Mit entschlossen-wildem Blick und muskelbepackt wie Rambo hält „der Pizzamann“, wie er im Volksmund genannt wird, auf der Verkehrsinsel an Jakartas Jalan Jendral Sudirman (General-Sudirman-Strasse) unweit des Olympiastadions triumphierend eine schwere runde Platte in die Höhe, aus der die Flammen der Freiheit züngeln, eine geschmacklose, in Stein gemeisselte Monumentalskulptur. Etwas eleganter reicht eine dankbare Bäuerin in der Menteng Raya einem strammen Soldaten mit umgehängtem Gewehr und aufgepflanztem Bajonett in Demutshaltung eine Schale Reis. Und mitten im Merdeka-Park ragt modernistisch und gekrönt von einer stilisierten Flamme, „Sukarnos Penis“, so die populäre Bezeichnung, 137 Meter hoch, eine Lingga, das männliche Geschlechtsteil, das im Hinduismus Fruchtbarkeit und in der modernen indonesischen Mythologie Freiheit symbolisiert. Im Gedenken an den Unabhängigkeitskampf liess Indonesiens Staatsgründer zahlreiche Denkmäler auf den Inseln des Landes errichten.
Und jedes Jahr am 17. August begehen die Indonesier mit Paraden und Fahnen ihren Tag der Unabhängigkeit von der holländischen Kolonialherrschaft, dieses Jahr zum 70. Mal. Was einst mit einer schlichten Zeremonie begann, wird heute mit viel Pomp und Fahnen begangen. Soldaten paradieren, Schulkinder in Uniformen singen patriotische Lieder, und Politiker, „die keine Söhne der Revolution sind… und gierig Reichtümer ergattern, indem sie die Interessen des Volkes opfern“, wie Staatsgründer Sukarno schon 15 Jahre nach Erlangung der Unabhängigkeit klagte, erinnern an Sutan Sjahrir, Ahmad Soebardjo, Mohammad Hatta und all die andern, die für die Unabhängigkeit gekämpft, in der Verbannung und in Gefängnissen gelitten haben.
Am 11. August 1945 – er wusste noch nichts von den verheerenden Bomben, die fünf bzw. zwei Tage zuvor Hiroshima und Nagasaki zerstört hatten – erfuhr Sukarno von Feldmarschall Terauchi Hisaichi, dem Oberkommandierenden der japanischen Siebten Armee in Saigon, dass Indonesien in Kürze die Unabhängigkeit erhalten solle, allerdings unter japanischer Aufsicht. Drei Tage zuvor hatte Sukarno seinen Landsleuten in einer Radioansprache versprochen: Indonesien muss frei sein, ehe der Mais Früchte trägt.“ Nun, am 14., rief er einer Menge in Jakarta zu: „Indonesien wird frei sein, ehe der Mais blüht.“
Eine schlichte Zeremonie
Zwei Tage später verbreitete sich die Nachricht von der japanischen Kapitulation. Sukarno und Hatta wandten sich sofort an Konteradmiral Maeda Tadashi in Jakartas Holländerviertel Menteng. Zwar galt Maeda, Verbindungsoffizier der japanischen Marine zur Armee, als Sympathisant der nationalen Bewegung Indonesiens. Nun zeigten die Japaner jedoch Bedenken, weil ihre Hände durch die Kapitulationsbedingungen gebunden waren, bis zum Eintreffen der alliierten Streitkräfte nichts am Status quo zu verändern. Schliesslich deuteten sie einen Ausweg an, die Proklamation der Unabhängigkeit könne ja ohne ihre Kenntnis vonstattengehen. Noch in der Nacht verfasste die kleine Gruppe um Sukarno die Unabhängigkeitserklärung.
