Mit Tucker Carlson hat der amerikanische TV-Sender Fox News seinen populärsten Moderator und grössten Quotenbringer entlassen. Stecken dahinter politische oder pekuniäre Motive? Am besten weiss es am Ende wohl Rupert Murdoch, der konservative Besitzer von Fox News.
Dass Joseph E. Biden 2024 im Alter von 82 Jahren erneut für das Amt des Präsidenten kandidieren will, haben Amerikas Medien am Montag unaufgeregt vermeldet. Biden, so die Meinung, sehe sich als Einziger, der Ex-Präsident Donald Trump schlagen könne – eine Einschätzung, die auch eine Mehrheit der demokratischen Partei teilt, obwohl sie sich wie Umfragen zufolge auch eine Mehrheit der Bevölkerung einen jüngeren Kandidaten wünschte. «Joe», wie seine Anhänger ihn nennen, kündigte seine Kandidatur in einem dreiminütigen Video an, in dem er versprach, «die Seele der Nation» zu heilen.
Wesentlich überraschter meldeten die Medien einen Tag später, dass der Fernsehsender Fox News den umstrittenen Moderator Tucker Carlson gefeuert habe. Zwar hiess es, die beiden Seiten hätten sich «in gegenseitigem Einvernehmen» getrennt, aber Carlson dürfte die abrupte Entlassung ebenso unvorbereitet getroffen haben wie die ganze Branche. Noch am Freitag vergangener Woche hatte er sich wie üblich von seinem treuen Publikum verabschiedet und es auf die folgende Woche vertröstet, nur um am Montag von seinem Rausschmiss zu erfahren.
Ein weicher Fall
Mit einem auf 20 Millionen Dollar geschätzten Jahresgehalt aber fällt der 54-Jährige weich und es dürfte ihm künftig nicht an Jobofferten anderer rechter Medien mangeln. Ein Interessent soll der Fernsehsender «Russia Today» sein, ein Propaganda-Arm des Kremls. Einzelne Gefolgsleute raten dem geschassten Fernsehmann sogar, nächstes Jahr als nach Donald Trump wohl beliebteste konservative Stimme Amerikas für das Präsidentenamt zu kandidieren.
Dagegen fielen die Aktien von Fox News innert 22 Minuten nach Ankündigung der Entlassung Carlsons um 5,2 Prozent – ein vorübergehender Wertverlust des Unternehmens von rund 870 Millionen Dollar, der Verleger Rupert Murdoch kaum egal gewesen sein dürfte. Der Abhörskandal in Grossbritannien, wo sein Boulevardblatt «News of the World» 2011 die Telefone von Prominenten, Politikern und Mitgliedern der Königsfamilie gehackt hatte, kostete die News Corporation damals insgesamt 1,24 Milliarden Dollar an Entschädigungszahlungen.
Kein Mitleid der Konkurrenz
Wie wohl kein Zweiter ausser Donald Trump verkörpert Tucker Carlson die Ansichten jener meist älteren weissen Bevölkerung Amerikas, die ihren Status durch unkontrollierte Einwanderung und linke Ansichten in Sachen Bildungspolitik oder Genderfragen akut bedroht sieht – demagogische Einschätzungen, auf die neuerdings auch jüngere Amerikanerinnen und Amerikaner ansprechen.
Bedauern im Sinne journalistischer Solidarität liess Carlsons Konkurrenz keine erkennen – im Gegenteil. «Während die anderen Moderatoren von Fox News kaum eine Zierde des amerikanischen Journalismus sind, war Tucker eine einzigartig bösartige und giftige Figur», schrieb Charlie Sykes auf «Bulwark», einer konservativen Anti-Trump Website: «Er war schlimmer, weil er schlauer war. Er war gefährlicher, weil er wusste, was er tat. Er hatte eine aussergewöhnliche Begabung, mit bösartigem Vergnügen zu lügen.»
Auch Autor Adam Gabbatt hielt im «Guardian» mit Kritik nicht zurück: «Abend für Abend schalteten Millionen von Zuschauern ein, um Carlsons wütendes, gerötetes Gesicht unter seiner akkurat gescheitelten Country-Club-Frisur zu sehen, während er die Zuschauerschaft mit einer täglichen Dosis Wut und Opferrolle fütterte und ein dystopisches Bild von Amerika zeichnete.»
«Gefährlich und zerstörerisch»
Für die Historikerin Linda Hirshman ist Tucker Carlson auf einmalige Weise «gefährlich und zerstörerisch» gewesen: «die führende Figur der Rechten beim ehrgeizigen Unternehmen, Sachen zu erfinden und ein hasserfülltes Narrativ gegen die gebildete, kosmopolitische Elite zu fördern». Carlson, so Hirshman, bestätige nicht nur sein Publikum, sondern erfinde eine immer länger werdende Liste lächerlicher Missstände. Wie einst jenen, der besagt, der Testosteronspiegel (weisser) amerikanischer Männer sinke Besorgnis erregend, wogegen sie sich mittels «Bromeopathie» patriotisch wehren könnten, indem sie die Hoden in Rotlicht badeten.
