Karlheinz Stockhausen (1928-2007) ist zweifellos, neben dem Franzosen Pierre Boulez und dem Italiener Luigi Nono, einer der wichtigsten Vertreter der sogenannten „Neuen Musik“ im 20. Jahrhundert. Er komponierte nicht nur sage und schreibe 376 Werke, sondern war auch als Anreger und Förderer einer der innovativsten Musiker seiner Zeit. 1963 begründete er die in der Fachwelt berühmten „Kölner Kurse für Neue Musik“, amtete als Dozent an den „Internationalen Tagen für Neue Musik“ in Darmstadt (welche man später als „Darmstädter Schule“ apostrophierte) und führte immer wieder Werke an den wegweisenden „Donaueschinger Musiktagen“ auf. Stockhausen wurde so – neben seiner oft Aufsehen erregenden, bedeutenden kompositorischen Tätigkeit – zu einer der einflussreichsten Figuren in der Musikgeschichte der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts.
Kosmische Musik
1970 setzt Stockhausens Auseinandersetzung und Zuwendung zu übergeordneten kosmischen Begriffen und Wesenheiten ein. Die Titel seiner Werke sprechen für sich: „Mantra“, „Sternklang“, „Sirius“, „Weltraum“, „Licht“... Eine ihn lebenslang durchdringende, tief empfundene Spiritualität wurde von verschiedenen Quellen gespeist. Neben dem Christentum und den religiösen Geheimwissenschaften der Gnosis nahm auch das „Urantia“-Buch einen wichtigen Platz in seinem Denken ein. Dieses in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts von anonymen amerikanischen Autoren verfasste Buch versucht, „das kosmische Bewusstsein zu erweitern und die geistige Wahrnehmung zu steigern.“ Das Buch thematisiert Gott, Wissenschaft, Religion, Geschichte, Philosophie und das Schicksal. Mit diesen Stichworten wäre auch schon der nicht geringe Anspruch Stockhausens umschrieben, in seinem riesigen, insgesamt 28 Stunden Musik umfassenden Opus „Licht“ sieben Schöpfungstage darzustellen. Er entwarf dabei als sein eigener Librettist eine Folge von „Die sieben Tage der Woche“ und deren philosophisch interpretierter Zuordnung.
Zeit des Lernens
So steht der „Donnerstag“, zwischen 1977-1980 entstanden, im Zeichen des Lernens und der Entwicklung. Im Mittelpunkt der „Oper in drei Akten, einem Gruss und einem Abschied“ stehen die drei biblischen Gestalten Michael, Eva und Luzifer. Der Handlungsstrang schildert die Entwicklung Michaels und dessen Selbstfindung respektive Umwandlung in einen Heilsbringer und trägt stark autobiografische Züge Stockhausens. So wird Michaels Mutter Eva, seine hybride „Mondeva“, in einer Nervenheilanstalt misshandelt und euthanasiert – wie Stockhausens eigene Mutter, welche 1941 in der hessischen Tötungsanstalt Hadamar von den Nazis vergast worden war. Damals war Stockhausen noch keine 13 Jahre alt.
Authentische Umsetzung
Das Theater Basel, unter der musikalischen Leitung von Titus Engel, nützte die Chance, mit der Flötistin Kathinka Pasveer eine intime Kennerin und seit den 80er Jahren künstlerische Begleiterin Stockhausens zur Seite zu haben. Sie zeichnet in Basel sowohl für die musikalische Einstudierung als auch die Klangregie für die komplizierten live-elektronischen Zuspielungen verantwortlich. Pasveer, der nach eigenen Angaben „viele Werke auf den Leib geschrieben“ sind, leitet seit dem Tode des Komponisten die von ihm selbst noch gegründete Stockhausen-Stiftung in Kürten bei Köln. Man dürfte also in Basel sowohl szenisch als auch musikalisch eine ziemlich authentische Umsetzung des rund 240 Minuten (!!) dauernden Werkes erleben.
Schweizer Erstaufführung
Ob sich die Basler Inszenierung der Amerikanerin Lydia Steier von jener der Uraufführung 1981 an der Mailänder Skala unterscheidet, kann hier nicht nachgeprüft werden. Sicherlich aber ist diese Schweizer Erstaufführung eine streckenweise höchst sinnenfrohe und durchwegs von Spannung zwischen Klang und Szene erfüllte Einführung in Stockhausens geistiges und klangliches Universum. Die Figur Michaels wird in drei Wesenheiten dargestellt: einem Tenor, einer Tänzerin und einem Trompeter. Mit letzterem hat Stockhausen – einmal mehr – seinem erstgeborenen Sohn, dem Trompeter Markus Stockhausen, ein Denkmal gesetzt. Der zweite, völlig wortlose Akt der Oper „Michaels Reise um die Erde“ war ursprünglich als reines Trompetenkonzert konzipiert und stellt musikalisch wohl das überzeugendste und konzentrierteste Zentrum der Oper dar. Da durchwegs alle Sängersolisten und Tänzer beachtenswerte, teilweise grossartige Qualitäten einbringen, soll hier stellvertretend nur auf die beeindruckende Leistung des das gesamte Werk (auswendig) begleitenden deutschen Trompeters Paul Hübner hingewiesen werden. Das Sinfonieorchester Basel unter Titus Engel begleitete diese Mammutproduktion in verschiedenen Formationen souverän und einsatzfreudig.
Ob Michael, der moderne Orpheus, dem das Geschehen mit atemloser Spannung durch alle vier Stunden dem Geschehen folgenden Basler Publikum „die Himmelsmusik dem Menschen und die Menschenmusik den Himmlischen zu bringen“ vermochte, sei zwar dahin- aber nicht in Abrede gestellt. Als gar der „Abschied“ vor dem Theater aus vier Trompeten aus den Fenstern der umliegenden Häuser ertönte, war Stockhausens Raumklang an diesem milden Basler Sommerabend auf poetische Weise Realität geworden.
Eine Woche für Stockhausen
Im kommenden September wird in Basel mit einem Symposium, Workshops und Meisterklassen eine ganze Woche der „Galaxie Stockhausen“ gewidmet sein (26.9.-2.10.)