Das Resultat waren zwei knappe, mit einer geborgten Feder auf Schulpapier gekritzelte Sätze. Übernächtigt und fiebrig – seine Malaria war wieder einmal zurückgekehrt – hielt Sukarno gegen zehn Uhr morgens, begleitet von Hatta, in einer schlichten Zeremonie im Hof seines Hauses in Menteng eine kurze Rede, ehe er die Proklamation verlas: „Wir, die Menschen von Indonesien, erklären hiermit Indonesiens Unabhängigkeit. Angelegenheiten die Machtübernahme betreffend und andere Angelegenheiten werden in ordentlicher Weise und in der kürzest möglichen Zeit abgewickelt. Im Namen des Volkes von Indonesien. Sukarno, Hatta“.
Eine rot-weisse Fahne, die Sukarnos Frau Fatmawati für diesen Anlass genäht hatte, wurde an einem Bambusstab gehisst. Die Anwesenden sangen „Indonesia Raya“, das die Nationalhymne werden sollte.
Chaos und Kämpfe
Am Nachmittag verbreiteten indonesische Angestellte des japanischen Senders Domei die Nachricht, die im ganzen Land leidenschaftlichen Jubel und zahlreiche spontane Angriffe auf japanische Einrichtungen und Arsenale auslöste. In Indonesien herrschte Chaos. Wütende Menschenmengen attackierten ihre Sultane und Europäer, raubten und mordeten, plünderten chinesische und indische Geschäfte, besetzten Plantagen, erhoben an Strassensperren „Steuern“ und brachten den Handel zum Erliegen – alles im Namen der Revolution. Hungersnot drohte, weil die Ernte nicht eingebracht wurde. Manchmal wünsche man sich „verärgert, die Indonesier hätten eine praktische Ader. Wie wollt ihr euer Land in Schwung bringen“, schrieb die legendäre amerikanische Journalistin Martha Gellhorn ein halbes Jahr später, als das Chaos immer noch anhielt.
Ende September landeten die ersten britischen Verbände in Java, die alle japanischen Truppen entwaffnen und Den Haags Interessen sichern sollten, bis die Niederlande wieder eigene Truppen schicken konnten. „Jedes Gebäude war übersät mit Graffitti, die nach Blut oder Freiheit schrien, und Blut floss. Bombenexplosionen erschütterten die Stadt“, berichtete ein etwas exzentrischer Hauptmann Dirk Niven van der Bogaerde von der 23. Indischen Division mit einer hinreissend schönen eurasischen Sekretärin, einem grinsenden Gurkhaburschen und einem kleinen Panther namens Ursula im Gefolge, der später als Dirk Bogarde zu Hollywood-Ehren gelangen sollte, aus Bandung.
Im November kam es zu den heftigsten Kämpfen, als die 25. Infanteriebrigade der 23. Indischen Division in Surabaya einrückte, um die Evakuierung japanischer Kriegsgefangener zu organisieren und die Abgabe aller Waffen durchzusetzen. Eineinhalb Divisionen, 24 000 Mann und 24 RAF-Thunderbolts und Mosquitoes standen 120 000 zu allem entschlossenen Indonesiern gegenüber, die mit Kris und Lanzen und dem Ruf Allahu akbar (Gott ist gross!) Sherman-Panzer attackierten. Mit Sprengstoffgürtel ausgerüstete Selbstmordattentäter warfen sich den vorrückenden britischen und indischen Truppen entgegen, und nachts sammelten die Frauen die Toten ein, um sie zu begraben. Nach drei Wochen erbitterter Strassenkämpfe und 15 000 Gefallenen (Die britischen Verluste beliefen sich auf 300 Mann.) gaben sich die Verteidiger der Stadt geschlagen.
