Die Floskel von der „Überwindung des Kapitalismus“, die sich im alten und im neuen Programm der SP Schweiz findet, löst unglaubliche Reaktionen aus, vor allem bei den Medienschaffenden.
Die ganzen sechs Jahre, während denen wir am neuen Parteiprogramm arbeiteten, habe ich von Seiten der Journalistinnen und Journalisten immer nur die eine Frage gestellt bekommen: Bleibt die Floskel drin oder fliegt sie raus? Und jetzt, wo sie - entgegen meinem Rat - drin geblieben ist, ziehen die Zeitungen über die SP her als hätte sie Landesverrat begangen.
Was ist da eigentlich los? Warum soll man die kapitalistische Wirtschaftsordnung nicht Kapitalismus nennen, so wie es ihre überzeugten Anhänger selbst ja auch tun? Es ist nun mal so, dass in dieser Wirtschaftsordnung das Kapital sagt, wo es lang geht, und nicht die Arbeitenden.
Es ist nun mal so, dass die möglichst hohe Rendite für die Kapitalbesitzer das wichtigste Ziel jeder wirtschaftlichen Tätigkeit ist und nicht etwa der Umweltschutz oder die soziale Gerechtigkeit. Es ist nun mal so, dass sich mit dem Kapitalbesitz Macht verbindet, und dass diese Macht - im Gegensatz zur staatlichen - nicht demokratisch organisiert ist.
Und es ist nun mal so, dass wir gerade erlebt haben, wie sich die undemokratische Wirtschaftsmacht zur Bewältigung der von ihr verursachten weltweiten Finanzkrise über die Demokratien erhoben hat und sie zu Rettungsaktionen zwang, die die Bevölkerungen ausgesprochen teuer zu stehen kommen.
Seit 150 Jahren prägt diese Wirtschaftsordnung das Geschehen auf dem Globus. Sie trägt deshalb eine wesentliche Verantwortung für heutige Realitäten wie die Milliarde hungernder und auch sonst total unterversorgter Menschen, für die drohende Klimakatastrophe; sie trägt die Verantwortung dafür, dass das reichste Prozent der Menschen so viel besitzt wie die übrigen 99 Prozent und sie ist verantwortlich dafür, dass sich die internationalen Konzerne immer ungenierter über die demokratischen Nationalstaaten erheben.
Angesichts solcher Tatsachen ist es doch naheliegend, ja geradezu zwingend, sich Gedanken über eine andere, eine bessere Wirtschaftsordnung zu machen und den Willen zur Veränderung zu bekunden.
Massgebend ist nicht die umstrittene Floskel, massgebend ist die Substanz, auf die sie leider den Blick verstellt, die aber im neuen Parteiprogramm enthalten ist: Die SP möchte nicht nur die staatliche Macht demokratisch gestalten, sondern auch die wirtschaftliche. Sie möchte Wirtschaftsdemokratie statt Kapitalismus. Wieso wird man dafür eigentlich so gescholten in der „ältesten und besten Demokratie der Welt“? Liegt der Grund vielleicht darin, dass die Macht des Kapitals auch über die Redaktionsstuben herrscht?