Seit dem vergangenen Mittwoch gibt es nun auch eine Frauenmehrheit im Bundesrat. Das kommt schon eher einer Sensation gleich, auch wenn sie im Vorfeld der Wahl absehbar war. Das Erfreuliche an dieser Wahl ist nicht nur die Frauenmehrheit, sondern auch die Tatsache, dass nach all den taktischen Überlegungen, die in den letzten Wochen die Oberhand zu bekommen drohten, zwei offizielle Kandidaten der FDP und der SP gewählt wurden.
So sicher wie eins und eins zwei gibt, wird es auch wieder Männermehrheiten geben. Möglicherweise bereits in einem Jahr. Aber vorläufig wollen wir uns am jetzigen Zustand freuen. Wie viel hat sich geändert! Vor der ersten Abstimmung über die Einführung des Frauenstimmrechtes im Jahre 1959 meinte ein Kommilitone zu mir: "Ich begreife nicht, dass Du Dich derart für das Frauenstimmrecht einsetzt. Du bist doch sonst eine ganz normale Frau". Meine Antwort war kurz: "Eben darum."
Ob mit einer Frauenmehrheit denn alles besser werde, wurde ich nach dem Wahltag gefragt. Meine Hoffnung ist, dass einiges anders wird. Das hängt auch mit den Personen zusammen, die gewählt wurden. Das Geschlecht allein schafft weder Engel noch Bengel.
Das Gespür des Volkes
Besteht bei gewissen Männern etwa die unausgesprochene Angst, dass die Männer im Bundesrat von Frauen überstimmt werden könnten? Diese Befürchtung ist abwegig. Eine Solidarität von Frauen gibt es nur, wenn es um spezifische Frauenanliegen geht. Das war z.B. der Fall beim Gleichberechtigungsartikel, beim neuen Eherecht und dem neuen Kindsrecht. Das war richtig und nötig. Das neue Eherecht wurde dank einer Frauenmehrheit angenommen, eine Männermehrheit lehnte es ab.
Unser politisches System ist darauf angelegt, kein Individuum und keine Gruppe zu stark werden zu lassen. Ragt ein Kopf über den Durchschnitt, ist die Guillotine nicht weit weg. Das wenigstens gilt für beide Geschlechter. Unser Regierungssystem mit der Parteienvielfalt engt den Handlungsspielraum ohnehin ein.
Kommt es also gar nicht darauf an, ob beide Geschlechter in einer Regierung vertreten sind? Doch es kommt darauf an. Frauen sind weder besser noch schlechter, aber sie haben einen anderen Erfahrungshintergrund und damit verbunden Sensibilitäten, die sie in bestimmten Fragen andere Prioritäten setzen lassen. Das ist auch gut so. Frauen sind in der Regel lösungsorientiert und weniger prestigebewusst. Sie haben deshalb auch weniger Mühe, auf Mitglieder anderer Parteien zuzugehen. Auch das ist positiv zu werten.
Fragt man jemanden nach dem Namen unserer Mitglieder im Bundesrat, fallen regelmässig die Namen der Frauen zuerst. Das mag daher rühren, dass es noch gar nicht so lange Frauen im Bundesrat gibt. Fragt man nach der Beliebtheit, schwingen die Frauen obenauf. Sie geniessen im Volk eine hohe Glaubwürdigkeit, weil sie in der Regel unabhängiger sind. Das Volk hat ein feines Gespür dafür.
Politische Stabilität
Frauen haben wie Männer unterschiedliche politische Wurzeln und entsprechend können auch unter Frauen die Meinungen bei Sachfragen weit auseinander gehen. Auch das ist richtig und vom System her gewollt. Der Ausdruck „Zickenkrieg“ ist fehl am Platz.
Sollten immer noch diffuse Ängste vorhanden sein, so sei darauf hingewiesen, dass unser System viele Korrekturmöglichkeiten hat. So haben im Parlament nach wie vor Männer die Mehrheit. Und ein wirksames Korrektiv kann zudem das Volk sein, das in unserem politischen System oft die Oppositionsrolle übernimmt.
Gut möglich, dass in gewissen Köpfen des Parlaments der Gedanke herumspukt, mit der Abwahl von Eveline Widmer-Schlumpf könne die Welt wieder in Ordnung gebracht werden. Eveline Widmer-Schlumpf soll nicht nur deshalb wiedergewählt werden, weil sie eine Frau ist, sondern weil sie eine kompetente, tüchtige Politikerin ist. Sie geniesst zu Recht im Volk Anerkennung und Respekt.
Die Abwahl von Ruth Metzler ist vielen noch in Erinnerung, auch wenn in ihrem Fall die Geschlechterfrage keine Rolle spielte. Sie fiel einem politischen Kalkül zum Opfer. Unbestritten aber ist, dass mit ihrer Abwahl ein Element der Instabilität in unsere Politik einzog. Genau wie bei der Abwahl von Christoph Blocher. Beide Abwahlen waren nicht zum Vorteil unseres Landes. Die politische Stabilität ist eine unserer wichtigsten Standortvorteile. Ihr gilt es Sorge zu tragen.
So erfreulich die Frauenmehrheit im Bundesrat ist, so hat sie vor allem symbolischen Charakter. Doch auch Symbole sind in einer Gesellschaft wichtig. Wird sich die Frauenmehrheit auch in anderen Lebensbereichen auswirken? Verglichen mit der Politik sind Frauen in den Chefetagen der Wirtschaft schwach vertreten. Sind daran "die Männer" schuld? Oder könnte es vor allem daran liegen, dass Frauen oftmals Ihre Lebensqualität nicht in möglichst viel Macht und Geld sehen? Und wenn das zutreffen sollte: Was soll daran falsch sein? Sollten wir nicht vielmehr dankbar sein für unterschiedliche Werteskalen? Das Ziel der Gleichberechtigung ist erreicht. Es wäre an der Zeit, auch die Gleichwertigkeit voll anzuerkennen und zu schätzen. Und das in allen Lebensbereichen.