Das eindeutige Resultat vom Sonntag verschafft Hollande eine ausreichende "Legitimität" zur Herausforderung von Präsident Sarkozy in den Präsidentschaftswahlen vom Mai 2012.
Die Primärwahlen waren ein Risiko, wurden aber letztlich zu einem grossen Publizitätserfolg für die Sozialistische Partei. Denn sie konnte im zweiten Wahlgang an die drei Millionen Wähler mobilisieren. Trotz einiger Entgleisungen in der zweiten Woche, als Aubry ihren Rivalen Hollande, der vor ihr Parteisekretär gewesen war, zum Beispiel als "Kandidaten des Systems" abtat, blieb eine Zerfleischung, von der nur die Rechte profitiert hätte, aus.
Unnützer Wurmfortsatz
Im Gegenteil: Der PS schuf ein demokratisches Modell, das sich nun auch andere Parteien aneignen müssen, auch wenn es nicht ganz unbedenklich ist. Denn erstmals standen die Primärwahlen allen Wählern offen, die Lust dazu hatten. 2006 waren sie auf die Mitglieder beschränkt gewesen. Die Politiker der Präsidentenpartei UMP zeigten gleichzeitig Demagogie und Anerkennung.
Nur Präsident Sarkozy verrannte sich, indem er deklamierte, dass solche Wahlen dem gaullistischen Geist der V. Republik widersprächen, dem gemäss die Wahlen die Begegnung des Volkes mit einem geborenen Führer sein sollten, wobei dessen Partei nur ein unnützer Wurmfortsatz sei. Die UMP zeigt wenig Neigung zu einer solchen Interpretation, auch wenn sie 2012 mit ihrem "natürlichen Führer" Sarkozy auskommen muss - die Primärwahlen haben nicht zuletzt Zweifel an dessen Einheitskandidatur wachgerufen.
Plötzlich ein Hoffnungskandidat
Hollande hatte zunächst die offenen Primärwahlen nicht befürwortet. Seine Kandidatur begann früh, aber zögernd. Jedoch war der als blasser Parteisekretär in Erinnerung gebliebene Politiker, der nie Minister gewesen war - was gemeinhin doch als Voraussetzung für das Präsidentenamt gilt -, dann plötzlich zum Geheimtip geworden. Er hatte sich körperlich und psychisch entschlackt und brachte es damit fertig, ohne klare Forderungen den Eindruck zu erwecken, er wisse wohin der Weg geht.
Dabei hatte seine frühere Lebensgefährtin Ségolène Royal in der ersten Runde offen erklärt, dass Hollande in dreissig Jahren Politik nichts zuwege gebracht habe. Royal unterlag zusammen mit drei anderen Kandidaten in der ersten Runde. 2006 hatte sie die parteiinternen Primärwahlen noch gewonnen, war in der Präsidentenwahl von 2007 dann aber Sarkozy unterlegen. Die Meinungen über Hollande waren immer eher lamentabel gewesen. Aubry wiederholte stets, dass er ihr die Partei 2008 in einem erschreckenden Zustand überlassen habe.
Amerikanische Demokraten
Aubry wollte am Montag wieder als Erste Sekretärin amtieren, als sei nichts geschehen. Hollande dürfte an eine ihm genehmere Parteiführung denken. Aber vorläufig erklären alle Verlierer ihre grosse Solidarität mit Hollande. Er zählt zum rechten Flügel der Partei, zu den "Sozialdemokraten", was für eingefleischte französische Sozialisten immer noch ein Schimpfwort ist. Man kann sich vorstellen, wie stark eine innerparteiliche Opposition gegen den frühreren IMF-Direktor Dominique Strauss-Kahn ausgefallen wäre, hätte dieser nicht seinen Fehltritt im New Yorker Hotel gemacht.
Hollande bietet weniger Angriffsflächen; sein Programm ist dazu zu vage. Mit Absicht: Er will für seine Wahl Zentrumswähler anziehen, die von Sarkozy genug haben. Gleichzeitig muss er aber auch mit den Grünen und den Kommunisten "Koalitions"verhandlungen führen, bei denen es nicht um Sitze in der Regierung geht, sondern um Sitze im Parlament, die der grosse PS den kleineren Partnern sozusagen "reservieren" kann.
Und die vier unterlegenen Kandidaten, die nach der ersten Runde für die Wahl von Hollande aufgerufen haben, muss er auch zufriedenstellen, denn sein ausgezeichnetes Resultat hing damit zusammen. Schwierig wird es sein, sich mit der Anhängerschaft von Arnaud Montebourg zu verstehen. Der Aussenseiter-Anwalt, der auf Anhieb 17 Prozent der Stimmen in der ersten Runde erhalten hatte, verdankte dies seiner Radikalität. Er will nichts weniger als die Rückgängigmachung der Globalisierung. Solche Zwängereien sind Hollande fremd. Er träumt, wenn er an den PS denkt, eher von amerikanischen Demokraten. Aber das darf er nicht laut sagen.