Das Bändchen ist handlich, kein Rascheln von Zeitungspapier stört die Lektüre. Man liest, man ergötzt sich, man schmunzelt und lacht – und ertappt sich immer wieder bei der Frage: Steckt man eigentlich noch in Dürrenmatts Stück oder hat man doch wieder die Tageszeitung in der Hand? Denn Dürrenmatts Spiel und die aktuellen Zeitungsberichte überlappen sich, werden eins, trennen sich, nähern sich einander erneut an, ja manchmal stellt das reale Hier und Jetzt das Stück gar in den Schatten, was in Anbetracht von Dürrenmatts Fantasie und seiner Lust, mit krassen Formulierungen zu schockieren, etwas heissen will.
„Im Geschäft sinkt man halt tief“
Bei Dürrenmatt geht es um eine Privatbank, die nicht ganz so alt ist wie die, um die es heute geht. Aber alt ist sie auch, sie schickt sich an, ihr 200-jähriges Bestehen zu feiern. Dazu kommt es freilich nicht, weil die Bank in arge Schieflage geraten ist. Natürlich ist die Oper (die Musik schrieb Paul Burkhard) nicht darauf angelegt, dem Publikum eine Lektion in Bankenkunde zu geben. Frank V. sei kein „nationalökonomisches Stück“, schrieb der Autor, sondern eine Arbeit über ein fingiertes Modell von möglichen menschlichen Beziehungen. Es geht um Menschen im Kollektiv, und der Kitt dieses Kollektivs ist das Geld, das alle korrumpiert und sämtliche Skrupel und moralischen Hemmungen abtötet. Mit dem Modell lässt sich Geld verdienen, aber es birgt eben auch seine Risiken. Der Song, den die ruchlose Ottilie, Gattin Franks V., zum Besten gibt, kommt einem irgendwie bekannt vor:
Wie die Lage steht, in der wir liegen Oh, ich kenn sie, immer ist sie schief Was wir auch brechen oder was wir biegen Es läuft stets so, wie’s lief Im Geschäft sinkt man halt tief.
Frank V., der Patron in fünfter Generation, ist ein Gangster, gleichzeitig aber auch ein Mann des Geistes, der Goethe und Mörike liebt. Über diesen Patron schrieb Dürrenmatt in seinen „Richtlinien der Regie“: „ Dass Frank der Fünfte nicht verzweifelt, stellt sein Verbrechen dar, wäre er vom Geist ergriffen, den er besingt, könnte er als Verbrecher nicht mehr weiterleben, dass er dies vermag, macht ihn zur Blasphemie.“
Der Staat als Retter
Viele Elemente, die in der Oper aufscheinen, nehmen wir heute Tag für Tag auf der realen Bühne wahr. Banker, Spekulanten und anderweitige Abzocker haben den seltsamen Drang, sich kunstsinnig und als Mäzene aufzuspielen. Der Privatbankier etwa, von dem gegenwärtig viel die Rede ist, sponsert die Aufführung sämtlicher Bach-Kantaten (es sind deren 200) in der Trogener Kirche. Und wie in der Oper der Staatspräsident angerufen wird, er möge die Bank retten, rufen auch die realen Banker ununterbrochen den Staat zu Hilfe, den sie – wiederum wie ihre Brüder und Schwestern auf der Schaubühne – zutiefst verachten.
Dürrenmatts Stück enthält auch ein paar Partikel, in denen, liest man sie heute, ziemlich viel Ironie steckt. Einen Fabrikherrn (Waffenproduzent) lässt er „mit der Morgenausgabe unseres weltbekannten Lokalblättchens“ auf den Plan treten. Das ist offensichtlich eine Anspielung auf die NZZ, die ihr Publikum seinerzeit noch mit mehreren Ausgaben täglich beglückte. Hier überrundet die reale Gegenwart sozusagen das fingierte Modell: Auf die Idee, dass der Privatbankenboss gleichzeitig auch der Verwaltungsratspräsident des „weltbekannten Lokalblättchens“ sein könnte, ist nicht einmal der fantasievolle Dürrenmatt gekommen.
Zwei Premieren
Seit ein paar Tagen steht im Zürcher Schauspielhaus „Das Versprechen“ von Friedrich Dürrenmatt auf dem Spielplan, einem breiteren (und älteren) Publikum wohl besser bekannt von seiner Filmfassung her – „Es geschah am helllichten Tag“. Der Begeisterungsfunke wolle nicht recht überspringen, bemängelte der Kritiker in der NZZ.
Schade. Und schade auch, dass es – aus gegebenem Anlass - einer Bühne nicht möglich ist, das Programm kurzfristig umzustellen. Für „Frank V.“ wäre der Anlass jedenfalls gegeben.
Nach der ersten Inszenierung der Banken-Oper am 19. März 1959 schrieb der Tages-Anzeiger: „ Lebhafte Mundpropaganda sorgte dafür, dass männiglich voller Neugier einem ungemeinen Theaterereignis, einer Sensation, vielleicht sogar einem Skandal entgegensah. Des Erwägens und Spekulierens war deshalb seit Wochen weit über den lokalen Bereich hinaus schier kein Ende. Es mussten gleich zwei Premieren für die Uraufführung (…) angesetzt werden, um dem Zustrom der Interessierten, namentlich auch aus Deutschland, zu genügen.“
Dier Funke sprang, als Frank V. auf die Bühne kam. Aber er verglühte ziemlich schnell. Das Stück hatte einen schwierigen Stand und ein schwieriges Schicksal. Im heutigen Umfeld wäre das möglicherweise anders. Einstweilen muss man sich mit der schlichten Lektüre begnügen. Aber die beschert einem zwei, drei ebenso vergnügliche wie erhellende Stunden.