneinholbaren Vorsprungs von Donald Trump gegenüber seiner Konkurrenz relativ rasch vorüber sein könnten und es dem Ex-Präsidenten mit seinen spektakulären Auftritten dann erneut gelingen könnte, die Schlagzeilen zu dominieren.
Ein Lichtblick für Joe Biden ist der Umstand, dass er in den vergangenen Wochen vor allem in Südkalifornien erfolgreich Wahlspenden gesammelt hat und im vierten Quartal, trotz Thanksgiving und Weihnachten, das angestrebte Ziel von 67 Millionen Dollar erreichen könnte. Eine Ironie der Geschichte ist der Umstand, dass sich hochkarätige Spender der Demokraten jüngst im Hotel Waldorf Astoria in Washington DC getroffen haben, einer Luxusherberge, die einst Donald Trump gehörte und während seiner Präsidentschaft die bevorzugte Absteige von «Trumpisten» war.
Doch das politische Klima für Präsident Biden ist derzeit eher rau. Seine Gesetzesvorhaben im Kongress und seine milliardenteuren Bitten um mehr Unterstützung für die Ukraine und Israel scheinen angesichts des Parteiengezänks in Washington DC zum Scheitern verurteilt. Ausserdem hat die republikanische Fraktion im Repräsentantenhaus ein Amtsenthebungsverfahren gegen ihn eingeleitet, obwohl sie bisher keine Beweise hat vorlegen können, dass der Präsident von den Auslandsgeschäften seines Sohnes Hunter profitiert hat.
Auch dümpeln Joe Bidens Beliebtheitswerte gefährlich nah am Abgrund. Der «Washington Post» zufolge, die im November den Durchschnitt von 17 Umfragen aggregiert hat, stehen nur noch 37 Prozent der Amerikanerinnen und Amerikaner hinter ihm, während 58 Prozent ihn ablehnen. Auch eine Mehrheit der demokratischen Wählerschaft macht sich Sorgen, was sein Alter, 81, betrifft, während das in der Bevölkerung auf den nur vier Jahre jüngeren Trump weniger zutrifft. Eine Befragung im Auftrag der «New York Times» und des Siena College hat Anfang November zudem noch gezeigt, dass Joe Biden in fünf von sechs bei Präsidentenwahlen traditionell umstrittenen Staaten zurückliegt. 2024 hatte er in allen diesen Staaten, wenn auch nur knapp, gewonnen.
Ebenso beunruhigend sind die Ergebnisse einer Umfrage derselben Auftraggeber im Dezember. Sie zeigen, dass lediglich 33 Prozent der amerikanischen Bevölkerung Präsident Bidens Israel-Politik unterstützen, derweil sie 57 Prozent ablehnen. 46 Prozent trauen Donald Trump eher zu, den israelisch-palästinensischen Konflikt zu lösen; im Fall Joe Bidens sind es lediglich 38 Prozent. 44 Prozent der Befragten finden, Israel solle seine Militäraktion in Gaza stoppen, um die Zivilbevölkerung besser zu schützen, während 39 Prozent eine Fortsetzung des Feldzugs gegen die Hamas befürworten, selbst wenn dies höhere Opferzahlen zur Folge hat.
Die Ablehnung der Israel-Politik des Weissen Hauses ist vor allem unter Jungen ausgeprägt. Fast drei Viertel aller Wählerinnen und Wähler im Alter zwischen 18 und 29 Jahren lehnen Joe Bidens diesbezügliches Vorgehen ab. Nur wenige glauben, dass Israel je einen Frieden mit den Palästinensern erwägen wird. Fast die Hälfte sagt, Israel töte Zivilisten absichtlich und beinahe drei Viertel finden, Israel tue nicht genug, um zivile Opfer zu vermeiden. Eine Mehrheit stellt sich gegen mehr Wirtschafts- und Militärhilfe für Israel.
Dagegen sagen 76 Prozent aller Republikanerinnen und Republikaner, ihre Sympathien würde eher bei den Israelis als bei den Palästinensern liegen. Weisse evangelikale Christen unterstützen Israel zu 80 Prozent. Unter Demokratinnen und Demokraten sympathisieren 31 Prozent mehr mit den Israelis und 34 Prozent stärker mit den Palästinensern. 16 Prozent könne sich für beide Parteien erwärmen.
Ältere Wählerinnen und Wähler stehen Joe Bidens Politik positiver gegenüber als Jüngere. 2020 hatte der Präsident das jüngere Segment noch mit mehr als 20 Punkten Vorsprung gewonnen. Wobei Junge heute nicht nur die Israel-Politik des Präsidenten mehrheitlich ablehnen, sondern auch mit dem Umstand hadern, dass Joe Biden ihrer Meinung nach zu wenig gegen die Klima-Krise tut und es ihm nicht gelungen ist, die Schulden für Studiendarlehen zu erlassen oder ein Abtreibungsverbot national stärker zu verankern.
«Das ist ein Weckruf, den nicht nur Bidens Wahlkampforganisation, sondern auch andere demokratische Helferinnen und Helfer auf allen Ebenen ernst nehmen müssen», sagt die demokratische Wahlstrategin Ashley Aylward: «Es gilt, in Junge zu investieren, weil wir wissen, wie wichtig sie für den Ausgang einer Wahl sein können.»