Echtes Bedauern war von konservativer Seite zu vernehmen. «Tucker Carlson hat die Rechte neu erfunden», sagte der rechte Aktivist Charlie Kirk in seiner Radio-Show: «Seit dem Tode von Rush Limbaugh (Anm. d. Red.: dem einflussreichen Radio-Moderator) war niemand mächtiger als er, wenn es darum ging, die Rechte neu zu formieren.» Donald Trump Jr. nannte Carlson «ein einzigartiges Talent» und argumentierte, niemand ausser seinem Vater kenne die Basis der republikanischen Partei besser als er: «Das (der Carlsons Abgang) verändert die Lage für immer.»
Offen bleibt die Frage nach den Gründen für Tucker Carlsons unerwartete Entlassung. Die «Los Angeles Times» meldete, am Ende habe Verleger Rupert Murdoch selbst entschieden, den Fernsehmoderator zu feuern, weil er ihm schlicht zu lästig oder innerhalb des Senders zu mächtig geworden sei. Rechtshändel dürften dabei eine Rolle gespielt haben. Erst in der Woche zuvor hatte sich Fox News auf einen Vergleich mit dem Wahlmaschinenhersteller Dominion Voting Systems geeinigt, der den Konzern happige 787,5 Millionen Dollar kostet. Derweil ist eine weitere Klage der Firma Smartmatic auf 2,7 Milliarden Dollar noch hängig, und auch Aktionäre könnten noch klagen.
Ein drohender Prozess
Zwar gehörte Tucker Carlson nicht an vorderster Front zu jenem Team von Moderatorinnen und Moderatoren, welches skrupellos den angeblichen Wahlbetrug bei der Präsidentenwahl 2020 propagierte. Dass seine Sympathien aber zumindest öffentlich allein Donald Trump gehörten, war dem Publikum von Fox News jederzeit klar. Auch dass Carlson den Sturm auf das US-Kapitol vom 6. Januar 2021 für weitgehend harmlos hielt, was er in einer Sendung mit Videomaterial zu untermauern suchte, das ihm Kevin McCarthy, der Mehrheitsführer der Republikaner im Repräsentantenhaus, exklusiv zur Verfügung gestellt hatte. Rupert Murdoch dagegen hielt privat nichts von der Version einer weitgehend friedlichen Besichtigung des Parlaments durch interessierte Touristen.
Ausserdem droht Fox News juristisches Ungemach im Fall einer früheren Mitarbeiterin Tucker Carlsons. Sie moniert, unter ihm habe ein diskriminierendes und sexistisches Arbeitsklima geherrscht. Einer ihrer Anwälte interpretierte denn den erzwungenen Abgang ihres früheren Chefs «als Eingeständnis systematischen Lügens, Mobbings und Verbreitens von Verschwörungstheorien». Die «New York Times» hatte Carlsons Show einst «die unter Umständen rassistischste Sendung in der Geschichte des Kabelfernsehens» und gleichzeitig die wohl «erfolgreichste (Sendung)» genannt.
Unklarer künftiger Kurs
Unklar ist ferner, ob die Entlassung Tucker Carlsons anderthalb Jahre vor der US-Präsidentenwahl eine Abkehr vom extrem rechten Kurs von Fox News beinhaltet oder ob sie lediglich ein singuläres Ereignis darstellt. Obwohl Rupert Murdoch den Kandidaten Donald Trump noch für einen ignoranten «Idioten» gehalten hatte, mutierte Fox News «Vanity Fair» zufolge nach dessen Wahl «praktisch zu einem Staatssender» – ein weiterer Beweis dafür, wie strategisch clever Murdoch führende Politiker zu umgarnen weiss, so wie er es etwa 1981 im Falle Margaret Thatchers tat, als es darum ging, die britische Wettbewerbskommission auszutricksen.
Einen eigenwilligen Schluss bezüglich des unerwarteten Abgangs von Tucker Carlson zieht im «New Yorker» der Satiriker Andy Borowitz. Er meldet, Fox News habe angekündigt, Carlson durch einen Chatbot zu ersetzen, der lügen kann. Ein Versuch mit dem neuen Roboter habe gezeigt, dass er pro Minute neun Mal lügen könne. Carlson aber habe es im Schnitt lediglich auf acht Lügen gebracht. Fox-Chef Rupert Murdoch danke ihm für seine Dienste, räume aber ein, leider sei er «durch rasche Fortschritte in der Lügentechnik» obsolet geworden.