Von Kaspar Müller
Wenn von einem Sportler andauernd zu viel verlangt wird, dann ist die Gefahr gross, dass er versagen oder zu Doping greifen wird.
Wenn vom Finanzmarkt andauernd zu viel verlangt wird, dann ist die Gefahr gross, dass die Anlageziele nicht erreicht werden. Ebenso wie im Sport ist Doping auf den Finanzmärkten nur während kurzer Zeit möglich, bevor die Dopingfalle zu schappt. Doping auf den Finanzmärkten heisst: Die Schuldenproblematik mit neuen Schulden lösen wollen.
Die Finanzmärkte sind in der Dopingkontrolle hängen geblieben. Nicht nur haben diverse Finanzinstitute ihre Glaubwürdigkeit endgültig verspielt und nur noch wenige glauben, dass mit den üblichen wirtschaftlichen und politischen Eingriffen eine nachhaltige Linderung erzielbar ist. Wortspiele von Experten und Politikern sind von der breiten Bevölkerung als Akrobatik entlarvt worden, das Vertrauen ist weg.
Das hat Folgen: Zum Beispiel für die Entwicklung der Renten, welche in hohem Mass von der Kraft der Finanzmärkte abhängen. Wenn die Pensionskassen ihre Anlageziele nicht mehr erreichen können, wird über kurz oder lang über eine Senkung des Umwandlungssatzes und des Mindestzinssatzes diskutiert werden müssen. In der Schweiz legt der Bundesrat den Mindestzins fest und überprüft diesen mindestens alle zwei Jahre, um eine tragbare Regelung sicher zu stellen. Er lässt sich dabei von der Entwicklung der Rendite marktgängiger Anlagen, insbesondere der Bundesobligationen, sowie zusätzlich der Aktien, Anleihen und Liegenschaften leiten (BVG 15).
Der Mindestzinssatz betrug seit der Einführung 1985 bis 2002 4%, seither wurde er bis auf heute 2% gesenkt. Und heute steht bereits die Frage im Raum, ob er auf 1.5% gesenkt werden müsste. Die Rendite für 10-jährige Eidgenossen (Bundesanleihen) beträgt momentan noch 0.95%. Wie will man da langfristig 2% oder mehr ohne hohes Risiko erwirtschaften?
Eine Senkung bedeutet tiefere Renten, eine unangenehme Sache mit unabsehbaren Folgen für das soziale Gleichgewicht der Schweiz.
Was stört an dieser Debatte: Sie wird nur auf der Ebene der Pensionskassen geführt. Dabei wird ausgeblendet, dass es andere Branchen gibt, die in gleichem Mass auf Gedeih und Verderben von der Entwicklung der Finanzmärkte angewiesen sind: so zum Beispiel die Kernkraftwerke mit ihren Stilllegungs- und Entsorgungsfonds.
Nur wenn die Finanzmärkte unter einer langfristigen Optik den Erfolg liefern, der den Berechnungen der Kernkraftwerkbetreiber zugrunde liegt, geht deren Rechnung auf. Das bedingt aber 5% Rendite. Diese ist in «Art. 8 Abs. 5 der Verordnung über den Stilllegungs- und den Entsorgungsfonds für Kernanlagen (SEFV)» festgeschrieben. Es wird mit einer Anlagerendite von 5% (nach Abzug der Kosten für die Vermögensbewirtschaftung inkl. Bankgebühren und Umsatzabgaben) und einer Teuerungsrate von 3 % gerechnet.
Hier stellen sich Fragen: Was bedeutet die aktuelle Entwicklung an den Finanzmärkten für die Stilllegungs- und den Entsorgungsfonds? Wer bezahlt die Deckungslücke, wenn bei der Abschaltung der Kernkraftwerke nicht genügend Mittel vorhanden sein werden? Der Steuerzahler?
Denn eines ist klar: bei den Stilllegungs- und den Entsorgungsfonds handelt es sich um Leistungen, die bezahlt werden müssen, also um ein Leistungsprimat. Und es ist nicht möglich, Leistungen zu kürzen, denn der radioaktive Abfall wird da sein und muss entsorgt werden, und das muss finanziert sein.
Und, wäre es nicht richtig, wenn der Bundesrat nicht auch diese in der Verordnung festgeschriebene 5% Anlagerendite regelmässig überprüfen und gegebenenfalls anpassen würde?
Man muss sich bewusst sein, dass 5% Anlagerendite im aktuellen Umfeld, wenn überhaupt, dann nur mit einem Portefeuille mit fast 100% Aktien erzielt werden kann, ein enormes finanzielles Risiko.
Bleibt der Weg über die Erhöhung der Beitragszahlungen.
Und nicht ausblenden sollte man, dass die zukünftigen Kosten für die Stilllegung und Entsorgung aufgrund von Modellrechnungen bestimmt und mit 5% abgezinst werden, was zur Position Rückstellungsbedarf für Nachbetrieb, Stilllegung und Entsorgung in den Bilanzen der Kernkraftwerke führt. Würde die Abzinsung 2% oder weniger betragen, wären die Rückstellungen deutlich höher, womit das Eigenkapital der Kernkraftwerke wieder gegen null tendieren würde und womit wir wiederum bei der Debatte betreffend einer klassischen Überschuldung nach OR 725 der Kernkraftwerke angekommen sind.
Hier besteht Klärungsbedarf von Seiten der Kernkraftwerkbetreiber, nicht nur für die breite Bevölkerung und die Steuerzahler, sondern auch für deren Verwaltungsräte, welche diese Situation mitverantworten.