Der Demokratin zufolge ist es aber nicht nur die Israel-Politik des Weissen Hauses, die jüngere Amerikanerinnen und Amerikaner umtreibt, sondern es sind auch wirtschaftliche Sorgen – allen positiven makroökonomische Indikatoren zum Trotz: «Es würde extrem helfen, wenn Biden einen äusserst klaren Plan vorlegen würde, wie er gedenkt, die Befürchtungen dieser jungen Leute zu besänftigen.» Aylward argumentiert: «Millenials und Angehörige der Generation Z realisieren, wie weit sie davon entfernt sind, ein Haus kaufen zu können oder Geld zu sparen und natürlich sind dabei Studiendarlehen das höchste Hindernis.»
Derweil dürfte die jüngste, arg verwässerte Resolution des Uno-Sicherheitsrates zum Krieg in Gaza wenig dazu beitragen, Biden-Kritikerinnen und -Kritiker zu besänftigen – umso weniger, als sich die USA nach einem Veto im früheren Fall nun der Stimme enthalten haben. Das tut wohl auch nicht ein auf der Analyse von Satellitenbildern basierender Bericht der «New York Times» vor wenigen Tagen, wonach das Pentagon seit Beginn des Krieges in Gaza der israelischen Armee (IDF) mehr als 5’000 2'000-Pfund-Bomben geliefert hat, von denen die IDF mehr als 200 mit mutmasslich verheerenden Wirkungen über dem von Geflüchteten dicht besiedelten Süden des Küstenstreifens abgeworfen haben. Fragen dazu würden zu einem späteren Zeitpunkt untersucht, teilt ein Sprecher der IDF mit. Hauptziel sei die Zerstörung der Hamas.
Die Resolution, heisst es in der Gegnerschaft zu Bidens Israel-Politik, komme zu spät und fordere zu wenig, um dem Krieg Einhalt zu gebieten, der inzwischen mehr als 20’000 Opfer, unter ihnen rund 70 Prozent Frauen und Kinder, gefordert sowie Zehntausende Zivilisten verletzt hat. Gleichzeitig hält die Hamas nach dem Massaker vom 7. Oktober noch 129 israelische Geiseln. Auch internationale Hilfsorganisationen wie Doctors Without Borders oder Menschenrechtsgruppen wie Amnesty International und Human Rights Watch kritisieren die jüngste Entschliessung als «völlig unzureichend» oder als «Schande für die Vereinigten Staaten».
Der US-Website «The Intercept» zufolge hat Joe Biden die Abstimmung über die von den Vereinigten Arabischen Emiraten eingebrachte Resolution des Uno-Sicherheitsrats jüngst mindestens acht Mail verzögert, bis er mit ihrem Inhalt zufrieden war. Dem Präsidenten passte der Begriff «cessation», d. h. Einstellung (der Kampfhandlungen) nicht, der mit einem Aufruf verbunden war, die humanitäre Hilfe in Gaza unabhängig und nicht von den Israelis inspizieren zu lassen.
«Es war hart, aber wir haben es geschafft», sagte jedoch Amerikas Uno-Botschafterin Linda Thomas-Greenfield nach der Abstimmung in New York, was in anderen Ohren wie Hohn geklungen haben mag: «Seit Beginn dieses Konflikts haben die Vereinigten Staaten unermüdlich daran gearbeitet, diese humanitäre Krise zu lindern …, sich für den Schutz unschuldiger Zivilisten und humanitärer Helfer einzusetzen und auf einen dauerhaften Frieden hinzuarbeiten.»
Dagegen argumentiert Trita Parsi, Vizepräsident des Quincy Institute for Responsible Statecraft, das Appeasement Bidens habe Resolution 2720 zunehmend bedeutungslos werden lassen. «Diese Änderungen stellen sicher, dass Israels Gemetzel in Gaza weitergeht, während die Einsicht der Uno in das, was immer mehr wie ein Völkermord aussieht, minimiert wird.» Das sei, so Parsi, Bidens Beitrag zur Uno-Resolution: «Biden leitet effektiv für die Israelis das Management der Kriegsverbrechen.»
Mag sein, dass seine Kritikerinnen und Kritiker, wie Joe Biden mutmasst, die falschen Umfragen oder die Umfragen falsch lesen. Kann aber auch sein, dass der US-Präsident mit seiner fast vorbehaltlosen Unterstützung Israels falsch liegt, so wie die USA historisch gesehen in einigen Fällen mit besten Absichten auf der falschen Seite eines Konflikts gelegen sind und es kein Zufall ist, dass sie, wie Israel, China oder Russland, nicht Mitglied des Internationalen Strafgerichtshofs (ICC) in Den Haag sind, der Kriegsverbrechen untersucht. Amerikas Glaubwürdigkeit in der Welt als Hüterin von demokratischen und humanitären Werten erweist Joe Biden auf jeden Fall einen Bärendienst – im Innern wie im Äussern. Was sich am 5. November 2024 rächen könnte.
Indes mehren sich in der Inbox des PC unter dem Titel «Biden for President» Mails, die unter anderem dafür werben, dem Kandidaten «a few bucks», d. h. mindestens 25 Dollar zu spenden, wobei es unter «Other» aber auch ein bisschen mehr als 500 Dollar sein darf: «Während Sie dies lesen, greifen die Republikaner und externe Geldgeber den Präsidenten mit einer endlosen Flut negativer Wahlkampfwerbung an. Wir dürfen nicht zulassen, dass ihre hasserfüllte Botschaft bei den Wählern im Vorfeld des Jahres 2024 ankommt.» Sorry, Joe!