In diesem Juni und bis Anfang Juli herrscht internationales Konferenz-Fieber. Wir in der Schweiz stehen vor vielen Ungewissheiten rund um die Ukraine-Tagung auf dem Bürgenstock: Wer kommt wirklich, welche Länder boykottieren die Konferenz, wer entsendet allenfalls nur untergeordnete Delegationen? In Berlin findet bereits jetzt, also wenige Tage vor dem Bürgenstock, die Wiederaufbau-Konferenz für die Ukraine statt, und Diplomaten in den Mitglied-Staaten der Nato sind schon dabei, die demnächst bevorstehende Konferenz der Nordatlantischen Allianz vorzubereiten – auch da wird die Ukraine im Zentrum stehen.
Kaum verwunderlich, dass die Brics-Gipfelkonferenz, jetzt, am 10. und 11. Juni, im russischen Nischni Nowgorod medial stiefmütterlich behandelt wird.
Nicht ganz, allerdings: Der Tages-Anzeiger titelte am 10.06. einen Artikel auf der Seite 13 mit «Russland organisiert Gegenkonferenz» – gemeint war mit dieser Formulierung, dass in Nischni Nowgorod an der Wolga eine Tagung stattfindet, welche inhaltlich mit den Diskussionen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Ukraine-Konferenz auf dem Bürgenstock rivalisiere.
Unterschätzte Brics
Leider muss man da feststellen: Der Ukraine-Konflikt wurde in Nischni Nowgorod – das ist jene Stadt, in die in den Sterbejahren der Sowjetunion der Systemkritiker Andrei Sacharow verbannt worden war und die damals Gorki hiess – überhaupt nicht diskutiert. Weil er für die teilnehmenden Aussenminister entweder irrelevant ist oder weil es dem Gastgeberland Russland gelungen ist, ihn gegenüber den angereisten Politikern als irrelevant zu erklären.
Angereist kamen Minister und Delegationen aus den Brics-Erstmitgliedern China, Brasilien, Indien, Südafrika, aber auch aus den neuen Mitgliedsländern, also Saudi-Arabien, Vereinigte Arabische Emirate, Ägypten, Äthiopien und Iran. Und darüber hinaus auch der Türkei, die, obgleich Mitglied der Nato und Beitrittskandidat der Europäischen Union, sich ernsthaft um eine Aufnahme in den Brics-Kreis bewirbt. Die also eine Doppel-Mitgliedschaft, einmal mit West-Orientierung, das andere Mal in Solidarität mit autoritären Regimen oder Regierungen des globalen Südens, als unproblematisch betrachtet. Zu Recht, zu Unrecht?
Mehr Repräsentanz gefordert
Den Regierungen im Westen, auch den Medien, fällt es schwer, die Bedeutung von Brics und auch deren Ziele zu verstehen. B steht für Brasilien, R für Russland, I für Indien, C für China und S für Südafrika. Gegründet wurde die Interessen-Vereinigung 2009, die Erweiterung durch die anderen erwähnten Länder fand 2023 statt. Brics hat keinen festen Sitz und kein Sekretariat< und als einzige bisher geschaffene Institution eine Entwicklungsbank, die mit umgerechnet 100 Milliarden US-Dollar noch eher spärlich ausgestattet ist, die aber bereits einige Infrastruktur-Projekte in Afrika finanziert hat. Also Gründe genug für die Marginalisierung durch den Westen?
Falsch gedacht – die Brics-Länder umfassen zusammen 46 Prozent der Weltbevölkerung, 36 Prozent des globalen Wirtschaftsaufkommens und 25 Prozent des Welthandels – Tendenz steigend. Und die Zielrichtung – sie wird in erster Linie von China gesteuert – lautet: Wir fordern, gemeinsam, mehr Repräsentanz in globalen Institutionen wie Weltbank und Uno-Unterorganisationen und wir lehnen all das ab, was der Westen einseitig beschliesst oder durchsetzen will. Beispielsweise Sanktionen.
Die neue Welt-Unordnung
Um Sanktionen zu umgehen, wickeln die Mitglieder von Brics viele Geschäfte, beispielsweise Erdöl- oder Erdgas-Transaktionen, entweder in bilateralem Tauschhandel oder in lokalen Währungen, allenfalls mit dem chinesischen Yuan, ab. Die Ent-Dollarisierung ist eines der Ziele der Brics-Strategie. Und im Übrigen scheren sie sich keinen Deut darum, ob beispielsweise Russland oder Iran vom Westen mit Sanktionen belegt worden sind – was dazu geführt hat, dass die russische Wirtschaft, trotz des aufwendigen Kriegs gegen die Ukraine, kontinuierlich wächst. Und dass es Iran gelungen ist, seine Raketen- und Drohnen-Rüstung konsequent zu entwickeln, so sehr, dass das iranische Arsenal zu einer echten Bedrohung der potentiellen regionalen Rivalen geworden ist.
Wie sollen sich westliche Regierungen positionieren? Die deutsche Friedrich-Naumann-Stiftung zieht in einem Paper die Schlussfolgerung, Brics stelle bisher für den Westen keine Bedrohung dar, führt dann aber weiter aus: «Es sollte als Warnzeichen für den Westen verstanden werden, dass sich auch jenseits der ideologischen Rivalen China, Russland und Iran viele mit dem Westen verbundene Mittelmächte nach alternativen bzw. ergänzenden Staatenbündnissen umsehen.»
Beispiele dafür sind Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate, die bis vor kurzem als treue Verbündete des Westens galten, die aber aus der West-Solidarität beim Thema Ja oder Nein zu Sanktionen gegen Russland ausscherten. Ägypten, ebenfalls Neu-Mitglied bei Brics, vertraut darauf, dass ihm die westlichen Regierungen und Institutionen weiterhin mit Krediten, Milliarden-Spenden und Schuldenerlass unter die Arme greifen, und will dennoch mit Putins Regime Geschäfte machen. Und die Türkei bleibt sowohl Nato-Mitglied als auch EU-Kandidat (auch wenn niemand mehr an die Verwirklichung der EU-Beitritts-Perspekte glaubt), will aber dennoch Teil von Brics werden.
So sieht die neue Welt-Unordnung aus …