Auf dem Weg nach Südkorea im August durfte die Maschine mit Papst Franziskus an Bord den chinesischen Luftraum durchfliegen, ein Privileg, das noch Papst Paul II. verweigert worden war. Der Papst sandte, quasi hoch vom Himmel herab, Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping ein Telegram, in dem er die Hoffnung auf gute Beziehungen ausdrückte und den brennenden Wunsch äusserte, schon «morgen» China zu besuchen. Ähnliche Töne von Seiten der Chinesen. Die Sprecherin des Aussenministeriums Hua Chunying sagte, auch Peking suche einen «konstruktiven Dialog zur Verbesserung der Beziehungen». Allererste informelle Gespräche haben bereits im Juni stattgefunden.
Ziemlich bemerkenswerte Freundlichkeiten
Wenn Chinas Staatsmedien auch über den Papstbesuch in Südkroea schwiegen, so wird seit dem Amtsantritt des Papstes über die Person von Franziskus stets neutral bis positiv, niemals aber negativ berichtet. «Das ist ziemlich bemerkenswert,» urteilt Kardinal John Tong Hon, Erzbischof von Hong Kong.
Kardinal Tong kann im Unterschied zu seinen Amtsbrüdern auf dem Festland in der Sonderverwaltungsregion Hongkong schalten und walten wie er will. Die römisch-katholische Kirche in China dagegen ist gespalten. Alle Religionen sind in China unter staatlicher Aufsicht. Die Katholiken sind in der Chinesischen Katholisch-Patriotischen Kirche (KPV) eingebunden und dürfen den Papst nicht als Kirchenoberhaupt anerkennen. Die Bischöfe werden mithin auch nicht von Rom sondern vom Staat, beziehungsweise der staatstreuen, selbstverwalteten Kirche bestimmt.
Chinesische Katholiken im Loyalitätskonflikt
Die Papsttreuen dagegen bilden die Untergrundkirche, deren Bischöfe vom Vatikan ernannt werden. Über die Zahl der Katholiken gehen die Meinungen weit auseinander. Fünf Millionen patritotische und zehn Millionen papsttreue Katholiken sind es nach vorsichtigen Schätzungen, bis zu zehn und dreissig Millionen nach Schätzungen von vatikan-nahen Geistlichen und Mitgliedern der Untergrundkirche.
Dass Papst Franziskus ein besseres Verhältnis zu China sucht und damit auch Millionen von chinesischen Katholiken einen Loyalitätskonflikt ersparen will, zeichnete sich schon bald nach seiner Amtseinsetzung ab. In einem im März in der renommierten italienischen Tageszeitung «Corriere della Sera» erschienenen Interview sagte der Papst: «Wir sind China nahe. Dem Präsidenten Xi Jinping habe ich einen Brief geschrieben, als er gewählt wurde, drei Tage nach mir (Nov 2012. Red.). Er hat mir geantwortet. Einige Beziehungen gibt es bereits. China ist ein grosses Volk, das ich liebe».
In der Untergrundkirche verbreitete sich die Nachricht wie ein Lauffeuer. In den offiziellen Medien war darüber nichts zu lesen. Die in Hong Kong erscheinende, der KP Chinas nahestehende Tageszeitung «Wen Wei Po» druckte die Worte des Papstes nach mit der vielsagenden Überschrift: «Xi Jinping antwortet dem Papst. Das Eis bricht vielleicht noch dieses Jahr».
Prekärer Optimismus
Ebenfalls optimistisch gibt sich ein neu ernannter Weihbischof in Hong Kong. Stephen Lee Bun-san sagte noch vor dem Südkorea-Besuch von Papst Franziskus, die Volksrepublik und der Heilige Stuhl seien «aktiv engagiert», um die bilateralen «komplizierten Beziehungen» zu verbessern. Er sei «optimistisch».
Trotz dem verbreiteten Optimismus werden die konkreten Verhandlungen schwierig sein. Der Vatikan muss für eine Einigung mit der Volksrepublik China die diplomatischen Beziehungen zu Taiwan kappen. Dieser Punkt ist vergleichsweise noch einfach. In einem weiteren Punkt jedoch wird es schwierig, denn es geht um die Loyalität der katholischen Kirche Chinas zum Papst.