Die Rückkehr der Kolonialmacht
Im Dezember trafen die ersten holländischen Verbände in Jakarta ein, die wieder „Rust en Orde“ (Ruhe und Ordnung) herstellen und Königin Wilhelminas Versprechen der „Unteilbarkeit des Königreichs“ durchsetzen sollten. Nur mit Mühe hielten die Unabhängigkeitskämpfer wenigstens Teile ihrer Republik gegen die Angriffe der holländischen Kolonialmacht. „Die Überzeugung so vieler Holländer in Ostindien und zuhause, dass sie gute Kolonialherren gewesen waren, dass sie immer noch von ihren ehemaligen Untertanen geliebt würden, und dass Sukarno und seine Kollegen nur eine kleine und nicht repräsentative Minderheit seien, muss als eine der grössten Selbsttäuschungen in den Annalen der Kolonialgeschichte eingestuft werden“, urteilte der renommierte australische Historiker John D. Legge in einer Sukarno-Biographie.
Indien und Australien brachten die Angelegenheit vor den UN-Sicherheitsrat, der einen Waffenstillstand forderte. Unter Vermittlung der Vereinten Nationen unterzeichneten schliesslich beide Parteien auf der „USS Renville“ ein Abkommen, das den Holländern gegen die vage Zusage zukünftiger Unabhängigkeit die bereits besetzten Gebiete sicherte, ein Abkommen, an das sich niemand hielt. Zunächst probten die Kommunisten den Aufstand, besetzten Madiun in Ostjava und riefen zum Sturz der Regierung Sukarnos auf. Dann gründeten radikale Muslime in Westjava einen islamischen Staat, der dem Land unter dem Namen Dar-ul Islam (Haus des Islams) noch auf Jahre hinaus Probleme bereiten sollte.
Schliesslich griffen holländische Truppen Yogyakarta (Zentraljava) an, bombardierten den Flughafen, Fallschirmjäger besetzten Schlüsselpositionen in der Stadt und nahmen die gesamte Regierung der Republik gefangen. Doch diese (zweite) „Polizeiaktion“, wie der holländische Generalgouverneur das Vorgehen nannte, wurde für die Niederlande zum politischen Fiasko. Washington, das fürchtete, ein längerer Guerillakrieg könnte den Kommunisten wieder Auftrieb geben, zwang Den Haag an den Verhandlungstisch. Seit Ende des Weltkrieges hatten die Niederlande über eine Milliarde Dollar aus dem Marshallplan erhalten, beinahe die Hälfte davon hatte Den Haag zur Finanzierung seines Kolonialkriegs verwandt. Im Juni 1949 stimmte die Rijksoverheid (Regierung) schliesslich einem Waffenstillstand und Verhandlungen zu. Am 6. Juli holte eine Maschine der UN-Kommission für Indonesien Sukarno und seine Kollegen aus ihrer Haft zu einem begeisterten Empfang in Yogjakarta ab. Ein knappes halbes Jahr später, am 27. Dezember 1949, erlangten die Vereinigten Staaten Indonesiens endlich offiziell die Unabhängigkeit.
„Millionen und Millionen überfluteten die Bürgersteige, die Strassen, sie weinten, schrien, kreischten… Lang lebe Bung Karno… Sie klammerten sich an die Seite meines Wagens, an die Motorhaube, die Kotflügel. Sie griffen nach mir, um meine Hände zu küssen“, schilderte Sukarno seinen Einzug in Jakarta in einem Cabrio mit heruntergelassenem Verdeck, ein Bild, das der legendäre französische Fotograf Henri Cartier-Bresson festgehalten hat. „Soldaten schlugen einen Weg zur obersten Stufe des weissen Palastes für mich frei. Dort reckte ich meine Hände in die Höhe. Stille wogte über den Millionen. ‚Alhamdullilah – Gott sei es gedankt‘, schrie ich. ‚Wir sind frei.‘“
[1] Das Sanskritwort maharddika beschreibt einen weisen, berühmten, reichen Menschen. 1603 übersetzte der holländische Seefahrer Frederik de Houtman das Wort mardeka in seinem malaiisch-holländischen Wörterbuch mit „freier Mann“. Heute steht merdeka einfach für jede persönliche und politische Freiheit.