Schule und Unterricht sind heute selbstverständlich und für alle zugänglich. Dabei geht eines leicht vergessen: Dieses Selbstverständliche wurde über Jahrzehnte, gar Jahrhunderte hart errungen. Viel zum Bildungsfortschritt katholischer Landgebiete beigetragen haben die „Schwarzen Schwestern“ (1) aus dem Kloster Menzingen. Man nannte sie schwarz wegen ihres Habits – im Gegensatz zu den braun gekleideten Kapuzinerinnen. Im drückenden Bildungsnotstand des 19. Jahrhunderts leisteten sie mit ihrem Lehrerinnenseminar und ihrer Alltagsarbeit in den Schulen Pionierdienste – auch für die Emanzipation junger Frauen.
Brot wichtiger als Bücher
Schule und Unterricht hatten es bis weit ins 19. Jahrhundert hinein schwer. Allgemeine Bildung war weder nötig noch gefragt. Die Leute waren arm, die Kinder Arbeitskräfte. In der bäuerlich-gewerblichen Gesellschaft bedeutete Bildung darum wenig. Der Alltag verlangte sie nicht. Das Brot war wichtiger als das Buch, der Stall stärker als das Schreiben. Eine Kindheit im heutigen Sinn gab es kaum. Die jungen Menschen mussten auf Feld und Hof mithelfen oder in den neu entstandenen Fabriken arbeiten. Die Wirklichkeit war immer noch weit weg von der Bildungsidee der Helvetischen Republik um 1800, die den einheitlichen, obligatorischen und kostenlosen Unterricht für beide Geschlechter anstrebte.
Der Umbau des Bildungswesens gehörte zu den zentralen Zielen des neuen Staates. Die Helvetik (1798–1803) legte eine wichtige Basis für den pädagogischen Aufbruch im 19. Jahrhundert. Allerdings war die Neigung zum Verharren im Status quo vielerorts grösser als der Mut und die Möglichkeit zur Reform. Das Unterfangen war dornig und der Pfad steinig, der pädagogische Wandel zäh und der Fortschritt ein hartnäckiger Kampf zwischen Utopie und Machbarkeit, zwischen Idealität und Realität.
Mädchen bilden – Gesellschaft erneuern
Junge Frauen erhielten lange eine noch geringere Bildung als die Knaben. Für sie waren die drei K reserviert: „Kinder, Küche, Keller“, dazu noch „Kirche“. Denkfähigkeit war nicht zentral, der Schulbesuch darum geringgeschätzt. Deutlich zeigt sich das an den Schülerzahlen. Zwischen Knaben und Mädchen gab es ein spürbares Gefälle, vor allem auf dem Land, in den Städten weniger.
Wer die Gesellschaft erneuern will, der muss die Schulen verbessern und vor allem die Mädchenbildung voranbringen. Das hat einer mit vitaler Schaffenskraft realisiert: Theodosius Florentini (1806–1865), der visionäre Bündner Kapuzinerpater. Der liberalen Schulbildung der reformierten Schweiz wollte er eine „christkatholische Erziehung […] mittels religiöser Kongregationen“ entgegensetzen. Vor Augen hatte er die Mädchenprimarschule. Sie benötigte gute und geeignete Lehrerinnen oder eben „Lehrschwestern“. Doch die fehlten. Darum brauchte es, so Florentinis Vision, eine „Lehrschwesternanstalt“.
Erbärmliche Bedingungen
Auf Florentinis Rat hin kamen im Oktober 1844 die Ordensschwester Maria Bernarda Heimgartner und zwei Mitschwestern nach Menzingen. Anfang November eröffneten die drei Frauen ihre Mädchenschule – in erbärmlichen materiellen und finanziellen Verhältnissen. Es gab „weder Schultafel noch Dinte“. Gegen ein bescheidenes Entgelt unterrichteten sie fast hundert Mädchen; gleichzeitig bildeten sie neue Lehrschwestern aus.