Die Vorbedingung Pekings: der Heilige Stuhl soll sich nicht in die Belange der offiziellen chinesischen katholischen Kirche einmischen. Und da geht es für den Vatikan ums Eingemachte, nämlich um die Ernennung von Bischöfen. Der Verhandlungsspielraum Roms ist eng, sehr eng. Bereits bei früheren Annäherungen – zuletzt 2010 – ist zum Beispiel die in Vietnam praktizierte Lösung mit Doppelernenung von Bischöfen gescheitert.
Tiefes Misstrauen seit der Revolution
Darüber hinaus misstrauen sich beide Seiten noch immer tief. Die christlichen Missionare aller Denominationen haben während der kolonialistisch-imperialistischen Periode im 19. Jahrhundert Spuren hinterlassen. Das Zeitalter gilt in China als jenes der «nationalen Schande und Demütigung». Im Gefolge der Kolonialisten und Imperialisten befanden sich nicht nur Geschäftsleute sondern eben auch immer Missionare.
Die Kommunisten schworen nach dem Bürgergkrieg (1945-49) und der Eroberung der Macht, niemals mehr von ausländischen Mächten gegängelt und bevormundet zu werden. Das gilt u.a. auch für die römisch-katholische Kirche, zumal sie organisatorisch durchaus Ähnlichkeiten mit einer Kaderpartei wie Chinas KP aufweist. 1951, zwei Jahre nach der Machtergreifung, brach Peking die diplomatischen Beziehungen zum Vatikan ab.
Obwohl die Christen weder heute noch früher einen grossen Einfluss in China und Asien ausübten – mit Ausnahme der Philippinen – waren die Beziehungen über lange Jahrhunderte durchaus freundlich. Entlang der Seidenstrasse kamen viele Religionen bis ins Reich der Mitte. Besonders während der toleranten Tang-Dynastie (618-907) konnten Händler in den grossen Städten ungehindert ihre Religion ausüben, ohne Auswirkungen allerdings auf die Bevölkerung. Unter der toleranten mongolischen Yuan-Dynastie waren die Bedingungen ähnlich. Im Jahre 1299 gar konnte der italienische Franziskaner Johannes von Montecorvino in Peking – dem damaligen Khanbalik – eine erste und 1305 eine zweite Kirche errichten. Die Missionsbewegung hatte unter der Bevölkerung jedoch kaum Spuren hinterlassen.
Interkulturelle Seiltänzer
Die Mission der Jesuiten ab Ende des 16. Jahrhunderts unter den beiden letzten Dynastien Ming und Qing hatten mehr Erfolg. Das allerdings nicht vorab im religiösen, sondern im wissenschaftlichen Bereich. Die Jesuiten waren interkulturelle Seiltänzer und Übersetzer. Namen wie Matteo Ricci, Ferdinand Verbiest oder Adam Schall von Bell sind noch heute in China bekannt.
Die Jesuiten wurden wegen ihrer wissenschaftlichen und künstlerischen Fähigkeiten bei der höfischen Elite hoch geschätzt und bekleideten einflussreiche Staatsämter. Religiös versuchten sie Taoismus, Buddhismus oder Ahnenverehrung mit der katholischen Lehre zu vereinbaren. Vom Papst wurden sie deshalb im 18. Jahrhundert im sogenannten Ritenstreit der Missionstätigkeit in China enthoben.
Um die difizilen sino-vatikanischen Beziehungen heute wieder ins Lot zu bringen, bräuchte es mutige, kreative Persönlichkeiten. Auf beiden Seiten. Unter der Ägide von Parteichef Xi ist das durchaus denkbar, ebenso auf vatikanischer Seite. Papst Franziskus müsste einen modernen Matteo Ricci oder – wie er auf Chinesisch heisst – Li Madou finden.
Bei allem urbi et orbi verbreiteten Optimismus und allen Gemeinsamkeiten: Falls sich die beiden Autokraten Xi und Franziskus tatsächlich schon bald in Peking treffen, wäre das eine ganz grosse Überraschung.