Wer in einer BILD-Schlagzeile erscheint, ist endgültig angekommen im Mainstream. Ich war letzte Woche in Deutschland und las in der BILD-Zeitung – der Pulsader der Nation – die Überschrift: "Jetzt kommt Yoga auf dem Wasser".
Erster "Yoga Welttag"
Der Satz mag sprachlich wacklig sein, die Bedeutung wurde rasch mit Bildern verankert: Asanas auf Surfbrettern. Viel bleibt nicht mehr übrig zum Ausreizen der meditativen Königsdisziplin, dachte ich. Yoga wird inzwischen in Gefängnissen und Fünfstern-Resorts angeboten, als eiskalte oder dampfende Version, auf Bergspitzen und in Gebetshöhlen. Kinder und Alte, Hürdenläufer und Asthmatiker, können einen Yoga Tablet-Computer kaufen, oder einen knackigen Yoga Butt entwickeln.
Bestimmt hatte die "Xantener Südsee" am 21. Juni Hochbetrieb, dem ersten "Yoga-Welttag". Sie verdankt diesen zusätzlichen Windstoss niemand anderem als Premierminister Narendra Modi, einem PR-Grossmeister in allem, was Indien angeht. Bei seiner Teilnahme an der Uno-Generalversammlung vom letzten Jahr hatte er bei Generalsekretär Banki Moon vorgesprochen, um für die internationale Auszeichnung dieses "Geschenks Indiens an die Welt" mit einem eigenen Kalendertag zu werben.
Zwei Rekorde
Eine Erwähnung im deutschen Massenblatt mag eine Anerkennung als internationales Konsumprodukt sein, aber ein Adelsprädikat wie der Welttag ist es nicht. Aber für Modi war auch dieses nicht genug. Kaum war die Uno-Urkunde ausgestellt, setzte er am Sonntag noch einen drauf: Ein Eintrag im "Guinness Book of Records" musste her. So turnten denn 39'985 Yogis und Yoginis vor dem India Gate der Hauptstadt 35 Minuten lang einige Asanas vor, und Vertreter aus 84 Nationen waren dabei – also gleich zwei Rekorde.
Die Massenabfertigung war eingerahmt von weiteren TV-Bildern: Gebirgstruppen im Schnee auf 5000 Metern Höhe im Kampfanzug beim Sonnengruss, Marine-Einheiten Deck irgendwo im Südchinesischen Meer, Schüler, Lehrer, Politiker, und natürlich zum Bersten gefüllte Yoga-Shalas überall im Land, etwa einer Schule in Bombay mit dem perfekten Namen: Full Circle Yoga.
Lieber willig als frei
Der Minister für Ayush – ein neues Kabinetts-Ressort, das Ayurveda, Yoga, Unani und Spiritual Healing verwaltet – hatte das grosse Reservoir von Beamten mobilisiert, die ihre Gymnastikübungen sonst lieber sitzend verrichten. Statt gertenschlanker und biegsamer Körper keuchten am Sonntag wohlbeleibte Gestalten über die Runden, unfreiwillige Beweisstücke dafür, wie notwendig die Rückkehr des Yoga in sein Geburtsland ist. Der Minister hatte behauptet, die Teilnahme am sonntäglichen Schwitzen sei freiwillig. Aber auch indische Beamte sind gut beraten, lieber willig als frei zu sein, wenn ihnen die Karriere lieb ist.
Der Premierminister ging mit dem guten Beispiel voran und machte einige Stretching-Übungen mit, bevor er wie ein Schulmeister durch die Reihen ging und Mut zusprach. Mehr als um Volksgesundheit – und viel mehr als um meditative Praxis – geht es ihm um Disziplin und Leistung. Nur dank Yoga, Fasten und den Atemübungen des Pranayama gelinge es ihm, so tönt es in der modifreundlichen Twitterwelt, einen Achtzehn-Stunden-Tag hinzulegen, auf Ferien- und Frei-Tage ganz zu verzichten. Bereits zur NaMo-Folklore gehört Modis letztjähriger USA-Besuch, bei dem er angeblich neun Tage nichts ass. Selbst Präsident Obama habe seinen Nahrungskonsum beim Arbeitslunch eingeschränkt, aus Respekt vor dem wassertrinkenden Gast-Asketen.