Die Schulschwestern gelobten ein religiöses Leben, doch ohne Klausur und Chorgebet. Das gab den Ordensangehörigen die notwendige Mobilität für ihre pädagogische und später auch sozial-karitative Aufgabe. Die Leitung der kleinen Schwesterngemeinschaft vom Heiligen Kreuz Menzingen lag bei Schwester Bernarda Heimgartner (1822–1863); sie trug den Titel Frau Mutter. Ihr Name und ihre Botschaft lebten später weiter im Lehrerinnenseminar „Bernarda“ Menzingen.
Respektierte „Schwarze Schwestern“
Frauen als Lehrerinnen? Die Skepsis gegenüber den ungewohnten Personen mit ihren gestärkten Hauben war spürbar. Doch fürs Können gibt’s nur einen Beweis, das Tun. Dies galt auch für die junge Bernarda und ihre noch jüngere Kongregation. Sie leisteten Pionierarbeit und gewannen im Volk rasch Respekt. Die Mädchen lernten lesen, schreiben und rechnen. Bald waren sie besser geschult als die Knaben. Das beeindruckte und stärkte das Vertrauen in die Institution. Ihr guter Ruf verbreitete sich schnell.
Es herrschte grosser Mangel an geeigneten Lehrerinnen und Lehrern. Menzingen ging voran und bildete Pädagoginnen aus. Wie ein Geschenk des Himmels erschienen bald auch in anderen Zuger Landgemeinden und zudem in weiteren katholischen Kantonen die ersten „Schwarzen Schwestern“ aus dem Kloster Menzingen. 1855 führten die Schwestern bereits dreissig Primarschulen und vier Privatschulen, dazu ihr Lehrerinnenseminar. Der Historiker Carlo Moos nennt dies „eine regelrechte Bildungsexplosion“ (1).
Die Schule war feminin
Die Lehrschwestern waren gut ausgebildet, einzig für die Schule da, katholisch und anspruchslos. Zudem arbeiteten sie fast für Gotteslohn und kamen billiger zu stehen als weltliche Lehrer. Das entlastete das kärgliche Budget vieler Gemeinden und verbesserte die Schulqualität. Die Lehrschwestern spielten im Schulwesen katholischer Landgebiete während vieler Jahre eine tragende Rolle. Kaum eine Gemeinde kam ohne sie aus.
Wenn aktuell von einer „Feminisierung“ der Schule die Rede ist, geht leicht vergessen, dass dies seit Langem so ist. Wandel und Fortschritt vieler Schulen haben entscheidend mit dem Engagement der Lehrschwestern zu tun. Die ländlich-kommunalen Schulen in den katholischen Kantonen verdanken ihnen viel. Und noch etwas: Die Schwestern durchbrachen Rollenklischees und förderten die Emanzipation der Frau. Dank ihnen konnten schon früh auch weltliche Frauen Lehrerin werden – allerdings um den Preis des pädagogischen Zölibats: Sie blieben „Fräulein“.
7’000 Lehrerinnen und Kindergärtnerinnen ausgebildet
Das Wirken der jungen Kongregation stiess auf grosse Resonanz. Die Zahl der Schwestern stieg schnell, ebenso der Eintritt neuer Schülerinnen. Das Pensionat wuchs, das Lehrerinnenseminar wurde ständig ausgebaut und verlängert, zuerst auf zwei, dann schrittweise auf fünf Jahre. Gegen 7’000 Lehrerinnen und Kindergärtnerinnen bildeten die Schwestern aus.
Den rasanten Umbruch im wirtschaftlichen Boom der Nachkriegszeit und im zivilisatorischen Fortschritt der Moderne bekamen auch die kirchlichen Orden zu spüren. Den Menzinger Schwestern fehlten zunehmend jüngere Kräfte. Die Ordenseintritte nahmen ab, die Aufgaben aber zu. 2006 verliessen die letzten Absolventinnen das Lehrerinnenseminar „Bernarda“. Es hatte über 160 Jahre Bestand.
(1) Carlo Moos: Zukunft aus dem Glauben. Bernarda Heimgartner und die Gründung des Menzinger Lehrschwesterninstituts im historischen Kontext, hg. vom Generalat Schwestern vom Heiligen Kreuz Menzingen, Luzern 2002.