Noch nie gab es einen Papst mit dem Namen Francesco. Zum ersten Mal stammt ein Papst aus Lateinamerika. Jorge Maria Bergoglio, Erzbischof von Buenos Aires, ist 76 Jahre alt. Schon 2005, bei der letzten Papstwahl, war er einer der Favoriten und der härteste Rivale von Joseph Ratzinger im Konklave. Im dritten Wahlgang hatte der Argentinier 40 Stimmen erhalten.
Seinen Ruf als Reformer verdankt der Jesuit vor allem seinem Einsatz für Benachteiligte. Seine theologischen Positionen hingegen sind eher mainstreammässig konservativ. Fast jeder zweite Katholik lebt in Lateinamerika. Ein Papst aus diesem Teil der Welt drängte sich deshalb früher oder später auf.
19.07 Uhr: Weisser Rauch
Bergoglio war im fünften Wahlgang gewählt worden. Unter riesigem Applaus war am Mittwochabend um 19.07 Uhr weisser Rauch aus dem Kamin der Sixtinischen Kapelle geströmt. Anschliessend begannen die Kirchenglocken zu läuten.
Auf dem Petersplatz hatten sich etwa 5000 Personen versammelt. Sie brachen in minutenlangen Jubel aus. Fahnen wurden geschwenkt. Sprechchöre ertönten. Trotz des Regens herrschte ein volksfestartige Stimmung.
Um 20.12 Uhr wurde auf dem Balkon des Petersdoms der Name des neuen Papstes bekanntgegeben. Plötzlich kehrte auf dem Platz Stille ein. Nur die Argentinier jubelten. Die zahlreich anwesenden Italiener hatten gehofft, dass sie nach 35 Jahren wieder einen Papst stellen würden.
Keiner der Top-Favoriten
Bergoglio wurde zwar auch diesmal als einer der Geheimfavoriten gehandelt. Er stand jedoch keineswegs oben auf der Liste. Er ist sicher ein Kompromiss-Papst. In perfektem Italienisch richtete er sich freundlich lächelnd mit klarer Stimme an die versammelte Menge und bat sie, für Joseph Ratzinger zu beten.
Der Name, den ein Papst wählt, gibt oft die Richtung an, die er einschlagen möchte. Einen Francesco gab es noch nie unter den 265 Päpsten. Der Name erinnert an Franz von Assisi. Bergoglio ist in Argentinien beliebt, weil er sich immer für die Armen eingesetzt hat.
Niederlage für die Italiener
Als Favorit ins Rennen war der Erzbischof von Mailand gegangen, Angelo Scola. Doch je länger das Konklave dauerte, desto mehr verlor er seine Favoritenrolle. Scola hatte zudem einen einflussreichen Feind im Vatikan: Tarcisio Bertone, der Kardinalsstaatssekretär und damit der zweite Mann im Vatikan nach Benedikt. Immer wieder wurde gemunkelt, Bertone werde alles versuchen, um eine Wahl von Scola zu verhindern. Das ist ihm jetzt offensichtlich gelungen. Scola gilt als Konservativer. Er ist eng verbunden mit der umstrittenen Laienbewegung Communione e Liberazione, der auch Berlusconi nahe steht.
Enttäuschung auch bei den vielen Brasilianern, die angereist waren. Ihr Kandidat Odilo Scherer, der Erzbischof von Sao Paolo, war als heisser Favorit gehandelt worden. Scherer gilt als konservativ, trocken und wenig charismatisch. Er hat sich wohl in den letzten Tagen seine Chancen zunichte gemacht, als er die Skandale im Vatikan verniedlichte.
Kein Nordamerikaner
Gewisse Chancen rechnete sich auch der Kanadier Marc Oullet aus. Er war ein enger Berater von Papst Benedikt. Das Amt des Papstes sei „ein Albtraum mit riesiger Verantwortung“, hat er einmal gesagt. Oullet ist ein konservativer Hardliner. In Kanada macht er sich als scharfer Abrteibungsgegner einen Namen.
Als Kompromisskandidat wurde auch der US-Amerikaner Timothy Dolan gehandelt. Er ist Erzbischof von New York und Vorsitzender der Bischofskonferenz der USA. Er gilt als strammer Konservativer und liegt im Streit mit Präsident Obama.
"Eine gute Wahl, ein guter Mann"
Die Wahl von Jorge Mario Bergoglio kann als Bruch mit der Linie von Papst Johannes Paul II. und Papst Benedikt gedeutet werden.
Von allen Top-Favoriten, Scola, Scherer, Oullet, war angenommen worden, dass sie die Politik von Papst Benedikt weiterführen würden. Von Franceso I. erwartet man jetzt etwas Anderes. Die Skandale, von denen die Kirche jetzt erschüttert wird, haben sicher dazu beigetragen, dass man niemanden aus dem alten Clan nehmen wollte.
Zwar ist Bergoglio kein pointiert Progressiver. Doch er ist "ein Mann der Armen, der Bedürftigen", wie es ein Vaticanisti nennt. Er lebte nicht in einem Elfenbeinturm. Er ist kein Mann der meist weltfremden römischen Kurie, auch wenn er die Kurie gut kennt. "Er könnte ein sehr populärer Papst werden", prophezeit ein Vatikan-Beobachter. Sicher wird man jetzt in seiner Vergangenheit stochern. Vor allem interessiert die Frage, was tat er während der argentinischen Militärdiktatur? Spannte er mit den Militärs zusammen?
Sein erster Auftritt auf dem Balkon des Petersdoms war geglückt. Er sprach mit einer ruhigen, warmen Stimme und zog sofort die Anwesenden in seine Ansprache mit ein. Am Schluss sagte er: "Gute Nacht, kommen sie gut nach Hause."
Und plötzlich brach wieder Jubel auf dem Petersplatz aus. Man beklatschte stürmisch jenen, den zwanzig Minuten zuvor noch kaum jemand kannte.