Global Soft Power
Der Yoga-Zug war schon lange in voller Fahrt, als Narendra Modi aufsprang. Aber nun ist es ihm dank seinem hervorragenden PR gelungen, den Führerstand des Zugs zu übernehmen und dessen Zielort anzupassen: Es sind nicht in erster Linie Disziplin und Leistung, und schon gar nicht spirituelle Praxis. Yoga ist vielmehr das ideale Vehikel seiner neuen Soft Hindutva-Politik. Indien soll sich weder im atheistischen Säkularisten noch im radikalen Hindu seines früheren Kaderverbands RSS verkörpern, dessen Mitglieder ihre Morgenübungen mit Schlagstöcken und als Kampfsport vollführen. Modis Indien soll ein Staat sein, der das kulturelle und religiöse Erbe des Hinduismus in Form universaler Werte propagiert.
Diese Politik hat zwei Stossrichtungen. Zum einen soll sie Indien im Ausland als Global Soft Power positionieren. Es könnte nämlich etwas länger dauern, bis Indien wirklich eine wirtschaftliche Grossmacht ist. Und solange es dies nicht ist, kann es sich auch nicht (wie etwa China) politisch – sprich: mit Waffen – in die Brust werfen. Daher der Anspruch, eine kulturelle Grossmacht zu sein. Bei seinen Ostasien-Reisen spricht Modi vom gemeinsamen Erbe des Buddhismus, und in der Region des indischen Ozeans appelliert er an zivilisatorische Bande wie Handel, Sprache, Küche, Migration.
Globale Alltagstätigkeit
Yoga, gerade in seiner leicht konsumierbaren Form von Hatha Yoga, bietet dafür eine hervorragende Plattform. Es hat es den Kult-Status abgelegt und ist wie etwa das Jogging zu einer globalen Alltagstätigkeit geworden; und hat sich dennoch sein leicht esoterisches Cachet bewahrt. Es verdankt dies auch seiner etwas wolkigen Herkunft. Zweifellos in der asketischen Praxis des Hinduismus verankert, wurde die moderne Form des körperbetonten Hatha Yoga stark vom europäischen Körperkult – Turnen, Wanderbewegung Body Building – beeinflusst.
Dennoch hat Yoga diesen Teil seiner Herkunft bisher verleugnet und führt im Stammbaum allein sein spirituell-indisches Erbgut auf. Narendra Modi kann dies nur recht sein, denn es verankert diese geistige Vaterschaft. Mit der Kampagne rund um den Welttag des Yoga – 184 Länder sollen sich am Sonntag mit eigenen Yoga-Feiern beteiligt haben – wurde Indien nun auch global die Vorreiterrolle zuerkannt. Niemand stösst sich daran, dass – wie so viele Dinge aus Indien – zuerst das Ausland den Zug in Bewegung setzte, bevor Indien darauf sprang.
Augenwischerei?
Narendra Modis Politik des Soft Hindutva hat aber nicht nur aussenpolitische Ziele. Sie gehört auch zur innerindischen Agenda und lässt sich dort auch nicht auf die Frage von Arbeitsleistung oder Disziplin reduzieren. Nach der Feier am Sonntag erschien der Tweet eines hochrangigen BJP-Politikers (und ehemaligen Kaderbeamten der nationalistischen RSS), Ram Madhav. Darin warf er dem Vizepräsidenten des Landes, Hamid Ansari, vor, das Grossereignis boykottiert zu haben. Es stellte sich heraus, dass er gar nicht eingeladen worden war. Ansari ist ein Muslim, und die Reaktion zeigt, wie viel politisch-ideologischer Ballast auch an einem so unschuldigen Event hängt.
Anhänger von Modis Yoga-Aktion weisen darauf hin, dass die das Yoga-Event keine religiöse Spitze hatte; zahlreiche Muslime hätten am Sonntag ebenfalls mitgeturnt. Und das verdächtig klingende "Ayush"-Ministerium enthalte ja nicht nur Ayurveda, Yoga und Spiritual Healing sondern auch - im Buchstaben "U" für "Unani" – die traditionelle muslimische Medizin Indiens. "Alles Augenwischerei", entgegen darauf die Gegner. Sie verweisen auf die sattsam bekannte "Doppelzüngigkeit der Hindutva-Brigaden", die gern solche multireligiöse Ballone steigen liessen, um den scharfen assimilatorischen Kurs zu vertuschen, mit dem sie aus Indien wieder ein Land der Hindus machen wollten. Und aus dessen Premierminister Modi The Yogi.